Moskau/Berlin. Der Gesundheitszustand des inhaftierten Oppositionellen Alexej Nawalny hat sich nach Angaben seiner Ärzte massiv verschlechtert.

  • Alexej Nawalny wurde zu mehreren Jahren Haft verurteilt
  • Vor mehr als zwei Wochen ist der Kreml-Kritiker in einen Hungerstreik getreten
  • Ärzte befürchten, dass Nawalnys Herz stehen bleiben könnte
  • Mittlerweile wurde der russische Oppositionelle in ein Gefängniskrankenhaus verlegt

Alexej Nawalny droht laut mehreren Medizinern ein Herzstillstand. Nach mehr als zwei Wochen Hungerstreik wachsen die Sorgen um die Gesundheit des inhaftierten Kremlgegners. Ärzte aus seiner Umgebung warnten am Wochenende davor, dass das Herz des 44-Jährigen stehen bleiben könnte. Es müssten sofort Maßnahmen ergriffen werden, mahnte ein Medizinerteam um Nawalnys Ärztin Anastassija Wassiljewa im Kurznachrichtendienst Twitter. Eine Nawalny-Sprecherin schrieb sogar: „Alexej stirbt.“ Der Tod sei nur eine Frage von Tagen. Überprüfen ließen sich die Angaben nicht.

Die Ärztin des prominentesten russischen Oppositionspolitikers forderte in einem am Samstag veröffentlichten Brief an die Gefängnisbehörde erneut Zugang zu Nawalny. „Wir Ärzte sind bereit zu handeln. Die Frage bleibt, ob das Straflager bereit zur Zusammenarbeit ist, um Nawalnys Leben zu retten.“

Am Montag teilte die Gefängnisbehörde mit, dass Nawalny in ein Krankenhaus für Gefangene verlegt wurde. Er werde jeden Tag von einem Allgemeinmediziner untersucht. „Mit Zustimmung des Patienten wurde ihm eine Vitamintherapie verschrieben“, heißt es in der Mitteilung. Das Krankenhaus in der Region Wladimir östlich von Moskau sei auf „die laufende Beobachtung“ solcher Patienten spezialisiert.

Anastasia Wassiljewa, Nawalnys Ärztin, darf nicht ins Straflager, um den Kremlkritiker zu untersuchen.
Anastasia Wassiljewa, Nawalnys Ärztin, darf nicht ins Straflager, um den Kremlkritiker zu untersuchen.

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Der Kardiologe Alexej Erlich sagte dem Radiosender Echo Moskwy: „Ich weiß nicht, ob Nawalnys Schicksal vom Strafvollzug, von der Präsidialverwaltung oder von Putin persönlich entschieden wird. Aber wir brauchen jetzt, heute eine Grundsatzentscheidung, die es unabhängigen Ärzten erlaubt, Nawalny zu treffen.“ Der Mediziner gehört zum Team der persönlichen Ärzte des Oppositionellen.

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Prominente fordern von Putin medizinische Hilfe

Unterstützung kam von mehr als 70 Prominenten, die mit einem offenen Brief an Kremlchef Wladimir Putin eine medizinische Behandlung forderten. Darin heißt es: „Als russischer Staatsbürger hat er das Recht, von einem Arzt seiner Wahl untersucht und behandelt zu werden.“ Der Appell wurde am Samstag von mehreren europäischen Tageszeitungen abgedruckt. Zu den Unterzeichnern gehören Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling, Literaturnobelpreis-Trägerinnen wie Herta Müller und Louise Glück, Abba-Gründer Björn Ulvaeus sowie der Schauspieler Benedict Cumberbatch.

Nawalny ist schon seit dem 31. März im Hungerstreik. Ihm droht Zwangsernährung. Der Putin-Gegner, der vergangenes Jahr nur knapp einen Giftanschlag überlebt hatte, klagte zuletzt über Rückenleiden, Lähmungserscheinungen in den Gliedmaßen, Fieber und Husten.

Wassiljewa und drei Kollegen sprachen zudem von kritischen Kaliumwerten, was zu Nierenversagen und schweren Herzrhythmusstörungen führen könne. „Wir sind extrem besorgt über seinen Zustand“, heißt es in dem Brief an den Chef des Strafvollzugs, Alexander Kalaschnikow. „Wir bitten dringend um Verhandlungen.“

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Nawalny hat 17 Kilo verloren

Bei einer Größe von 1,90 Meter wog er nach Angaben seiner Ehefrau vor einigen Tagen noch 76 Kilogramm. Pro Tag soll er zuletzt ein Kilo verloren haben. Nawalny sitzt unter erschwerten Bedingungen in einem Lager etwa 100 Kilometer entfernt von Moskau. Sein Team rief für den kommenden Mittwochabend zu neuen Protesten auf. An dem Tag will auch Präsident Putin seine Rede an die Nation halten.

Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch schrieb bei Facebook, an den Wochenenden könnten Anwälte keinen Kontakt zu ihrem Mandaten aufnehmen. „Niemand weiß, was am Montag passiert.“ Der Grünen-Europapaabgeordnete Sergey Lagodinsky sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, Deutschland und die EU sollten beim Kreml eine Behandlung des Oppositionellen in die EU durchsetzen - ähnlich wie nach dem Anschlag auf ihn im vergangenen Sommer.

USA drohen Russland im Fall von Nawalnys Tod

Die US-Regierung drohte Russland mit Konsequenzen, sollte Nawalny im Gefängnis sterben. „Wir haben der russischen Regierung mitgeteilt, dass das, was mit Herrn Nawalny in ihrem Gewahrsam geschieht, in ihrer Verantwortung liegt“, sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, dem Sender CNN am Sonntag. „Es wird Konsequenzen geben, falls Herr Nawalny stirbt.“ Über mögliche spezifische Maßnahmen gegen Russland in einem solchen Fall wolle er derzeit nicht öffentlich sprechen.

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Sullivan wies Kritik daran zurück, dass Biden in seiner Ansprache zu Russland am Donnerstag den Fall Nawalny nicht angesprochen hatte. Man sei zu dem Schluss gekommen, dass man in diesem Fall besser „durch diplomatische Kanäle direkt mit der höchsten Ebene der russischen Regierung“ kommuniziere, als öffentliche Erklärungen dazu abzugeben, sagte Sullivan.

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Die Beziehungen zwischen den USA und Russland sind angespannt. Das Weiße Haus in Washington hatte am Donnerstag zehn russische Diplomaten ausgewiesen und eine Reihe neuer Sanktionen gegen Russland verhängt. Als Begründung nannte die US-Regierung einen Moskau zugeschriebenen Hackerangriff und Einmischung in die US-Wahlen. Als Reaktion wies Russland zehn US-Diplomaten aus und verhängte Sanktionen gegen die USA. Außerdem erließ Moskau Einreisesperren gegen hochrangige US-Regierungsvertreter, darunter zwei Minister. (dpa/bef)

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