Brüssel. Der russische Impfstoff wirkt laut einer Studie zu 91,6 Prozent. Ein Lieferangebot aus Moskau gibt es schon, die EU führt Gespräche.

Dieses Angebot mitten im Impfstoff-Chaos klingt für die einen wie das ersehnte Hoffnungssignal, für die anderen eher wie Hohn: Russland könnte der Europäischen Union zwischen April und Juni 100 Millionen Dosen des Impfstoffs Sputnik V liefern, genug für den Schutz von 50 Millionen Bürgern. So erklärt es der staatliche Direktinvestmentfonds Russlands, der das Vakzin im Ausland vermarktet.

Der Fonds und die Vakzin-Entwickler vom Gamaleja-Forschungsinstitut sondieren in Ostdeutschland schon Produktionsmöglichkeiten, etwa beim Dessauer Pharmahersteller IDT Biologika. Während dort die Gespräche laufen, präsentieren russische Forscher die Ergebnisse einer neuen, von unabhängigen Experten begutachtete Studie: Laut Zwischenergebnis hätte Sputnik eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent – etwa so wie die Vakzine von Biontech-Pfizer und Moderna.

Nicht nur in Russland wurde schon vor Abschluss der letzten Studienphase mit Sputnik V geimpft: Das Vakzin kommt beispielsweise auch in Algerien, hier in einem Krankenhaus in Blida, zum Einsatz.
Nicht nur in Russland wurde schon vor Abschluss der letzten Studienphase mit Sputnik V geimpft: Das Vakzin kommt beispielsweise auch in Algerien, hier in einem Krankenhaus in Blida, zum Einsatz. © Farouk Batiche/dpa | Farouk Batiche/dpa

Russischer Impfstoff: Deutsche Politiker plädieren für Zulassungs-Prüfung

Nicht nur die Offerte und die Studie sind überraschend, die Einschätzung aus der Politik in Deutschland ist es auch. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach plädierte für eine rasche Prüfung durch die EU: „Die Studie zum Sputnik-Impfstoff ist überzeugend und aus meiner Sicht eine ausreichende Grundlage dafür, dass die EMA die Zulassung in Europa prüfen sollte.“ Der russische Impfstoff wäre eine wichtige Ergänzung, das Impfprinzip sei „eher schlüssig“, erklärte Lauterbach.

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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zeigt sich offen für solche Importe: Sei ein Impfstoff sicher und wirksam, dann spiele das Herkunftsland keine Rolle, sagt der Minister. Hauptsache, es helfe gegen die Pandemie. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert, die europäische Zulassungsbehörde sollte schnellstmöglich den russischen Impfstoff prüfen - und den aus China gleich dazu. Sind ausgerechnet die Mittel aus Russland und China in der Corona-Krise Teil der Rettung für Europa, wo Impfstoff noch für längere Zeit Mangelware ist?

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Noch ist es nicht so weit, aber ein Tabu ist es auch nicht mehr. Als Russland schon im vorigen August sein Vakzin Sputnik V für die breite Anwendung in der Bevölkerung freigab, hagelte es international noch viel Kritik - denn die dritte und kritische Testphase war noch gar nicht abgeschlossen.

Seit Anfang Dezember sind in Russland vier Millionen Sputnik-Dosen verimpft worden, jetzt beginnt auch die Massenproduktion eines zweiten Impfstoffs. China hat einen Impfstoff des Konzerns Sinopharm eine bedingte Zulassung erteilt, die Massenimpfung läuft seit Wochen, ohne das Ergebnisse aus der dritten Testphase bekannt sind. Auch ein Mittel des Konzerns Sinovac ist in China testweise im Einsatz. Die Weltgesundheitsorganisation WHO prüft, ob sie für beide Vakzine eine Notfallgenehmigung erteilt, doch das dürfte dauern.

