Hartz-IV-Sanktionen gelten teilweise als unmenschliche Gängelung. Viele fordern ihre Abschaffung. Betroffene urteilen aber anders.

  • Halten sich Hartz-IV-Empfänger nicht an die Vorgaben des Jobcenters, drohen Sanktionen wie Leistungskürzungen
  • Regelmäßig stehen solche Sanktionen in der Kritik – in der Corona-Pandemie wurden sie vorübergehend ausgesetzt
  • Eine dauerhafte Abschaffung der Strafen scheint aber keine Mehrheit zu finden
  • Und selbst die Betroffenen scheinen die Strafen zu befürworten

Wer Hartz IV bezieht, hat sich an bestimmt Regeln zu halten. Erscheinen Empfangende der Grundsicherung etwa zu spät zu Terminen, oder lehnen Jobangebote ab, drohen Leistungskürzungen – Betroffene rutschen dadurch immer wieder vorübergehend unter das Existenzminimum.

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Die Praxis des 2005 eingeführten "Fordern und Förderns" schaffte es vor das Bundesverfassungsgericht, das Ende 2019 urteilte, die Leistungen dürften nur noch um maximal 30 Prozent gekürzt werden. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) möchte unter anderem diese geringere Leistungskürzung in eine grundlegende Reform von Hartz IV überführen.

In der zwischenzeitlich ausgebrochenen Corona-Pandemie wurden die Sanktionen ausgesetzt, um Beziehende zu schützen. Die Maßnahme wurde kürzlich bis zum 31. Dezember 2021 verlängert.

Auf Dauer aber werden die Sanktionen wieder zurück kommen. Und damit haben die Beziehenden selbst überraschenderweise wohl kein Problem.

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Hartz-IV-Sanktionen: Keine Mehrheit für Abschaffung

Eine Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt zumindest, dass sich für eine Abschaffung der Sanktionen, wie sie etwa die Grünen im Bundestagswahlkampf fordern, kein Mehrheit unter den Empfangenden der Grundsicherung findet. Der "Spiegel" berichtete am Freitag zuerst über die Analyse.

Wenn Hartz-IV-Empfänger sich nicht an die Vorgaben des Jobcenters halten, drohen Sanktionen wie Leistungskürzungen.
Wenn Hartz-IV-Empfänger sich nicht an die Vorgaben des Jobcenters halten, drohen Sanktionen wie Leistungskürzungen. © dpa, Symbolbild | Patrick Seeger

Eine Befragung von Kunden und Kundinnen des Jobcenters Recklinghausen ergab laut DIW, dass 46 Prozent der befragten Hartz-IV-Empfangenden angaben, die Sanktionen bei Versäumnis oder Verfehlung sollte "auf keinen Fall" oder "eher nicht" dauerhaft ausgesetzt werden.

Für die Umfrage wurden 293 Beziehende zwischen November und Dezember 2020 befragt.

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"Auf jeden Fall" wollten nur 15 Prozent der Befragten die Sanktionen dauerhaft ausgesetzt sehen, 22 Prozent stimmten der Aussetzung “eher” zu. 16 Prozent wussten nicht, wie sie zu einer Abschaffung stehen oder konnten diese nicht beurteilen.

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Hartz-IV-Sanktionen: Warnung vor "pauschalen Diskursen"

Die DIW-Untersuchung kommt für den Bereich Hartz-IV-Sanktionen unter anderem daher zu dem Schluss, die Beibehaltung der Sanktionen würde auf vergleichsweise hohe Akzeptanz stoßen.

Ausdrücklich warnt die Untersuchung aber wohl auch im Licht der Befragung vor "allzu pauschalen Diskursen, die an den Realitäten der Grundsicherung sowie den Lebensrealitäten der Leistungsbeziehenden selbst vorbeigehen".

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Hartz-IV-Reform: Mehr Beziehende durch Vermögensreform?

Die DIW-Analyse untersucht neben der möglichen Abschaffung der Sanktionen auch zwei weitere grundlegende Reformbausteine hinsichtlich ihrer Kosten und ihres Nutzens.

Im Bereich des Vermögens soll mit der Reform künftig gelten, dass erst ab einem Vermögen von 60.000 Euro dieses auch auf Leistungen angerechnet, sprich aufgebraucht, werden soll. In Mehrpersonenhaushalten sollen pro Mitglied weitere 30.000 Euro geschont werden. Geld, das die Beziehenden oft in ihre private Altersvorsorge investiert haben.

Dadurch könnten künftig mehr Menschen die Grundsicherung beantragen, weil sie nicht fürchten müssen, ihre Ersparnisse antasten zu müssen. Auch die Offenlegung ihrer Finanzen bei Antragsstellung entfiele somit für mehr Menschen, eine nicht zu unterschätzende Hürde. Das Arbeitsministerium rechnet in der Folge mit 10.000 zusätzlichen Bedarfsgemeinschaften, die 120 Millionen Euro jährlich kosten könnten.

Zudem könnten theoretisch mit der Reform Situationen entstehen, in denen zum Beispiel eine vierköpfige Familie 150.000 Euro Vermögen besitzen könnte und dennoch Hartz IV beziehen könnte, ohne dass sie eine nicht unerhebliche Summe anrühren müsste.

Hartz-IV-Reform: Psychische Entlastung "monetär schwer zu bewerten"

Dazu heißt es in der DIW-Analyse, es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass solche Einzelfälle aufträten. Generell zeigten Verteilungsanalysen aber, dass Vermögen in Deutschland "sehr ungleich verteilt sind" und bis weit in die Mittelschicht hinein "keine sechsstelligen Ersparnisse und Vermögensrücklagen vorliegen".

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In anderen Worten: Es steht eher nicht zu befürchten, dass mit den angepeilten Reformen die Zahl Hartz-IV-beziehender (reicher) Menschen so sehr ansteigt, dass den Steuerzahlenden dadurch wesentliche Kosten enstehen. Das DIW-Papier spricht von einer "oberen Schätzung" durch das Ministerium.

Das Institut geht auch davon aus, dass Beziehende künftig weniger psychisch belastet würden, wenn sie ihr Erspartes nicht zum Lebensunterhalt aufbrauchen müssen. Dies sei "schwer monetär zu bewerten" – sprich nicht in Geld aufzuwiegen.