Berlin. Die SPD scheint aus ihren Krisen wirklich gelernt zu haben. Drüben bei der Union blicken jetzt viele neidvoll auf die Sozialdemokraten.

„Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“ von Hermann Claudius zählt zum Traditionsliedgut, das Genossen bei feierlichen Zusammenkünften gerne gemeinsam schmettern. Das trieb in der Vergangenheit Beobachtern von SPD-Veranstaltungen gelegentlich Lachtränen in die Augen, wenn man sich kurz vor der Gesangseinlage mal wieder richtig zerlegt hatte. Aber das hat sich geändert.

Als ob die Sozialdemokraten aus ihren hausgemachten Krisen wirklich gelernt hätten, hat sich die Partei eine Disziplin und Solidarität auferlegt, die viele in der Union vor Neid erblassen lässt.

Jörg Quoos, Chefredakteur der Zentralredaktion Berlin
Jörg Quoos, Chefredakteur der Zentralredaktion Berlin

In seiner Rede beim Parteitag, auf dem erstmals seit 16 Jahren ein SPD-Kanzler sprach, sagte Olaf Scholz den einfachen, aber wahren Satz über den Sieg: „Es war der Erfolg der gesamten Partei“.

Neben der frühzeitigen Nominierung des stärksten Kanzlerkandidaten, der Aufstellung eines klaren Wahlprogramms und der gründlichen Planung einer modernen Kampagne war der Verzicht auf öffentlichen Streit der wichtigste Faktor, der die SPD wieder zur Kanzlerpartei gemacht hat. Es war kein Zufall, dass die Union die Macht abgeben musste. Sie hatte keine einzige dieser Pflichtübungen ordentlich erledigt.

Olaf Scholz ist ein großes Risiko eingegangen

Die spannende Frage lautet jetzt: Hält der Burgfrieden der unterschiedlichen SPD-Lager? Olaf Scholz ist ein großes Risiko eingegangen, indem er die Parteiführung nicht erneut für sich beansprucht hat. Er wird jetzt nur Erfolg haben, wenn sich Parteichef Klingbeil, Parteichefin Esken und Generalsekretär Kühnert verbünden und die SPD auf Regierungskurs halten. Hat Scholz den Rücken nicht frei, wird das Regieren zur Qual.

Wer die SPD länger kennt, dem fällt schwer zu glauben, dass das gelingen kann. Aber wer hat schon geglaubt, dass Olaf Scholz der neunte Bundeskanzler der Bundesrepublik wird? Eben.