Berlin. Die Bundestag-Maskenaffäre in CDU und CSU schlägt hohe Wellen. Jetzt rechnet Bundespräsident Steinmeier ab. Er spricht von Schande.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die durch Unionsabgeordnete ausgelöste „Maskenaffäre“ als extrem schädlich für das Ansehen von Staat und Politik kritisiert. Es gehe um sehr viel mehr als individuelles Fehlverhalten. Das Vertrauen in die Integrität des Staates und seiner Institutionen werde so aufs Spiel gesetzt: „Deshalb verdienen die bekannt gewordenen Fälle persönlicher Bereicherung nicht nur Empörung – sie sind Gift für die Demokratie“, sagte Steinmeier am Freitagmorgen in einer Rede bei einem digitalen Kongress der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Zum Verdruss vieler Bürger über Probleme bei der Impfstoff- und Schnelltestbeschaffung käme nun Empörung über Abgeordnete des Bundestages hinzu, die sich an der Krise persönlich bereichert hätten. „Ich teile diese Empörung“, betonte das Staatsoberhaupt.

Steinmeier: Verhalten der Abgeordneten „schäbig und schändlich“

Millionen Menschen nähmen in der Pandemie seit Monaten Einschränkungen hin, verlören Einkommen, verzichteten auf den Besuch bei Eltern oder Enkeln und ängstigen sich monatelang um die Gesundheit und das Leben ihrer Familien: „Und müssen dann hören, dass ausgerechnet Abgeordnete die Hand aufhalten, bevor der bescheidene medizinische Schutz in Gestalt von Gesichtsmasken die Menschen überhaupt erreicht.“

Außerdem hätten die betroffenen Abgeordneten in Größenordnungen Provisionen kassiert, die das Vorstellungsvermögen normaler Leute übersteige. „Das ist schäbig und das ist schändlich“, sagte Steinmeier laut Redemanuskript.

Die Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein (bisher CSU) und Nikolas Löbel (bisher CDU) waren damit aufgeflogen, gegen Zahlung hoher Provisionen Aufträge zur Herstellung von Schutzmasken vermittelt zu haben. Gegen den langjährigen Vize-Chef der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag Nüßlein ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Anfangsverdachts der Bestechlichkeit. Er soll mehr als 600.000 Euro kassiert haben.

Frist der Unionsfraktionsspitze für Ehrenerklärungen läuft heute aus

Löbel hat eingeräumt, dass seine Firma Provisionen von rund 250.000 Euro für das Vermitteln von Kaufverträgen für Corona-Schutzmasken erhalten hat. Bei ihm prüft die Staatsanwaltschaft, ob ein hinreichender Anfangsverdacht zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegeben ist. Beide Politiker haben inzwischen ihre jeweilige Partei verlassen. Löbel hat sein Bundestagsmandat mit sofortiger Wirkung niedergelegt. Nüßlein will im Herbst nicht mehr für den Bundestag kandidieren.

Inzwischen hat außerdem der Thüringer CDU-Abgeordnete Mark Hauptmann sein Mandat niedergelegt. Laut einem „Spiegel“-Bericht geht es unter anderem um Werbeanzeigen für Tourismus-Aufenthalte in der autoritär regierten einstigen Sowjetrepublik Aserbaidschan im „Südthüringen Kurier“, den Hauptmann herausgibt. Im Interview mit der „Welt“ bestritt Hauptmann, Geld von ausländischen Stellen angenommen zu haben. Er bestritt auch, für die Vermittlung von Corona-Schutzmasken eine Provision erhalten zu haben.

Heute läuft um 18.00 Uhr eine Frist der Fraktionsführung an die Abgeordneten zur Abgabe einer Art Ehrenerklärung ab. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatten die 245 Unionsparlamentarier am Mittwoch aufgefordert, bis zu diesem Zeitpunkt zu erklären, dass sie keine finanziellen Vorteile im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie erzielt hätten – weder direkt noch über Gesellschaften. Offen war zunächst, wann die Unionsfraktion das Ergebnis der Befragung öffentlich macht Lesen Sie hier:Was die Maskenaffäre für die Union bedeutet

Steinmeier bittet alle Parteien um rasche und umfassende Aufklärung

Bundespräsident Steinmeier betonte, es sei nicht seine Aufgabe, eine rechtliche Bewertung der Maskenaffäre vorzunehmen. Aber er müsse darauf hinzuweisen, dass es hier eben nicht nur um rechtliche Fragen gehe.

