Berlin. In ihrer Neujahrsansprache trauert Kanzlerin Angela Merkel um die Corona-Toten und greift die Pandemie-Leugner ungewöhnlich scharf an.

  • Auch für Angela Merkel war 2020 kein leichtes Jahr, wenn nicht sogar das schwerste in ihrer politischen Karriere
  • Das war auch ihrer Neujahrsrede anzumerken - es ist ihre letzte, bevor sie 2021 das Amt abgibt
  • Dabei richtete sie sich vor allem an jene Menschen, die die Corona-Pandemie leugnen
  • Doch es ist nicht nur Merkels letzte, sondern auch ihre dramatischste Neujahrsansprache

Neujahrsansprachen sind ein Klassiker im Repertoire deutscher Regierungschefs. Sie gehören zu Silvester dazu wie das Feuerwerk und sind in der Regel eine Mischung aus Rückschau, Danksagung und kleinem Ausblick in wohl gesetzten Worten. Doch zu diesem Jahreswechsel ist alles anders. Für Angela Merkel ist es die letzte Neujahrsansprache – und zugleich die dramatischste ihrer ganzen Karriere. Lesen Sie auch: 15 Jahre im Amt: Die kompromisslose Kanzlerin Merkel

„2020 ist etwas über uns gekommen, womit die Welt nicht gerechnet hatte“, sagt sie darin. „Es trifft uns da, wo wir am allermenschlichsten sind: im engen Kontakt, in der Umarmung, im Gespräch, beim Feiern.“ Das Virus mache normales Verhalten zu einem Risiko und ungewohnte Schutzmaßnahmen zur Realität.

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Angela Merkel: Ihre eigene Ohnmacht ist in ihrer Rede zu spüren

Die Pandemie nennt die Kanzlerin „eine politische, soziale, ökonomische Jahrhundertaufgabe“. Sie sei eine „historische Krise, die allen viel und manchen zu viel auferlegt hat“, so Merkel: „Ich weiß, dass es ungeheures Vertrauen und Geduld von Ihnen verlangt hat und weiter verlangt, sich auf diesen historischen Kraftakt einzulassen.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht bei ihrer jährlichen Neujahrsansprache.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht bei ihrer jährlichen Neujahrsansprache. © dpa

Auch ihre eigene Ohnmacht angesichts einer völlig neuen, nie dagewesenen Gefahr klingt in Merkels Ansprache an: „Wir mussten im Frühjahr auf ein Virus reagieren, über das es kaum gesichertes Wissen und Informationen gab. Wir mussten Entscheidungen treffen, von denen wir zunächst nur hoffen konnten, dass sie sich als richtig erweisen würden.“

Neujahrsansprache von Merkel - Kanzlerin dankt Pflegekräften

In ihrer Rede erwähnt Merkel auch die über 32.000 Corona-Tote in Deutschland: „Wir dürfen als Gesellschaft nicht vergessen, wie viele einen geliebten Menschen verloren haben, ohne ihm in den letzten Stunden nah sein zu können. Ich kann ihren Schmerz nicht lindern. Aber ich denke an sie, gerade auch heute Abend.“

Dann greift sie – in ungewohnt drastischen Worten – all jene an, die die Pandemie verharmlosen oder sogar leugnen. „Ich kann nur ahnen, wie bitter es sich anfühlen muss für die, die wegen Corona um einen geliebten Menschen trauern oder mit den Nachwirkungen einer Erkrankung sehr zu kämpfen haben, wenn von einigen Unverbesserlichen das Virus bestritten und geleugnet wird“, sagte Merkel: „Verschwörungstheorien sind nicht nur unwahr und gefährlich, sie sind auch zynisch und grausam diesen Menschen gegenüber.“

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Erneut dankte Merkel den Pflegekräften und allen, in der Krise im besonderen Einsatz waren. Das neue Jahr werde noch eine ganze Weile schwierig bleiben. Aber die Fortschritte der Wissenschaft und der Beginn der Impfungen gebe Grund zur Hoffnung. Auch sie selbst werde sich impfen, „wenn ich an der Reihe bin“.

2020 war auch für Merkel selbst ein Ausnahmejahr

Merkels Rede wird am Silvesterabend im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt, zunächst im ZDF gegen 19.15 Uhr, dann in der ARD nach der Tagesschau um 20.10 Uhr. Parallel dazu ist sie auch im Livestream sowie in den dritten Programmen zu sehen. 2020 war auch für Merkel selbst ein Ausnahmejahr. Nachdem sie vor zwei Jahren den CDU-Parteivorsitz nach langem Zögern abgegeben hatte, wollte sie sich auf einen guten Ausklang ihrer Kanzlerschaft konzentrieren und dabei vor allem im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Akzente setzen.

Daraus ist nicht viel geworden. Denn obwohl es Merkel gelang, an der Spitze der EU-Kommission mit Ursula von der Leyen eine Vertraute zu installieren, wurden alle anderen Themen von der Corona-Krise überlagert. Die Pandemie wird auch das beherrschende Thema der letzten Monate von Merkels Kanzlerschaft bleiben.

Ganz am Schluss ihrer Neujahrsrede wird Merkel deshalb noch einmal persönlich, thematisiert kurz das bevorstehende Ende ihrer Kanzlerschaft. Es sei „aller Voraussicht nach das letzte Mal“, dass sie sich mit einer Neujahrsansprache an die Bürger wenden dürfe. Ganz ausschließen, dass Merkel noch ein weiteres Mal zum Jahresende vor die Kamera tritt, kann man nicht: Wenn sich zu Silvester 2021 noch keine neue Regierung gebildet hätte, wäre sie immer noch geschäftsführend im Amt.

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