Berlin. Am Tag der Pressefreiheit wird deutlich: Journalisten sind immer häufiger Übergriffen ausgesetzt – nicht nur in autoritären Staaten.

Als der Journalist vor dem Bundeskanzleramt seine Live-Übertragung vorbereitet, kommt es zur Attacke. Zwei Männer, 39 und 34 Jahre alt, versuchen zunächst, einen Wachschutz abzulenken, dann bedrängen sie den Moderator des Senders „Welt TV“ massiv, um die Fernsehschalte zu stören. Weitere Störer beteiligen sich. So fasst es die Polizei zusammen. Die Hintergründe des Zwischenfalls sind noch unklar.

Doch es fällt auf. Parallel zu dem Vorfall lief am Montag der Impfgipfel von Bund und Ländern, auch eine Demonstration unter dem Motto „Schutz unserer Grundrechte“ fand nach Polizeiangaben zeitgleich statt. Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts der Nötigung sowie Verstößen gegen die Infektionsschutzverordnung.

„Attackiert, beschimpft, getreten, bespuckt“

Es ist nur ein Fall von vielen, bei denen nach Angaben der Organisation Reporter ohne Grenzen Journalistinnen und Journalisten während ihrer Berichterstattung über Corona-Demonstrationen angegriffen würden. Medienvertreter würden „attackiert, beschimpft, getreten, bespuckt“, sagt Geschäftsführer Christian Mihr im Gespräch mit unserer Redaktion.

Der Verein Reporter ohne Grenzen hat Fälle recherchiert und ausgewertet. Das Ergebnis, so Mihr, sei „verheerend“. Durch die Demonstrationen vor allem der sogenannten „Corona-Skeptiker“ oder „Corona-Leugner“ sei die Zahl an Übergriffen und Beleidigungen gegenüber Journalistinnen und Journalisten in Deutschland deutlich angestiegen.

Mehr als 300 Reporter sitzen in Haft, 100 Blogger noch dazu

Demonstrationen in Myanmar: Für Menschenrechte, für Pressefreiheit. Für Demokratie.
Demonstrationen in Myanmar: Für Menschenrechte, für Pressefreiheit. Für Demokratie. © AFP | Handout

Heute, am dritten Mai, ist der „Tag der Pressefreiheit“. Die Blicke der Organisation richten sich vor allem in autoritäre Staaten wie Belarus, China oder Myanmar. Allein 2021 sind bereits sechs Journalisten getötet worden, vier weitere Mitarbeiter von Medienhäusern starben während ihrer Arbeit. Mehr als 300 Reporter sitzen in Haft, 100 Blogger noch dazu. Es ist die traurige Bilanz einer Welt, in der Journalisten in vielen Regionen noch immer mit Gefahren rechnen müssen.

Auch in Europa spitzt sich die Lage zu. In Malta wurde vor einigen Jahren die Journalistin Daphne Caruana Galizia bei einem Bombenanschlag auf ihr Auto getötet. Sie hatte über Korruption in Politik und Wirtschaft in ihrem Land recherchiert. In der Slowakei wurde der Journalist Jan Kuciak in seinem Haus hingerichtet – gemeinsam mit seiner Verlobten. Auch er machte Korruption öffentlich.

Deutschland ist noch immer ein Land, in dem Journalisten im Vergleich zu Staaten wie Russland oder der Türkei frei arbeiten können. Die Bundesrepublik landet im aktuellen Ranking von Reporter ohne Grenzen auf Platz 13. Ganz vorne sind die skandinavischen Länder wie Finnland. Desaströs ist die Lage in Staaten wie China und Nordkorea.

Ägypten verbietet die Veröffentlichung aller nicht-offiziellen Infektionszahlen

Auch hier führt die Corona-Pandemie nach Angaben von Fachleuten zu einer Verschärfung der Lage. Autoritäre Staaten würden gezielt Desinformation über die Pandemie streuen, die Freiheit der Information sei massiv eingeschränkt.

