Washington. Trumps fragwürdiges Telefonat mit dem Wahlleiter in Georgia ist ein versuchter Staatsstreich, meint unser Kommentator Dirk Hautkapp.
Als in den 70er Jahren Richard Nixons Tonbänder ans Tageslicht kamen, die seine Mitwisserschaft in der Watergate-Affäre beglaubigten und zu seinem Sturz führten, sprach man von einer "smoking gun".
Um das Beweisstück in Donald Trumps jüngstem Staatsstreichversuch zu klassifizieren, muss man die Waffen-Gattung wechseln: Flammenwerfer.
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Trumps Skandal-Telefonat ist ein Versuch autokratischer Machtergreifung
Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika hat den Wahlleiter eines US-Bundesstaates in einem Skandal-Telefonat bekniet, nachträglich das Wahlergebnis vom 3. November zu fälschen und ihn zum Sieger erklären.
Brad Raffensperger sollte in Georgia durch "Neu-Kalkulation" jene 11.780 Stimmen beibringen, mit denen Biden den Südstaat knapp für sich entschieden hat. Der republikanische Funktionär, seit Wochen massiver Attacken von Trump-Fans bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt, hat sich dem Coup verweigert.
Trumps beispielloser Versuch der autokratischen Machtergreifung könnte für die am Dienstag in Georgia zur Stichwahl stehenden republikanische Senatoren Perdue und Loeffler den Todesstoß bedeuten. Verlieren sie gegen ihre demokratischen Herausforderer, vergrößert sich für Präsident Biden ab 20. Januar der politische Handlungsspielraum immens. Andersherum droht er durch die dann weiter intakte republikanische Blockademacht im Senat ausgehungert zu werden.
Trumps Geringschätzung für die Demokratie kennt keine Grenzen
Was der Fall zeigt: Trumps Geringschätzung für die Demokratie, die auf dem Prinzip der friedlichen Machtübergabe nach Wahlen beruht, kennt keine Grenzen. Was sich der landesweit mit über sieben Millionen Stimmen Unterschied abgewählte Populist auf der Zielgeraden seiner Präsidentschaft erlaubt, ist kriminell und einer Amtsenthebung würdig.
Wer die Tonband-Aufnahme aufmerksam studiert, fühlt sich an schlechte Filme mit übergeschnappten Mafia-Paten erinnert. Trump ergeht sich nach wie vor in hanebüchenen Verschwörungstheorien, die belegen sollen, dass ihm der Wahlsieg gestohlen wurde. Ist er nicht. Dass 60 Gerichtsverfahren - bis hin zum Obersten Gerichtshof - sämtlichen Anschuldigungen den Wind aus den Segeln genommen haben, blendet der Egomane aus.
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Trump: Getrieben von Angst und Verzweiflung
Das hat längst nicht nur krankhafte Züge. Zu erklären ist das an Nötigung grenzende Verhalten Trumps wenige Tage vor der Amtseinführung Joe Bidens vor allem durch tiefste Verzweiflung. Trump hat vor der programmierten strafrechtlichen Verfolgung, die ihm an vielen Fronten droht, wenn die präsidiale Immunität erloschen ist, so große Angst, dass er alles zu unternehmen bereit ist, um den Start seines Nachfolgers zu unterminieren.
Normalerweise sind Parlamente wirksame Prell-Böcke gegen solche eher in Bananen-Republiken vermuteten Allmachts-Phantasien. Washington kann darauf nur teilweise bauen. Über 150 republikanische Parlamentarier, die sich in die mentale Geiselhaft des Präsidenten begeben haben, wollen am Mittwoch im Kongress Trump wie Komplizen die Stange halten bei dem zum Scheitern verurteilten Last-Minute-Versuch, den Sieg von Joe Biden anzufechten.
Ex-Verteidigungsminister warnen Trump vor Einsatz des Militärs
Parallel dazu werden auf den Straßen der amerikanischen Hauptstadt Tausende Pro-Trump-Anhänger Druck machen, der nach einschlägigen Erfahrungen der Sicherheitsbehörden erneut in Krawallen enden könnte.
Was dann? Zehn (!) ehemalige US-Verteidigungsminister warnen eindringlich davor, das Militär zur Lösung des Streits einzusetzen. In einer intakten Demokratie sind solche Warnungen überflüssig. In Amerika heißt der Commander-in-Chief noch bis zum 20. Januar Donald Trump.
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