Berlin/Brüssel. Die Impfkommission bezweifelt die Wirksamkeit des Impfstoffs von Astrazeneca bei Senioren. Was bedeutet das für die deutsche Planung?

  • Die Ständige Impfkommission empfiehlt den Impfstoff von Astrazeneca nur für Menschen im Alter von 18 bis 64 Jahren
  • Das Vakzin von Astrazeneca soll voraussichtlich am Freitag in der EU zugelassen werden.
  • Weiterhin gibt es zudem keine Lösung, wie Astrazeneca Lieferengpässe bei seinem Corona-Impfstoffüberbrücken und Verträge mit der EU erfüllen will
  • Die eingeschränkte Empfehlung könnte die deutsche Impfstrategie ins Wanken bringen. Muss die Impf-Reihenfolge geändert werden?

Im Kampf gegen Corona sollte es ein starkes Signal der Hoffnung für alle Europäer werden: An diesem Freitag wird die europäische Arzneimittelagentur EMA in Amsterdam endlich auch den Impfstoff des britisch-schwedischen Pharmakonzerns Astrazeneca zulassen.

Das Vakzin gilt als relativ einfach zu handhaben, weil es für die Lagerung statt extremer Tiefkühlung nur Kühlschranktemperaturen braucht, und es kostet mit 1,78 Euro pro Dosis nur ein Siebtel des Preises, den Biontech-Pfizer für eine Spritze verlangt. Doch die Hoffnung auf eine schnelle Wende in der Pandemie wurde diese Woche gleich mehrfach enttäuscht.

Astrazeneca-Impfstoff: Nur eingeschränkte Empfehlung und Lieferprobleme

Neben dem Streit um die Liefermengen dürfte vor allem eine Nachricht die die Impfstrategie in Deutschland deutlich ausbremsen: Zwar empfiehlt die Ständige Impfkommission auch die Corona-Impfung mit dem Vakzin des britisch-schwedischen Herstellers Astrazeneca – allerdings mit einer entscheidenden Einschränkung. Aufgrund von derzeit verfügbaren Daten werde dieser Impfstoff nur für Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren empfohlen, hieß es am Donnerstag im Bundesgesundheitsministerium.

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Die klinischen Tests für das Vakzin waren vorwiegend mit jüngeren Personen gemacht worden, nur drei Prozent der Probanden waren über 70 Jahre alt. Experten in Brüssel und in Berliner Regierungskreisen fürchteten deshalb schon länger, dass die EU-Behörde auf dieser Grundlage ihre Marktzulassung nur für Jüngere erteilen würde, die Anwendung bei Älteren ab 65 Jahren aber erlaubt sei.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) machte deutlich, dass die endgültige Empfehlung der Stiko erst nach der Zulassung durch die EMA erfolge. Zugleich verwies er darauf, dass die kleinere Datengrundlage bei älteren Menschen seit Herbst bekannt sei. Es seien „nicht schlechte Daten, sondern zu wenige Daten“, sagte der Minister.

Probleme mit Astrazeneca: Muss die Impf-Reihenfolge geändert werden?

Noch bevor die EMA entscheiden konnte, legte sich in Deutschland die Ständige Impfkommission nun fest. Da die deutsche Impfstrategie darauf fußt, erst Risikopatienten, also vor allem Senioren, gegen das Coronavirus zu immunisieren, muss die Planung nun wahrscheinlich deutlich angepasst werden. Von dem preiswerten Impfstoff des britisch-schwedischen Unternehmens hatte sich die Bundesregierung nämlich gleich 60 Millionen Dosen gesichert – vergleichsweise viel.

An der Priorisierung beim Impfen in Deutschland soll sich zunächst nichts ändern: Aufgrund begrenzter Verfügbarkeit soll die Impfung zunächst nur bestimmten Bevölkerungsgruppen angeboten werden. Dabei gilt als Maßgabe weiterhin ein besonders hohes Risiko für schwere oder tödliche Verläufe einer COVID-19-Erkrankung oder aber berufliches Kontakt-Risiko, zum Beispiel bei Ärzten oder Pflegepersonal.

Lauterbach: Impfung mit Biontech- oder Moderna-Vakzin nur für über 65-Jährige

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sprach sich dagegen für eine Änderung der Impf-Reihenfolge aus. „Jetzt sollten die vielen unter 65-Jährigen in den Impfgruppen I, II und III den Impfstoff von Astrazeneca bekommen“, sagte der Epidemiologe dieser Redaktion.

