Tunis. Nach der Absetzung des tunesischen Ministerpräsidenten eskaliert die Lage zusehends. Die Regierungspartei spricht von einem “Putsch“.
In Tunesien überschlagen sich weiterhin die Ereignisse. Das Land am Mittelmeer befindet sich wohl in seiner schwersten Krise seit der Revolution gegen Langzeitmachthaber Zine El Abidine Ben Ali 2011. Am Montag kam es in der Haupstadt Tunis zu Straßenkämpfen. Das Militär umstellte das Parlament und die Polizei stürmte einen Nachrichtensender.
Nachdem Staatschef Kais Saied am Sonntagabend Ministerpräsident Hichem Mechichi entlassen und die Arbeit des Parlaments ausgesetzt hatte, eskaliert die Lage zusehends. Zuvor hatten bereits seit einigen Tagen tausende Tunesier gegen die Regierung, ihre Corona-Politik und die anhaltende Wirtschaftskrise demonstriert. Bei den Protesten kam es teilweise zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.
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Tunesien: Saied will in Zukunft selbst regieren
Saied hatte nach einem Krisentreffen mit Militärs und Sicherheitsbehörden in einem Videostatement am Sonntagabend angekündigt, die Regierungsgeschäfte mit einem neuen Ministerpräsidenten selbst zu übernehmen.
Zudem sei die Immunität aller Abgeordneten aufgehoben. Die Aussetzung der parlamentarischen Arbeit solle für 30 Tage gelten. Den neuen Ministerpräsidenten sowie die Mitglieder der Regierung werde er selbst benennen, kündigte Saied an.
Regierungspartei wirft Saied "Putsch" vor
Die Regierungspartei Ennahdha, sprach daraufhin von einem "Putsch". Sie wirft Saied vor, die ihm von der Verfassung eingeräumten Kompetenzen zu überschreiten. Der Juraprofessor Saied widersprach: "Die Verfassung erlaubt keine Auflösung des Parlaments, aber sie erlaubt eine Aussetzung seiner Arbeit."
Said verwies auf Artikel 80 der Verfassung, der einen solchen Schritt bei "unmittelbar drohender Gefahr" vorsieht. Allerdings muss er sich dafür mit dem Regierungschef beraten.
Ebenfalls am Sonntagabend ließ Saied das Parlamentsgebäude schließen und von Soldaten umstellen. Sie hielten in der Nacht Parlamentspräsident und Ennnahdha-Chef Ghannouchi davon ab, das Gebäude zu betreten. Der forderte daraufhin seine Anhänger auf, vor das Parlament zu ziehen.
Saied: "Streitkräfte werden mit Kugel antworten"
Auch Saied zeigte sich in der Nacht in Tunis und begrüßte seine Unterstützer. Er wolle keinen einzigen Tropfen Blut sehen, sagte er, ergänzte jedoch: "Wer eine Kugel abfeuert, dem werden die Streitkräfte mit einer Kugel antworten."
Aufgebrachte Demonstranten versuchten dann am Montag sich Zugang zum Parlament zu verschaffen. Laut dem Nachrichtenkanal Al-Arabija kam es dort auch zu Straßenkämpfen zwischen den Demonstranten und Anhängern Saieds.
Der entließ zudem auch die Ministerin für Justiz Hasna Ben Slimane und Verteidigungsminister Ibrahim Bartaji. Ihre Arbeit solle vorübergehend von niedrigeren Beamten ausgeführt werden.
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Polizisten stürmen Fernsehsender - Bundesregierung besorgt
Inmitten dieser politischen Krise stürmten dann auch noch Polizisten das Hauptstadtbüro des Fernsehsender Al-Dschasira. Mindestens zehn bewaffnete Beamte hätten das Büro in Tunis betreten und alle Journalisten aufgefordert, das Gebäude zu verlassen, berichtete der Sender am Montag.
Die Polizisten hätten Telefone und anderes Gerät beschlagnahmt und erklärt, auf Anweisung der Justiz zu handeln. Durchsuchungsbefehle hätten sie nicht gehabt. Ihren persönlichen Besitz durften die Mitarbeiter nicht mitnehmen.
Die Bundesregierung hat sich über die aktuelle Entwicklung besorgt gezeigt und forderte die schnelle Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung.
Saieds Vorgehen sei aus Sicht der Bundesregierung eine "recht weite Auslegung der Verfassung", sagte die Sprecherin des Auswärtigen Amts, Maria Adebahr, am Montag in Berlin.
Tunesien: Was bedeutet die Krise für Urlauber?
Die instabile Lage in Tunesien könnte auch Auswirkungen für Urlauber aus Deutschland haben. Bisher bezieht sich die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes allerdings lediglich auf die Corona-Lage im Land. Tunesien ist stark von Covid-19 betroffen und als Hochinzidenzgebiet eingestuft. Vor Ort gelten strenge Corona-Regeln wie eine Ausgangssperre zwischen 20 und 5 Uhr.
Die Lufthansa hat ihren Flug LH1322 nach Tunesien vorübergehend gestrichen, wie das Unternehmen gegenüber unserer Redaktion bestätigte. Aktuell werde die Situation in Tunesien überprüft.
Heute hat Lufthansa den Flug LH1322 aus Sicherheitsgründen vorübergehend gestrichen, um die aktuelle Situation in Tunesien zu überprüfen. "Nach Überprüfung der Lage wird Lufthansa den Flugbetrieb wie geplant fortsetzen", teilte eine Sprecherin mit.
(afpd/dpa/jas)