Berlin/Düsseldorf. Nach dem Parteitag muss die Union nun entscheiden, ob sie mit dem neuen CDU-Chef in die Bundestagswahl zieht – oder mit Markus Söder.

Der frühere Grünen-Außenminister Joschka Fischer hat die Spitzenpolitik einmal mit Ex­trembergsteigen verglichen. Das Kanzleramt ist dabei quasi der Mount Everest, die Luft dort oben lebensgefährlich dünn.

So gesehen hat Armin Laschet am Wochenende einen Fünftausender geschafft. Auf dem digitalen Parteitag der CDU setzte sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident am Sonnabendmittag in der Stichwahl mit 521 von 991 abgegebenen Delegiertenstimmen gegen seinen Konkurrenten Friedrich Merz durch, der 466 Stimmen erhielt. Der dritte Kandidat, Norbert Röttgen, war bereits im ersten Wahlgang mit 224 Stimmen ausgeschieden.

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Laschet bleibt nicht viel Zeit, die CDU neu aufzustellen

Viel Zeit, die CDU neu aufzustellen, bleibt dem neuen Parteichef nicht. Denn bis Jahresmitte muss die Union entschieden haben, wen sie als Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl ins Rennen schickt. Deshalb begleitet Laschet forthin nicht nur die Frage, ob er die Partei wieder einen kann. Sondern auch die, ob er geeignet ist, den Wettbewerb um die „Todeszone“ Kanzleramt in Angriff zu nehmen.

In Machtfragen verlässt sich Armin Laschet von jeher auf Ratschläge seiner Eltern. Das war schon 1980 so, als er als 19-jähriger Jungunionist im Vorprogramm des Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß in Aachen auftreten durfte. Seine Mutter Marcella hatte ihm einen Zettel in die Tasche gesteckt: „Red nicht so geschwollen.“ Daran hat sich Laschet immer gehalten.
Am Sonnabend nun lieh ihm für den CDU-Parteitag sein inzwischen 86-jähriger Vater Heinz die alte Kumpel-Fahrmarke aus dem Bergwerk. Ein Glücksbringer und Symbol für Verlässlichkeit. „Sag den Leuten, sie können dir vertrauen“, habe ihm der Vater geraten, sagte Laschet in seiner Bewerbungsrede. Es traf den Nerv der Delegierten.

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Das rheinisch-katholische Milieu, dem Laschet entstammt, hat ihm ein sicheres Gespür für die Parteiseele vermittelt. Wenn es wichtig wird, braucht Laschet keine bezahlten Beraterstäbe zu vermeintlichen „Gewinnerthemen“. Er kann als bald 60-Jähriger auf einen Vorrat an Gewissheiten zurückgreifen.

Armin Laschet zum neuen CDU-Vorsitzenden gewählt

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    Laschets größte Stärke ist auch seine größte Schwäche

    In seinem emotionalen Verhältnis zur „Familie CDU“ erinnert Laschet ein wenig an Helmut Kohl. Sich rund um die Uhr für die Partei aufzureiben ist für ihn keine Arbeit. Laschet liebt diese Gremiengeselligkeit. Hinzu kommt seine Fähigkeit, verschiedene Denkschulen zu integrieren und – wie in einer richtigen Familie – selbst den störrischsten Onkel auszuhalten. So hat Laschet bereits die notorisch intrigante NRW-CDU geeint. Wer Kanzler werden will, muss von der eigenen Partei getragen werden.

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    Auch die fürs Spitzenamt notwendige körperliche Härte brächte Laschet mit. Er kann 18-Stunden-Tage mit Cola, guter Laune und zahlreichen Zigarillos durchstehen. Mit einer hohen Niederlagen-Resilienz läuft Laschet zudem nie Gefahr, die Brocken hinzuwerfen.