Wo Journalisten für ihre Arbeit drakonische Strafen drohen

Die belarussische Fotografin Violetta Savchits hat 2020 in ihrem Land dokumentiert,
wie Tausende friedlich gegen Machthaber Alexander Lukaschenko protestierten - hier eine junge Frau in weiß.
Die belarussische Fotografin Violetta Savchits hat 2020 in ihrem Land dokumentiert, wie Tausende friedlich gegen Machthaber Alexander Lukaschenko protestierten - hier eine junge Frau in weiß. © Violetta Savchits
Cumhuriyet-Journalist Kadri Gürsel saß in der Türkei wegen seiner journalistischen Arbeit eine Haftstrafe ab. Fotograf Yasin Akgül hielt den Moment seiner Entlassung fest.
Cumhuriyet-Journalist Kadri Gürsel saß in der Türkei wegen seiner journalistischen Arbeit eine Haftstrafe ab. Fotograf Yasin Akgül hielt den Moment seiner Entlassung fest. © Yasin Akgül/ AFP/ Getty Images
Nach der Revolution 2011 tobte in Libyen ein neun Jahre langer Bürgerkrieg. Im Zentrum der Hauptstadt Tripolis verkauft ein Händler Zuckerwatte und Popcorn – festgehalten vom irischen Fotojournalisten Ivor Prickett.
Nach der Revolution 2011 tobte in Libyen ein neun Jahre langer Bürgerkrieg. Im Zentrum der Hauptstadt Tripolis verkauft ein Händler Zuckerwatte und Popcorn – festgehalten vom irischen Fotojournalisten Ivor Prickett. © Ivor Prickett/ Panos Pictures
Nach dem Brand in der Zeltstadt Moria im September 2020 auf der griechischen Insel Lesbos mussten tausende Geflüchtete auf der Straße kampieren, wie auf dem Foto von Louisa Gouliamaki zu sehen ist.
Nach dem Brand in der Zeltstadt Moria im September 2020 auf der griechischen Insel Lesbos mussten tausende Geflüchtete auf der Straße kampieren, wie auf dem Foto von Louisa Gouliamaki zu sehen ist. © Louisa Gouliamaki/ AFP/ Getty Images
Fotograf Lindokuhle Sobekwa macht mit seinen Bildern auf die schlechte Situation in seinem Township Thokoza bei Johannesburg in Südafrika aufmerksam.
Fotograf Lindokuhle Sobekwa macht mit seinen Bildern auf die schlechte Situation in seinem Township Thokoza bei Johannesburg in Südafrika aufmerksam. © Lindokuhle Sobekwa/ Magnum Photos/ Agentur Focus
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In Ungarn sei die Verbreitung von „Falschmeldungen“ über die Pandemie ebenso unter Strafe gestellt worden wie in Malaysia, schreibt Reporter ohne Grenzen. „Ägypten verbot die Veröffentlichung aller nicht-offiziellen Infektionszahlen, das Assad-Regime in Syrien verhängte eine Nachrichtensperre für alle Medien außer der staatlichen Nachrichtenagentur.“

Lesen Sie hier: Kommentar - Meinungsvielfalt kommt ohne Pressefreiheit nicht aus

Obwohl Deutschland weltweit gut dasteht, sehen Fachleute die jüngsten Entwicklungen auch hier mit Sorge. Bei der letzten großen Demonstration der sogenannten „Querdenken“-Bewegung seien mehrere Reporter attackiert worden, gibt der Journalistenverband an. Reporter, Fotografinnen und Kameraleute vor Ort berichten über Beschimpfungen und eine „aggressive“ Stimmung.

Am Rande der Veranstaltungen erfolgten mehr als 70 Prozent der Angriffe

Meinungsfreiheit wird unterdrückt, einzelne Journalisten sogar zum Tode verurteilt. Iran und dessen Regime unter Präsident Hassan Rouhani fahren einen harten Kurs gegen Pressefreiheit
Meinungsfreiheit wird unterdrückt, einzelne Journalisten sogar zum Tode verurteilt. Iran und dessen Regime unter Präsident Hassan Rouhani fahren einen harten Kurs gegen Pressefreiheit © AFP

Wer in die sozialen Medien der „Corona-Leugner“ blickt, entdeckt jede Menge Hetze gegen die sogenannte „Mainstream-Presse“. Das Wort „Lügenpresse“ ist zum Schlagwort der extrem rechten Bewegung geworden.

Das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) führt in einer Untersuchung 69 tätliche Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten in Deutschland im Jahr 2020 auf. Nie zuvor in den sechs Jahren seit Beginn der Erhebung seien es mehr gewesen, so die Verfasser der Studie.

Im Vergleich zum Vorjahr nahm die Zahl der Fälle um das Fünffache zu. Entscheidend für den starken Anstieg der Attacken seien die „pandemiebezogenen Versammlungen“. Am Rande der Veranstaltungen erfolgten demnach mehr als 70 Prozent der Angriffe.

BKA warnt vor Übergriffen durch die Anti-Corona-Protestler

Auch das Bundeskriminalamt (BKA) hat bereits vor Übergriffen von radikalen Anhängern der „Querdenken“-Bewegung gewarnt. Es sei denkbar, dass von Gegnern der Corona-Maßnahmen Straftaten gegen Personen und Institutionen verübt werden, die die potenziellen Täter als verantwortlich für die Maßnahmen ansehen – Ziel können sein: Impfzentren, Politikerinnen und Politiker, aber eben auch Reporter.

Was folgt aus der Gefahr für Berichterstatter? Gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen haben eine Reihe von Verbänden, darunter Journalisten-Gewerkschaften und Beratungsstellen von Betroffenen rechter Gewalt, einen Kodex für mehr Schutz ausgearbeitet. So schlagen die Medienvertreter vor, dass Fernsehteams zu Dreharbeiten von Sicherheitspersonal begleitet werden. Auch eine bessere Beratung von Journalisten, die von Hetze und Hassmails betroffen sind, gehört zu den Forderungen.

Nach der Störung des Fernsehteams am Kanzleramt kritisiert auch die Bundesregierung die Angreifer scharf. Wer Journalisten angreife, um sie zu beeinträchtigen, „der stellt sich damit klar außerhalb unseres Rechtsstaats“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Presseberichterstattung dürfe in Deutschland „nicht erschwert und nicht unmöglich gemacht werden“, sondern müsse ohne Angst ausgeübt werden können.