Berlin. Die Politik hat mit Kakofonie und Profilierungswettbewerben wichtige Zeit verloren. Nach der Bundestagswahl droht ein böses Erwachen.

Die Hektik und Kurzatmigkeit der deutschen Corona-Politik haben mittlerweile Weltruhm erlangt. So verwundert es nicht, dass zuletzt tagelang erbittert darüber gestritten wurde, ob in dieser oder in der nächsten Woche eine Bund-Länder-Konferenz zur Eindämmung der Pandemie stattfinden soll.

Nun kommt die Zackzack-Lösung aus dem Kanzleramt: kein Spitzentreffen. Stattdessen drängt die Bundesregierung darauf, im Einvernehmen mit dem Bundestag und den Ländern das Infektionsschutzgesetz zu verschärfen.

Schluss mit dem Flickenteppich – das Coronavirus kennt keine Grenzen

Politik-Korrespondent Michael Backfisch.
Politik-Korrespondent Michael Backfisch. © Reto Klar | Reto Klar

Warum nicht gleich so? Verbindliche Maßnahmen, was bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 100 in Landkreisen getan werden muss, sind sinnvoll. Sie lassen sich auch den Bürgern zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen leichter vermitteln.

Der Flickenteppich bei Schulschließungen oder Ausgangssperren war für viele ein großes Ärgernis. Wer sich heute mit seinen Niedrig-Inzidenz-Regionen brüstet, könnte ein paar Wochen später alt aussehen. Das Virus kennt keine Grenzen – wo Menschen reisen, reist es mit.

Dass es bei der Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes zu einer schnellen Einigung kommt, darf allerdings bezweifelt werden. Denn sofort nach der Absage der Bund-Länder-Runde hagelte es Rüffel für das Kanzleramt. Wohlgemerkt: Eine Vereinbarung, welche „Notbremse“ bei Inzidenzen über 100 zu ziehen ist, liegt seit Wochen auf dem Tisch. Am Ende machten Länder und Landkreise aber doch, was sie wollten.

CDU und CSU: Mehr Profilierungswettbewerb als Corona-Krisenmanagement

Was in Deutschland bislang fehlt, ist eine klare Linie im Kampf gegen Corona. Die Kakofonie im Verlautbarungs­wettstreit zwischen Kanzlerin, Ministerpräsidenten und Parteien war oftmals bizarr und verstörend.

Überlagert wird diese Vielstimmigkeit durch das Positionierungsgerangel der potenziellen Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet und Markus Söder. Der eine versuchte lange Zeit, als Lockerungspapst zu punkten, der andere legte sich als Hardliner ins Zeug. Richtig konsequent war keiner, auch wenn Söder in der politischen Cho­reo­gra­fie deutlich besser abschnitt.

Die Illusion, dass dieses Gezerre bei der Bundestagswahl am 26. September Stimmen bringt, sollten sich die Kontrahenten abschminken. Viele Bürger sind davon genervt.

Die Politik in Bund und Ländern hat sich bei Corona in einem Profilierungswettbewerb verzettelt. Es wurde zu viel Zeit auf Wortgirlanden wie „Beherbergungsverbot“, „Verweildauerverbot“ oder „Brücken-Lockdown“ verwendet. Besser wäre gewesen, in einer Notlage wie der Pandemie an einem Strang zu ziehen und ein schlüssiges Konzept vorzulegen.

Ineffizient, langsam und beratungsresistent

Dass der Impfzug in Deutschland so schleppend auf Touren kommt, hat viel mit bürokratischem Übereifer, falscher Perfektion und Ineffizienz zu tun. Warum werden die Hausärzte erst jetzt – mehr als ein Jahr nach Ausbruch der Seuche – einbezogen? Andere Länder waren wesentlich praktischer, flexibler und kreativer.

In Israel wurde zum Beispiel auch in Möbelhäusern oder Restaurants geimpft, in Chile in Kirchen, Stadien oder Parks. Von der langsamen Beschaffung von Tests und Masken hierzulande ganz zu schweigen.

Die Politik in Deutschland muss den Bürgern reinen Wein einschenken. Das A und O im Kampf gegen das Virus und die gefährlichen Mutationen ist die Beschränkung von Kontakten. Epidemiologen predigen das schon lange. Das Land braucht noch einmal einen Kraftakt, um die Inzidenzen nach unten zu drücken. Der Jo-Jo-Effekt aus Lockdown und Lockerung hat nichts gebracht. Wenn dies in den nächsten Monaten nicht gelingt, wird es bei der Bundestagswahl für etliche ein böses Erwachen geben.