„Wer sein Mandat gezielt missbraucht, um sich persönlich zu bereichern, der beschädigt nicht nur andere, die redlich ihre demokratische Arbeit tun. Der fügt der Demokratie Schaden zu! Wer so handelt, hat schlicht im Bundestag nichts verloren.“ Zum Schutz der Demokratie bitte er alle im Bundestag vertretenen Parteien, „nicht nur schnell, sondern vor allem belastbar zu klären, ob weitere Fälle zu befürchten sind“. Das sei dringlicher denn je.

Nach Einschätzung von Steinmeier ist in der Corona-Krise die Ungeduld der Bevölkerung „riesengroß“, die Unzufriedenheit „greifbar“. Der Lockdown zehre an den Nerven. Alle wollten, dass Restaurants, Geschäfte, Theater und Kinos wieder öffnen. „Und auch ein Gespräch ohne Maske wäre eine Wohltat.“ Doch angesichts der Virus-Mutationen halte die Ungewissheit an.

Er habe Verständnis für Kritik an Entscheidungen von Politik und Staat bei Impfstoff und Schnelltests. „Zu spät bestellt, zu sparsam kalkuliert, sagen die einen, zu teuer eingekauft, sagen die anderen. Die Verteilung: mal ungerecht, mal schlecht organisiert. Der Staat: zu langsam. Die Verwaltung: veraltet. Digitale Lösungen: verstolpert“, so Steinmeier.

Staat war für Pandemie nicht gut gerüstet - ein Staatsversagen sieht der Bundespräsident aber nicht

Nach den Erfahrungen der letzten Monate müsse man eingestehen, „dass unser Staat für eine solche Krise nicht überall ausreichend gerüstet war“. Krankenhäuser, Gesundheitsämter und andere Einrichtungen seien auf Kosteneffizienz getrimmt worden, „aber nicht mit einem Bewusstsein für die Gefahren einer kollektiven Krise vom Ausmaß der Corona-Pandemie“. Fehler zu benennen, sei wichtig. „Noch wichtiger ist es, sie zu korrigieren.“ Dazu gehöre auch ein realistisches Selbstbild des Landes.

„Haben wir wirklich zu Recht erwartet, aus dieser globalen Jahrhundertprüfung fast automatisch als Jahrgangsbeste hervorzugehen?“, fragte der Bundespräsident. Vor einem halben Jahr hätten sich viele noch mit Genugtuung als „Pandemie-Weltmeister“ gesehen. „Es fehlte in Politik und Medien nicht an Hochmut, mit dem man auf verzweifelte Bemühungen anderer Länder herabgeschaut hat.“ Nun werde das Gegenteil beschrieben, Deutschland als „Bananenrepublik“, wo in der Pandemie „Staatsversagen“ herrsche: „Wo eben noch Hochmut war, herrscht heute Kleinmut.“

Steinmeier will mehr Tempo und Pragmatismus beim Impfen

Steinmeier kritisierte, dass hierzulande immer der Superlativ gelten würde, im Guten wie im Schlechten: „Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt? Gibt es eigentlich auch was dazwischen?“ Es sei zu früh, um Bilanz zu ziehen. Die Suche nach Schuldigen, das Schwarze-Peter-Spielen und „Impfneid“ raubten wertvolle Zeit und Kräfte für den den Blick nach vorn.

Beim Impfen mahnte Steinmeier mehr Pragmatismus an: „Wir wollen es besonders gut machen; sichern jede Maßnahme mit unzähligen Regeln ab – mit der Folge, dass jede notwendige Abweichung von der Regel als „Hochverrat“ verschrien wird.“ Nicht noch mehr Sondersendungen und Talkshows würden helfen jetzt. „Sondern mehr testen, schneller impfen, mit allen Mitteln, die wir haben. Das ist das Gebot der Stunde.“