Berlin. Auch der Lockdown kann irgendwann krank machen. Warum Politiker bei Einschränkungen nicht nur auf die Corona-Inzidenz schauen sollten.

Wir kennen Celsius und Fahrenheit, notgedrungen auch die Inzidenz: als Messgröße der Fieberkurve der Pandemie. Mit der 7-Tage-Inzidenz, mit Zahlen wie 100, 50 oder gar mit dem merkelschen Vorsichtswert 35 werden staatliche Auflagen begründet.

Das war schon bisher fragwürdig. Die Werte sind politisch begriffen und bilden das Infektionsgeschehen ab. Ein Ausschnitt. Um das Risiko differenziert gegen die Freiheitseinschränkungen abzuwägen, bedarf es weiterer Faktoren: der Zahl der Erkrankten, der schweren Verläufe, der Todesfälle.

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© Reto Klar | Reto Klar

Fast 90 Prozent der Corona-Todesopfer sind älter als 69 Jahre alt. Das sind die Altersklassen, die derzeit geimpft werden. Wenn sie immunisiert sind, wird der Anteil der Verstorbenen an den Erkrankten zurückgehen. Israel, das Gelobte Land der Impfkampagne, hat eine Inzidenz von über 200 und geht zu Recht zur Normalität über.

Eine Inzidenz unter 50 erreichten am Donnerstag in Europa nur Liechtenstein, Gibraltar, die Färöer-Inseln und Island. Auch unter 100 bleiben nicht viele. Das ist aber der Wert, bei dem Bund und Länder die Lockerungen wieder infrage stellen und mit dem immerzu der Lockdown gerechtfertigt wird. Wollen wir mit dem Virus leben oder es ausrotten? Das ist die Frage hinter der Inzidenzdebatte.

Laut dem Virologen Christian Drosten ist das Risiko, an Covid-19 zu sterben, bis zu einem Alter von 45 Jahren nicht größer als bei Influenza. Danach steigt es mit dem Alter rasant an. Aber wenn die besonders gefährdeten Altersgruppen durch die Impfung vor den größten Risiken geschützt sind, muss man den Ansatz in Frage stellen, das öffentliche Leben herunterzufahren, weil auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen 100 Leute sich mit Sars-CoV-2 infizieren. Das ist irgendwann nicht mehr verhältnismäßig. Auch der Lockdown kann krank machen.