    Laschets größte Stärke ist aber zugleich die größte Schwäche: seine Authentizität und die fehlende Bereitschaft, ein politisches Ich abzuspalten. Er kann sich schlecht den Erfordernissen der Mediendemokratie unterwerfen. Botschaften verrutschen regelmäßig.

    Laschet fallen Amtsautorität und Führungsstärke schwer

    Laschet wirkt oft im öffentlichen Auftritt, im politischen Handwerk, in Strategie und Priorisierung von Problemen undiszipliniert. Es fällt ihm schwer, Amtsautorität, Führungsstärke und Kurssicherheit medial zu vermitteln. Vieles wirkt handgestrickt. Sein Umfeld? Bis auf den klugen NRW-Staatskanzleichef Nathanael Liminski oder wenige erfahrene Ratgeber im Hintergrund wie Landesinnenminister Herbert Reul kaum Bundesliga-tauglich. Seine schlechten Umfragedaten sind Spiegelbild solcher Schludrigkeiten.

    Dass Laschet wollen würde, wenn er könnte, steht außer Frage. Gerungen hat er mit sich, ob er CDU-Chef werden soll. Als sich mit dem Rückzug von Angela Merkel vom Parteivorsitz vor zwei Jahren zum ersten Mal die Möglichkeit auftat, zögerte er noch. Diesmal hat er sich für die Kandidatur entschieden und damit auch für die Option, den Achttausender namens Kanzleramt zu erklimmen.

    CSU-Chef Söder machte eigene Ambitionen deutlich

    Offiziell ist Laschet klug genug, die K-Frage vorerst offen zu halten. „Ich will alles tun, dass wir bei der Bundestagswahl wieder dafür sorgen, dass die Union den nächsten Kanzler stellt“, sagte er bewusst vage in seiner Dankesrede. Auch in mehreren TV-Interviews blieb er bei der mit der CSU vereinbarten Linie: Man werde dies „gemeinsam“ mit der Schwesterpartei entscheiden.

    CSU-Chef Markus Söder machte unterdessen erneut seine eigenen Ambitionen klar. Auf die Frage von ZDF-„Heute-Journal“-Moderator Christian Sievers, ob Laschet als neuer Parteichef nicht auch der „natürliche Kanzlerkandidat“ der Union sei, wich Söder aus. Laschet sei „der natürliche Parteivorsitzende“. Erneut warnte Söder vor einem „Frühstart“ in der K-Frage. Diese müsse „um Ostern herum“ entschieden werden.

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    Das Kalkül: Gelingt der CDU bei den Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ein nennenswerter Gewinn oder gar Machtwechsel, wird Laschet niemand mehr die Kandidatur absprechen können. Verliert die CDU, wird nach einem anderen Kandidaten gerufen werden. Dann, so Söders Hoffnung, schlägt seine Stunde.

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    Jens Spahn hat sich selbst ins Aus geschossen

    Ein dritter Interessent hat sich gerade selbst ins Aus geschossen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sorgte mit seinem ungeschickten Auftritt beim Parteitag für Unmut. Er hatte sich in der Aussprache nach der Vorstellungsrunde der Kandidaten zu Wort gemeldet und für Laschet geworben, statt eine Frage zu stellen. Dieses auf normalen Wahlparteitagen übliche Vorgehen wirkte im verkürzten Digitalformat deplatziert. Im Merz-Lager ist von einem „groben Foul“ die Rede. Kleinlaut bat Spahn später um Entschuldigung.

    Als Teampartner habe er noch einmal für Laschet werben wollen, twitterte er: „Das sorgte und sorgt für Irritationen.“ Er sehe „im Nachhinein“ ein, dass das nicht das passende Format gewesen sei: „Das bedauere ich.“

    Armin Laschet dürfte der Fehltritt nicht ungelegen kommen. Denn Spahn war im Vorfeld damit aufgefallen, dass er lieber eigene Chancen auslotete, als seinen Kandidaten mit vollem Einsatz zu unterstützen. Spahns Fauxpas bedeutet für Laschet: eine Sorge weniger.