Aus seiner Sicht mache es keinen Sinn „den für Ältere wertvolleren Impfstoff von Moderna und Biontech für Pflegekräfte, Polizisten, Justizbeamte, Regierungsmitglieder oder Abgeordnete einzusetzen“. Für diese Gruppen sei der Vektor-Impfstoff von Astrazeneca gut genug geeignet. Um dies umzusetzen müsste wahrscheinlich die Ministerverordnung über die Impf-Reihenfolge geändert werden.

Wirksamkeit des Astrazeneca-Impfstoffs geringer

Zur Problematik kommt hinzu, dass die Wirksamkeit des Vakzins mit 70 Prozent deutlich geringer als die von Biontech und Moderna getestet wurde. Allerdings hat die Weltgesundheitsorganisation ebenso wie die Zulassungsbehörden in der EU und den USA einen Schwellenwert von 50 Prozent für die erforderliche Wirksamkeit des Impfstoffs festgelegt.

Für die Einführung des Vakzins stellt dies also kein Hindernis dar. Trotzdem wirft die geringe Wirksamkeit im Gegensatz zu den mRNA-Impfstoffen, die bei deutlich über 90 Prozent der Probanden anschlugen, Fragen auf.

Astrazeneca betonte indes die Zuverlässigkeit seines Produkts auch bei Älteren. Die jüngsten klinischen Daten hätten gezeigt, dass der in Zusammenarbeit mit der Universität Oxford hergestellte Impfstoff auch bei über 65-Jährigen wirksam sei, sagte ein Sprecher des britisch-schwedischen Unternehmens am Donnerstag.

Krisentreffen zwischen EU und Astrazeneca brachte wohl keine Annäherung

Bisher stehen die bestellten Dosen des Astrazeneca-Vakzins zur Verimpfung eh noch nicht bereit. Der Hersteller hält trotz EU-Protesten an seiner Ankündigung fest, dass die geplante Lieferung an die EU-Staaten im ersten Quartal um 60 Prozent, auf nur noch 31 Millionen Dosen, gekürzt wird. Auch ein drittes Krisentreffen am Mittwochabend zwischen Unternehmensleitung, der EU-Kommission und Vertretern der EU-Staaten brachte keine Annäherung – lediglich die Aussicht, dass Astrazeneca die Lieferung im ersten Quartal vielleicht doch noch etwas ausweiten, und nach dem Start am 7. Februar auf jeden Fall beschleunigen will.

Die EU will die Kürzung nicht hinnehmen, sie beruft sich auf den Vertrag. Das Unternehmen auch. Es steht Aussage gegen Aussage. Deshalb wird der Ruf nach einer Veröffentlichung der Vereinbarung lauter. Die EU-Kommission ist dafür, der Druck im EU-Parlament wächst. Nun lenkt auch das Unternehmen ein, will einer Offenlegung mit Schwärzung bestimmter Stellen zustimmen, wie EU-Kreise am Donnerstag erklärten.

Behält die EU recht, könnte sie das Unternehmen verklagen. Aber hilft das? „Es geht nicht ums Geld, es geht ums Impfen“, mahnt die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley (SPD).

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Impfgipfel mit Ländern und Pharmafirmen soll Klarheit bringen

Deshalb wird jetzt in Brüssel wie in Berlin nach Wegen gesucht, die zugelassenen Impfstoffe auch von weiteren Pharmaunternehmen produzieren zu lassen. Die Bundesregierung kündigte auf Drängen von Koalitionspolitikern einen Impfgipfel mit den Ländern und Pharmafirmen an, bei dem auch beraten werden soll, wie sich Kooperationen der Industrie nutzen ließen. Europa, fordert Gesundheitsminister Spahn, müsse „seinen fairen Anteil erhalten.“ Lesen Sie dazu: Spahn will Impfgipfel – und rechnet mit zehn harten Wochen

Wie es gehen könnte, macht Astrazeneca selbst vor. Seinen Impfstoff lässt es unter anderem auch vom indischen Pharmariesen SII herstellen, die Produktion brummt: Marokko etwa erhielt aus Indien vergangenen Freitag zwei Millionen Impfdosen vom Astrazeneca-Vakzin, am Donnerstag gab König Mohammed VI den Startschuss für die große Impfkampagne in seinem Land.

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(mit gau, fmg, dpa)