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Noch ist die Sicherheit der Mittel unklar

Vorsicht ist weiter geboten: Für westliche Experten lässt sich die Sicherheit und Wirksamkeit dieser Mittel mangels Daten noch nicht zuverlässig beurteilen, entscheidende Testergebnisse fehlen. Russland und China haben aber längst begonnen, zahlreiche Länder rund um den Globus mit den Arzneien zu beliefern - und sich in ihrer Propaganda als verlässliche Wohltäter in der Corona-Krise zu preisen.

Acht Länder Mittel- und Südamerikas, aber auch Iran, Algerien oder Belarus haben in Moskau geordert und teilweise erste Tranchen erhalten. Peking hat etwa Ägypten, Pakistan und den Vereinigten Arabischen Emiraten Vakzine zugesagt, auch hier werden erste Empfänger bereits beliefert. Lesen Sie hier: Welche Corona-Mutationen gibt es bereits in Deutschland?

In Europa setzt Serbien seit Wochen russischen und chinesischen Impfstoff ein, nun hat auch das EU-Mitglied Ungarn fünf Millionen Impfdosen von Sinopharm bestellt und zwei Millionen Sputnik-Einheiten. Dafür hat Ungarn eine Notzulassung erteilt, was in der EU jeder Mitgliedstaat auf eigene Verantwortung tun kann. Ungarns Premier Viktor Orban verspricht, er werde sich auch selbst mit chinesischem Sinopharm spritzen lassen, nachdem „aus Brüssel“ kein Impfstoff komme.

Folgt bald die gesamte EU? Zumindest beim Sputnik-Vakzin ist das möglich, aber nicht so schnell. Mit den russischen Entwicklern führt die EU-Arzneimittelagentur EMA schon Gespräche, wie ein hoher EMA-Vertreter bestätigt. Erstmal muss festgestellt werden, welche Tests und Daten notwendig sind, damit die russischen Hersteller überhaupt einen Zulassungsantrag bei der EMA stellen können. Was fehlt, sind vor allem Ergebnisse der klinischen Tests. Mit den vorliegenden Daten, so viel ist klar, ist nicht mal eine Prüfung durch die EU-Behörde möglich.

Corona: Die Kanzlerin bietet Putin schon Hilfe an

Allerdings: Am Dienstag veröffentlichte die Fachzeitschrift „The Lancet“ die von unabhängigen Experten geprüften Zwischenergebnisse einer klinischen Studie in Russland, die dem Sputnik-Vakzin eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent bescheinigt. Ein beachtlicher Etappenerfolg. Die russischen Forscher erklären, in der Testphase III seien 20.000 Probanden untersucht worden, darunter 2000 im Alter über 60 Jahren.

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Es habe in wenigen Fällen schwerwiegende Nebenwirkungen gegeben, vier Menschen seien während der Studie gestorben - was aber laut den Autoren nicht auf den Impfstoff zurückzuführen ist, sondern auf Vorerkrankungen oder Folgen einer Corona-Infektion schon vor der Impfung. Ansonsten listet die Veröffentlichung jetzt solche Nebenwirkungen auf, die auch von den Mitteln von Biontech-Pfizer, Moderna und Astrazeneca bekannt sind: Kopfschmerzen, Schmerzen an der Einstichstelle, Müdigkeit, Übelkeit.

Für einen Zulassungsantrag bei der EU-Arzneimittelagentur genügt auch die neue Studie nicht. Doch die Gespräche könnte es jetzt beschleunigen. Kanzlerin Angela Merkel hatte Russlands Präsident Wladimir Putin bereits Unterstützung deutscher Fachleute für eine EU-Zulassung angeboten; das bundeseigene Berliner Paul-Ehrlich-Institut könnte demnach mit seiner Expertise helfen.

Und wenn die EU grünes Licht geben sollte, hält Merkel auch eine gemeinsame Produktion des Impfstoffs für möglich. Darüber sprach Putin auch schon mit EU-Ratspräsident Charles Michel. Lesen Sie auch: Merkel bringt Beschränkungen für Impfverweigerer ins Spiel