Washington. Der Krieg der USA in Afghanistan soll zu Ende gehen. Der Frieden ist brüchig – ein Abzug droht die Erfolge der letzten 20 Jahre zu verspielen.

  • Nach 20 Jahren Krieg wollen die USA eigentlich ihre Truppen aus Afghanistan abziehen
  • Ein mit den Taliban ausgehandeltes Abkommen sollte die mühsamen Erfolge absichern
  • Doch die radikalen Islamisten halten sich offenbar nicht an den Vertrag
  • Experten warnen davor, dass das Land in einen neuen Bürgerkrieg zurückfallen könnte
  • US-Präsident Joe Biden erwägt, die Truppen im Land zu lassen

Der mit bald 20 Jahren längste Kriegseinsatz in der amerikanischen Geschichte wird aller Voraussicht nach doch nicht in diesem Frühjahr mit dem endgültigen Truppen-Abzug aus Afghanistan enden.

Die neue Regierung unter Präsident Joe Biden hat Zweifel, ob ein unter Vorgänger Donald Trump ausgehandeltes Abkommen mit den radikal-islamischen Taliban, wie geplant bis Anfang Mai mit Leben erfüllt werden kann.

Experten raten dazu, mindestens solange Truppen im Land zu halten, bis eine tragfähige Vereinbarung zwischen Präsident Ashraf Ghani und den Taliban über eine Machtbeteiligung erzielt ist.

Andernfalls bestehe die Gefahr, dass Afghanistan (Stichwort: Rolle der Frauen) „wieder in die islamistische Steinzeit-Rigorosität der 90er Jahre zurückfällt”, sagen Kongress-Politiker von Demokraten wie Republikanern.

Eine Verlängerung des nach den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 begonnenen Einsatzes der Amerikaner am Hindukusch über den 30. April hinaus hat auch für die Bundeswehr Konsequenzen, die im Norden des Landes mit rund 1300 Kräften stationiert ist.

Am 17. und 18. Februar beschäftigen sich die Nato-Verteidigungsminister in einer Video-Konferenz mit dem Thema. Man ist gespannt, wie sich der neue Pentagon-Chef Lloyd Austin verhalten wird. Die wichtigsten Details auf einen Blick.

Afghanistan: Das ist die Ausgangslage

Donald Trump hatte vor einem Jahr mit den Taliban schriftlich vereinbaren lassen, dass bis Ende April 2021 die restlichen 2500 US-Soldaten abgezogen werden. Auch rund 10.000 „Contractor” des Pentagon (Söldner) sollen gehen. Was voraussichtlich den Rückzug aller anderen rund 8000 internationalen Streitkräfte zur Folge hätte.

Grund: Die US-Armee stellt Fähigkeiten bereit (Luftabwehr etc.), ohne die zum Beispiel die 1300 Bundeswehr-Soldaten im Norden des Landes im Angriffsfall schutzlos wären.

Die Taliban setzten durch, dass sie nur mit den Amerikanern verhandeln konnten. Die afghanische Regierung, demokratisch gewählt, blieb außen vor. Kritiker sehen darin rückblickend einen Kardinalfehler der Regierung Trump.

Rückzug aus Afghanistan: Woran ist der Abzug geknüpft?

An die Zusage der Taliban, die Kooperation mit Terror-Gruppen wie al-Kaida und Islamischer Staat zu beenden, US-Truppen nicht anzugreifen und echte Friedensverhandlungen mit der Regierung von Präsident Ashraf Ghani in Kabul einzugehen.

Jake Sullivan, Nationaler Sicherheitsberater Bidens, sagt, dass die USA zurzeit intensiv untersuchen, ob sich die Taliban an das Abkommen halten. John Kirby, der Sprecher des Verteidigungsministeriums, erklärte, es sehe derzeit nicht so aus, als könnte die USA ihren Teil der Verpflichtungen erfüllen, weil die Taliban nennenswert gegen den Deal verstießen.

Unter anderem, weil sie ihre „gewalttätigen Attacken gegen die afghanische Armee nicht stoppen” und dem Terrorismus „nicht abschwören”.

Afghanistan: Wie sieht die Realität am Boden aus?

US-Truppen, die seit 2001 über 2400 Tote in Afghanistan beklagen, bleiben zwar von Heckenschützen und Sprengsätzen am Straßenrand verschont. Stattdessen haben die Taliban Angriffe auf die mit Milliarden-Aufwand von den USA und anderen Truppenstellern ausgebildete afghanische Armee intensiviert.

