Berlin. Annalena Baerbock ist nicht die erste Spitzenkandidatin, die unter Druck steht. So gravierend waren die Fehltritte anderer Anwärter.

Erstmals hat die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock bei den Plagiatsvorwürfen gegen ihr Buch Fehler eingeräumt. Rückblickend wäre es „sicherlich besser gewesen, wenn ich doch mit einem Quellenverzeichnis gearbeitet hätte“, sagte sie der „Süddeutschen Zeitung“. Sie habe gerade bei den Fakten bewusst beim Verfassen auf öffentlich zugängliche Quellen zurückgegriffen, sagte sie. „Aber ich nehme die Kritik ernst.“

Baerbock wird vorgeworfen, mehrere Passagen in ihrem Ende Juni erschienenen Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ aus anderen Quellen übernommen zu haben, ohne diese als Zitat zu kennzeichnen.

Grünenkandidatin Baerbock: „Ich nehme die Kritik ernst“
Grünenkandidatin Baerbock: „Ich nehme die Kritik ernst“ © dpa | Soeren Stache

Die Grünen-Führung hatte die Vorwürfe zunächst als „absurde Kampagne“ abgetan und einen Medienanwalt eingeschaltet. Die Plagiatsaffäre ist nur eine von mehreren Pannen in Baerbocks Wahlkampf.

Glaubwürdigkeit ist für Spitzenpolitiker eine entscheidende Währung

Doch wie groß ist der Schaden bereits für die Grünen-Kandidatin und für ihre Partei? In einer aktuellen Forsa-Umfrage für RTL/ntv sind die Grünen zum ersten Mal seit Anfang März wieder unter die 20-Prozent-Marke gefallen. Sie kämen demnach nur noch auf 19 Prozent.

Glaubwürdigkeit ist für Spitzenpolitiker eine entscheidende Währung. Das zeigt die legendäre Frage aus dem US-Präsidentschaftswahlkampf von 1960: „Würden Sie von diesem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen?“ So stand es damals auf Wahlplakaten der Demokraten mit dem Konterfei des republikanischen Kandidaten Richard Nixon.

Das Resultat ist bekannt: Die Wähler und Wählerinnen vertrauten mit hauchdünner Mehrheit lieber John F. Kennedy.

Merkels Vertrauensappell als Todesstoß

Angela Merkel verpasste ihrem SPD-Herausforderer Peer Steinbrück 2013 mit einem Vertrauensappell den Todesstoß. Am Ende des TV-Duells mit ihm wandte sie sich mit den Worten an die Zuschauer: „Sie kennen mich.“ Vor die Wahl gestellt entschieden sich die Bundesbürger für das Bewährte.

Steinbrück ist ein gutes Beispiel, wie man Vertrauen verspielen kann. Als er in den Wahlkampf startete, genoss der ehemalige NRW-Ministerpräsident und Bundesfinanzminister in der Bevölkerung ein hohes Ansehen.

Peer Steinbrück (SPD) konnte gegen Angela Merkel nicht ankommen.
Peer Steinbrück (SPD) konnte gegen Angela Merkel nicht ankommen. © picture alliance / Andreas Franke | Andreas Franke

Doch dann befand er erst öffentlich, ein Kanzler verdiene zu wenig, und zeigte später in einem wortlosen Bilder-Interview mit dem SZ-Magazin („Sagen Sie jetzt nichts“) seinen Kritikern den Stinkefinger. Dies sei „nicht würdig“ für einen, der sich ums Kanzleramt bewerbe, fand FDP-Chef Philipp Rösler. Bei der Wahl fiel Steinbrück durch. Lesen Sie auch: Bundestagswahl: Diese kleineren Parteien sind 2021 zugelassen

Scharping scheiterte an einer Kommunikationspanne

Dabei hätte die FDP durchaus vor der eigenen Haustür kehren können. Denn 2002 war ihr damaliger Chef Guido Westerwelle im Wahlkampf nicht unbedingt durch einen seriösen Ansatz aufgefallen: Er tourte mit einem „Guidomobil“ durchs Land und hielt in einer Talkshow seine Schuhsohle mit der Zahl „18“ in die Kamera. Am Ende landete die FDP bei 7,4 Prozent.

Aber nicht nur durch Gesten, sondern auch durch Äußerungen können Spitzenpolitiker Siegeschancen ruinieren. Franz Josef Strauß hatte 1968 noch getönt: „Lieber würde ich eine Ananasfarm in Alaska errichten, als Kanzler in Deutschland werden.“ Als der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident zwölf Jahre später für die Union doch noch das Kanzleramt erobern wollte, holte ihn der Spruch wieder ein.

Edmund Stoiber (CSU) wollte 2002 Kanzler werden. Daraus wurde nichts.
Edmund Stoiber (CSU) wollte 2002 Kanzler werden. Daraus wurde nichts. © picture-alliance / dpa/dpaweb | Rolf Vennenbernd

Rudolf Scharping startete 1994 eigentlich unter guten Voraussetzungen in den Wahlkampf: Die Sehnsucht nach einer Ablösung der schwarz-gelben Bundesregierung war groß. Mit seiner bedächtigen Art des Sprechens galt Scharping zwar nicht als der charismatischste aller Kandidaten, aber ihm wurde viel Sachkompetenz zugetraut.

Doch dann forderte er eine Ergänzungsabgabe für „Besserverdienende“ – unter die laut SPD damals Ledige ab einem Einkommen von 50.000 Mark und Verheiratete ab 100.000 Mark fielen. Die Empörung war groß. Scharping musste zurückrudern, erklärte, er hätte brutto und netto verwechselt. Aber gerade beim typischen SPD-Wählerklientel half ihm das nichts mehr, am Ende verlor er die Wahl.

Auch der Bundeskanzlerin sind Fehler unterlaufen

Eine Panne allein reicht freilich noch nicht aus, um das Image nachhaltig zu beschädigen. So verwechselte Angela Merkel im Bundestagswahlkampf 2005 gleich zwei Mal brutto und netto – und schaffte es trotzdem ins Kanzleramt. Auch interessant: Bundestagswahl: CDU stellt Kampagne vor – mit Panne

Ihr Ex-Rivale Edmund Stoiber war bei der Wahl zuvor an einem ganz anderen Patzer gescheitert. Er hatte bei der Elbeflut 2002 gezögert, seinen Urlaub abzubrechen – auch deshalb, weil er sich nicht vorwerfen lassen wollte, eine Katastrophe für Wahlkampfzwecke instrumentalisiert zu haben.

Amtsinhaber Gerhard Schröder reiste umgehend in die Hochwassergebiete und ließ sich als „Krisenkanzler“ in Gummistiefeln ablichten. Damit bewies er den besseren Instinkt und sorgte vermutlich für den entscheidenden Stimmungsumschwung.