Washington. Joe Bidens Bilanz nach einem Jahr ist mau. Zeit, das Blatt zu wenden, hat er nur wenig, meint unser USA-Korrespondent Dirk Hautkapp.

Bei seiner Amtseinführung vor einem Jahr versprach Joe Biden, Amerika zu versöhnen und mit ruhiger Hand aus den Chaosjahren der Ära Donald Trump zu führen. Zwölf Monate später wirkt der älteste Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten wie ein Getriebener.

Seine Umfragewerte liegen nahe am miserablen Niveau seines Vorgängers Trump, der sich bereits wie ein Präsident im Wartestand für 2024 aufführt. Bidens eigene Partei, die Demokraten, ergeht sich in lähmenden Grabenkämpfen zwischen moderat-mittigen Positionen und Linksaußen. Lesen Sie hier: Bidens Misserfolge – Warum seine Wiederwahl scheitern könnte

Dirk Hautkapp, USA-Korrespondent
Dirk Hautkapp, USA-Korrespondent © Privat | Privat

Wählerschichten, die ihn ins Amt gebracht haben – junge Leute, Schwarze, Frauen in den Vorstädten, denen Trump unerträglich wurde – wenden sich schleichend demoralisiert ab. Und die ihrem Guru Donald Trump hörigen Republikaner üben sich fast durchweg in Totalopposition.

Dazu kommen zu viele selbst verschuldete Wunden, die das Kompetenzversprechen eines der erfahrensten Politiker der vergangenen 50 Jahren in Washington im Rückspiegel als Aufschneiderei erscheinen lassen. Mindestens aber als kolossale Überschätzung der eigenen Fähigkeiten.

Biden verspricht viel zu oft Dinge, die er realpolitisch nicht einlösen kann

Das Holterdiepolter-Ende des Afghanistankrieges im vergangenen August und die Rekordzahlen illegaler Einwanderer an der Grenze zu Mexiko waren nicht alternativlos. Auch die Tatsache, dass unter Biden mehr Amerikaner am Coronavirus gestorben sind als unter Trump, dass Tests und Masken immer noch Mangelware sind und die Impfquote im Land mickrig bleibt, kann nicht nur der Ignoranz und Fahrlässigkeit republikanischer Funktionäre angelastet werden. Von der seit langer Zeit versprochenen Reform der amerikanischen Einwanderungs- und Wahlgesetze ganz zu schweigen.

Apropos Versprechen: Hier liegt Bidens große Angriffsfläche. Gespeist aus dem in 36 Senatsjahren gereiften Glauben, auch in verfahrener Lage parteiübergreifenden Konsens stiften zu können, verspricht der 79-Jährige viel zu oft Dinge, die er realpolitisch nicht einlösen kann. Es gibt de facto keine Kompromissbereitschaft der Republikaner. Und in den eigenen Reihen werden Bidens Überredungskünsten jeden Tag brutal Grenzen aufgezeigt.

In dieser Gemengelage geht unter, dass mit dem billionenschweren Infrastrukturpaket ein geschichtsbuchträchtiger Erfolg zu verzeichnen ist. Erst wenn die Dritte-Welt-Qualität von vielen Brücken, Autobahnen, Stromnetzen und Wasserleitungen in zehn Jahren wegsaniert ist, wird man sich daran erinnern.

USA: Kongress-Wahlen im Herbst 2022

Bidens zweites Großvorhaben, die partielle Umwandlung der Vereinigten Staaten in einen europäischen Sozialstaat mit klimafreundlicher Industrie, kann sich Biden jedoch abschminken.

Weil im Herbst der Kongress neu gewählt wird, bleibt Präsident Nr. 46 nur ein kleines Zeitfenster bis zum Frühsommer, um den Genossen Trend zu schlagen. Denn übernehmen die Repu­blikaner nach der Wahl im Parlament das Ruder, ist der Ofen so gut wie aus. Biden gleich lahme Ente, hieße es dann.

Die Corona-Pandemie in den Griff zu kriegen und die alle guten Nachrichten aus der Wirtschaft auffressende Mega-Inflation zu bändigen wird in den nächsten Wochen das Wichtigste sein. Die Erfolgsaussichten sind allerdings aus heutiger Sicht trübe.

Auf Vizepräsidentin Kamala Harris kann Biden nicht bauen. Übereilt als mögliche Nachfolgerin gehandelt, falls er bei der Wahl im übernächsten Jahr aus Altersgründen nicht erneut antreten sollte, ist die 57-Jährige komplett in den Negativsog der Regierung geraten. Ihre Umfragewerte rangieren noch unter denen Bidens.