Berlin. Nach einem tödlichen Angriff auf einen Öltanker beschuldigt Israel den Iran. In Teheran redet man von Revanche für Attacken in Syrien.

Wie so oft im Nahen Osten sind die Dinge nicht so, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Am Donnerstag gibt es vor der Küste des Oman einen Angriff auf den Öltanker „MT Mercer Street“. Zwei Mitglieder der Crew, ein Brite und ein Rumäne, werden getötet.

Die britische Firma Zodiac Maritime, die den Öltanker verwaltet, spricht am Freitag von einem Vorfall mit Piraten. Die „MT Mercer Street“ sendet einen Notruf, zwei Schiffe der US-Marine geben daraufhin Geleitschutz. Der Tanker habe sich auf dem Weg von Tansania in das Emirat Fudschaira am Golf von Oman befunden und keine Ladung an Bord gehabt, teilt das Betreiberunternehmen mit.

Iranische Drohnen schlugen in den Kajüten unterhalb der Kommandobrücke ein

Die Piraten-Version wird schnell ad acta gelegt. Denn die Fakten deuten auf einen völlig anderen Hintergrund. Die Firma Zodiac Maritime gehört dem israelischen Milliardär Eyal Ofer. Das Emirat Fudschaira, die End-Destination des Schiffes, ist Teil der Vereinigten Arabischen Emirate. Das Land am Persischen Golf hat vor knapp einem Jahr diplomatische Beziehungen zu Israel aufgenommen, das in der arabischen Welt viele Jahre als Erzfeind galt.

Israel als Zielscheibe: Diese Erklärung liefert die renommierte New York Times. Der Angriff scheine von mehreren unbemannten iranischen Drohnen ausgeführt worden zu sein, die in den Kajüten unterhalb der Kommandobrücke einschlugen, zitiert die Zeitung israelische Regierungsbeamte. Amerikanische Militärs, die die Lage an Bord untersuchen, bestätigen, dass der Schaden durch mehrere Drohnen verursacht worden sei.

Antwort auf israelischen Angriff in Syrien

Die Version wird indirekt durch Teheran bestätigt. Der iranische Staatssender Al-Alam berichtet unter Berufung auf „informierte regionale Kreise“, die Attacke auf die „MT Mercer Street“ sei eine „Antwort auf einen kürzlich erfolgten israelischen Angriff“ auf einen syrischen Flughafen gewesen.

Israel bombardiert regelmäßig iranische Stellungen in Syrien. Das Mullah-Regime ist mit Syrien verbündet. Von Teheran entsandte Revolutionsgarden kämpfen an der Seite des Machthabers Baschar al-Assad, liefern Waffen und bilden Streitkräfte aus. Israel, das vom obersten politischen und religiösen Führer Ali Chamenei als „zionistisches Krebsgeschwür in der Region“ bezeichnet wird, sieht sich durch den Iran bedroht.

Putin genehmigte Israels Attacken stillschweigend

Der ehemalige israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu flog alle paar Monate nach Moskau, um sich beim russischen Präsidenten Wladimir Putin Rückendeckung für Luftangriffe auf Ziele in Syrien zu holen. Der Kremlchef erteilte die Genehmigung stillschweigend. Russland ist die Schutzmacht Assads.

Die israelische Politik reagiert sofort nach der Attacke auf die „MT Mercer Street“. Außenminister Jair Lapid schreibt auf Twitter: „Der Iran ist nicht nur ein israelisches Problem, sondern ein Exporteur von Terror, Zerstörung und Instabilität, die uns allen schaden.“

Russlands Präsident Wladimir Putin bei einer Syrien-Konferenz mit Irans Präsident Hassan Rohani und Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei im vergangenen Jahr.
Russlands Präsident Wladimir Putin bei einer Syrien-Konferenz mit Irans Präsident Hassan Rohani und Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei im vergangenen Jahr. © afp | Alexey DRUZHININ

Israels Außenminister mahnt eine scharfe Reaktion an

Er habe gegenüber Großbritanniens Außenminister Dominic Raab auf die Notwendigkeit hingewiesen, scharf auf den Angriff zu reagieren, so Lapid. Zudem habe er die Botschaften in Washington, London und bei den Vereinten Nationen (UN) angewiesen, sich an die entsprechenden Kontakte bei den UN zu wenden.

Israel und der Iran befinden sich seit Jahren in einem Schattenkrieg. Anfang Juli sei ein Schiff, das früher Zodiac Maritime gehörte, im Indischen Ozean durch den Iran attackiert worden, zitiert die New York Times einen israelischen Regierungsbeamten.

Seit 2019 nimmt Israel Schiffe ins Visier, die iranische Waffen und Öl transportieren

„Das Muster des Angriffs und das Ergebnis scheint wie eine ernsthafte Eskalation in der iranisch-israelischen "Wie-du-mir-so-ich-dir“-Auseinandersetzung, die seit ein paar Jahren andauert“, sagt Tino Hansen, Chef der Sicherheitsberatungsfirma Risk Intelligence. Analysten von dem Beratungsunternehmen Dryad Global erklären, die Attacke auf die „MT Mercer Street“ sei der „fünfte Angriff auf ein Schiff, das in Verbindung mit Israel steht“.

Seit 2019 nimmt Israel Schiffe ins Visier, die iranische Waffen und Öl durch das östliche Mittelmeer und das Rote Meer transportieren. Die Regierung wirft Teheran vor, schiitische Milizen im gesamten Nahen Osten zu finanzieren und zu bewaffnen. Vor allem im Irak, in Syrien, im Gazastreifen, Jemen und im Libanon.

Bidens Signale über Neuauflage des Atomabkommens sieht Israel mit Misstrauen

Jerusalem unterstellt dem Iran, heimlich an einem Nuklearwaffen-Programm zu arbeiten, das eine existenzielle Gefahr für Israel darstelle. Westliche Geheimdienstkreise schreiben Attacken auf iranische Atomanlagen sowie die Tötung des Kernphysikers Mohsen Fachrisadeh im November 2020 Israel zu.

Die Signale von US-Präsident Joe Biden, eine Neuauflage des von seinem Vorgänger Donald Trump gekündigten internationalen Nuklearabkommens anzustreben, sieht man in Jerusalem mit großem Misstrauen. Die Befürchtung: Eine Übereinkunft würde einen Wegfall der Sanktionen nach sich ziehen, was dem Mullah-Regime mehr Geld für das Schüren von regionaler Instabilität verschaffen würde.

Der Schattenkrieg geht weiter: „Beide Seiten werden fortsetzen, was sie tun“

Der Iran-Experte Meir Dschavendanfar von der israelischen Hochschule IDC in Herzlia bezeichnet den jüngsten Anschlag auf die „MT Mercer Street“ als weiteres Glied in der Kette des Konflikts zwischen Israel und dem Iran. Eine Veränderung in der Dynamik erwarte er nicht. „Beide Seiten werden fortsetzen, was sie tun“, prognostiziert er.