Erst in der vergangenen Woche starben 14 Soldaten bei einem Überfall. Dazu greifen die Extremisten gezielt Protagonisten eines modernen Afghanistan an, die bei der von den Taliban angestrebten Wiederherstellung eines islamischen Emirats stören würden.

Die Zahl der Morde an Richtern, Journalisten, Staatsdienern und Aktivisten der Zivilgesellschaft ist zuletzt vor allem in der Hauptstadt Kabul gestiegen. In 2020 wurden nach Angaben einer unabhängigen Menschenrechtskommission in ganz Afghanistan rund 3000 tote und 5500 verletzte Zivilisten gezählt.

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    Krieg in Afghanistan: Wie steht es um die Friedensverhandlungen?

    Die Verhandlungen mit der Regierung in Kabul, die in Doha/Katar abgehalten werden, treten seit vergangenem September „auf der Stelle", sagen Insider im Kongress. Nicht mal auf die künftige Staatsform – parlamentarische Demokratie oder fundamentalistischer Scharia-Staat – habe man sich bisher verständigen können.

    Die Taliban verlangten vielmehr das Abtreten von Präsident Ghani. Bereitschaft zur Machtteilung oder ein erkennbares Kompromiss-Konzept für die Zukunft des Landes gebe es nicht. Auch von einer klaren Distanzierung von al-Kaida könne nicht die Rede sein, sagt das US-Finanzministerium.

    Danach nehme der Einfluss von al-Kaida zu statt ab. In Wahrheit beherbergten die Taliban al-Kaida-Terroristen als „Flüchtlinge”. Dazu kommen militärische Akzente: Wie der Generalinspekteur für den Wiederaufbau in Afghanistan, John Sopko, im Kongress berichtete, haben die Taliban nach Aufgabe von 200 Checkpoints der Armee allein in der Süd-Provinz Kandahar massenhaft Munition und Waffen erbeutet.

    Afghanistan: Was raten Experten der neuen US-Regierung?

    Eine von Demokraten wie Republikanern getragene Kommission unter Leitung von General Joseph Dunford, der früher Generalstabschef war, und der ehemaligen republikanischen Senatorin Kelly Ayotte spricht sich gegen einen übereilten Truppenabzug aus.

    Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Taliban – ohne die Präsenz einer schlagkräftigen Eingreiftruppe – aus dem Friedensprozess ausklinken, Afghanistan zurück in einen Bürgerkrieg zwingen, Terroristen Unterschlupf gewähren und den mühsam erkämpften partiellen Freiheitsgewinn der afghanischen Bevölkerung aufzehren, sei sehr groß, sagte Dunford.

    Unterschwellig spielt auch die Angst mit, dass im 20. Jahr nach den Terror-Anschlägen von „9/11” das Unverständnis in Amerika wachsen würde, wenn das Land am Hindukusch abermals zum Hort für Terroristen und Instabilität in der Region würde.

    Truppenabzug: Wo liegen die Risiken für Präsident Biden?

    Bricht er das Abkommen seines Vorgängers und hält US-Soldaten länger im Land, haben die Taliban die Wiederaufnahme der Attacken auf die als „ungläubige Besatzer” empfundenen internationalen Truppen angekündigt.

    Der in den Kinderschuhen steckende Interessenausgleich zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban wäre dann politisch „tot”. Biden will im Kern wie Trump Amerikas ältesten Krieg, der fast ein Billion Dollar gekostet hat, beenden – das aber verantwortungsvoll. Einen substanziellen Truppen-Aufwuchs wird es mit ihm nicht geben.

    Biden war, damals Vize unter Obama, bereits dagegen, als sich zwischen 2009 und 2011 die Zahl der US-Soldaten auf rund 130.000 erhöhte, ohne dass man den Taliban wirklich Paroli bieten konnte.

    Viel spricht dafür, dass Biden die USA als Schutzmacht der amtierenden Regierung in Kabul, die bei den vielen ethnisch grundierten regionalen Machtzentren nicht gut gelitten ist, im Einsatz hält. Bis ein ausverhandelter und zustimmungsfähiger Zukunftsvertrag mit den Taliban vorliegt.

    Bis dahin wäre eine US-Präsenz auch Garant dafür, dass sich traditionelle Einmischungen von Ländern wie Pakistan, Iran, Russland und China in Grenzen halten, sagen Afghanistan-Experten im US-Parlament.