Brüssel. . Deutschland hat gegen eine EU-Richtlinie verstoßen, urteilt der Europäische Gerichtshof. Wo Autofahrern jetzt neue Auflagen drohen.

Schwerer Rüffel für Deutschland wegen schlechter Luft in vielen Städten: Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat die Bundesrepublik in vergangenen Jahren „systematisch und anhaltend“ die EU-Grenzwerte für Stickstoffdioxid in 26 Städten und Ballungsräumen überschritten.

Autofahrern in einigen dieser Städte drohen jetzt neue Fahrverbote, der politische Druck zur Nachrüstung von Dieselfahrzeugen wächst – andernfalls könnten auf den Bund hohe Strafzahlungen in Millionenhöhe zukommen.

Worum ging es in dem Urteil?

Die Richter in Luxemburg mussten über eine Klage der EU-Kommission entscheiden. Die hatte Deutschland vorgeworfen, die vereinbarten EU-Grenzwerte für Stickoxid in 26 Städten und Regionen nicht einzuhalten. Besonders betroffen: Berlin, München, Hamburg, Köln, Stuttgart, Essen, Duisburg, Dortmund und Hagen.

Hauptquelle: Der Straßenverkehr, vor allem Diesel-Fahrzeuge. Die Klage von 2018 bezog sich auf den Zeitraum von 2010, als die entsprechende Richtlinie in Kraft trat, bis 2016. Weil Deutschland auf Mahnungen der EU nur zögerlich reagierte, zog die Kommission vor Gericht.

Das Urteil der Richter fiel so klar wie erwartbar aus, der Klage wurde „in vollem Umfang stattgegeben“. In 26 von 89 Gebieten sei der Jahresgrenzwert von 40 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft überschritten worden, in den Ballungsräumen Stuttgart und Rhein-Main obendrein auch der Stundengrenzwert, so die Richter.

Umwelthilfe spricht von „schallender Ohrfeige“

Das oberste EU-Gericht monierte nicht nur, dass Luftreinhaltepläne nicht rechtzeitig vorgelegt wurden – es verwarf auch die Verteidigungsstrategie des Bundes, der vor Gericht argumentierte, Schuld an den hohen Stickoxidwerten sei eine EU-Norm für Dieselfahrzeuge. Solche Regelungen befreiten einen EU-Staat nicht von der Pflicht, für die Einhaltung der Grenzwerte zu sorgen, stellten die Richter klar.

Die Deutsche Umwelthilfe, die auf Grundlage der EU-Vorschriften Fahrverbote in zahlreichen Städten erwirkt hatte, nannte das Urteil aus Luxemburg „eine schallende Ohrfeige für die Diesellobbyisten auf der Regierungsbank“. Die Richter hätten bestätigt, dass Deutschland systematisch und vorsätzlich Recht gebrochen hätten. „Seit 2010 sind allein in Deutschland nach Berechnungen der Europäischen Umweltagentur mehrere hunderttausend Menschen vorzeitig an den Folgen zu hoher Luftbelastung gestorben“, erklärte die Deutsche Umwelthilfe?

Wie ist die Luftbelastung jetzt?

Viel besser, darauf beruft sich die Bundesregierung. Tatsächlich haben im vergangenen Jahr nur noch sechs Städte die Grenzwerte an einzelnen Messstationen viel befahrener Staaten nicht eingehalten – München, Hamburg, Stuttgart, Darmstadt, Ludwigsburg und Limburg.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) führt das auf ein Bundesprogramm „Saubere Luft“ zurück, das Kommunen seit 2017 mit knapp einer Milliarde Euro bei Luftreinhaltemaßnahmen unterstützte. Aber die Gründe sind laut Umweltbundesamt (UBA) in Wahrheit vielfältiger: So seien mehr neuere Autos mit weniger Schadstoffausstoß unterwegs, Autohersteller hätten zudem ihre Abgas-Software für Dieselfahrzeuge erneuert.

Der EuGH hat Deutschland wegen zu schmutziger Luft in seinen Innenstädten verurteilt.
Der EuGH hat Deutschland wegen zu schmutziger Luft in seinen Innenstädten verurteilt. © dpa

Zudem hätten lokale Maßnahmen wie Tempolimits, Fahrverbote oder der Einsatz von Elektrobussen zu der Entspannung beigetragen. Dass 2020 der Verkehr zeitweilig wegen der Corona-Maßnahmen geringer war, fiel laut UBA nicht wesentlich ins Gewicht. „Die Luft in den Städten wird sauberer, die Entwicklung geht in die richtige Richtung“, sagt UBA-Präsident Dirk Messner. Aber: „Der Grenzwert zum Schutz der Gesundheit hätte seit 2010 eingehalten werden müssen.“

Was bedeutet das Urteil für Autofahrer?

Das ist noch nicht ganz klar, aber es drohen neue Auflagen: In den sechs betroffenen Städten wächst der Druck, sehr schnell die Grenzwerte einzuhalten – notfalls auch mit neuen Fahrverboten. Hamburg und Ludwigsburg waren erst vor wenigen Tagen auch vom Bundesverwaltungsgericht dazu verurteilt worden, ihre Luftreinhaltepläne zu verschärfen. Ob sich der bisherige Rückgang der Stickoxid-Belastung in diesem Jahr fortsetzt, wie die Bundesregierung hofft, ist offen.

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    Die Deutsche Umwelthilfe warnt sogar, im zweiten Halbjahr sei mit einem starken Anstieg der Stickoxid-Werte zu rechnen. In den sechs jetzt noch betroffenen Städten müssten deshalb kurzfristige Maßnahmen ergriffen werden, forderte Verbandschef Jürgen Resch. „Wenn nicht, werden wir das in Stuttgart mit Vollstreckungsmaßnahmen kurzfristig durchsetzen.“ Eine neue Bundesregierung müsse dafür sorgen, dass die etwa zehn Millionen „Betrugs-Diesel“ mit hohem Schadstoffausstoß „entweder stillgelegt oder nachgerüstet werden“.

    Der Bund bleibt weiter stark unter Druck

    Auch der Sprecher der deutschen Grünen-Abgeordneten im EU-Parlament, Sven Giegold, sagte: „Verkehrsminister Scheuer darf nicht weiter seine schützende Hand über die Autolobby legen und muss die Hersteller verpflichten, Diesel-Autos nachzurüsten oder durch regelkonforme Autos zu ersetzen.“

    Das ist zwar nicht in Sicht. Aber insgesamt bleibt der Bund stark unter Druck. Er muss „unverzüglich“ dafür sorgen, dass die Grenzwerte überall eingehalten werden; die Bundesregierung muss der Kommission mitteilen, wie das gewährleistet werden soll. Sollte Deutschland weiter gegen die Regeln verstoßen, kann die EU-Kommission erneut vor den EuGH ziehen und Zwangsgelder beantragen. Und dann wird es teuer: Das oberste EU-Gericht würde empfindliche Geldstrafen in Millionenhöhe verhängen.