Berlin. Vor Weihnachten mehren sich beunruhigende Nachrichten über die Entwicklung der Corona-Pandemie. Welche Lichtblicke gibt es trotzdem?

„Bitte“, sagt Lothar Wieler eindringlich. „Bitte reduzieren Sie Ihre Kontakte auf das absolute Minimum. Reisen Sie nicht.“ Und noch einmal: „Bitte bleiben sie einfach zu Hause. Bitte.“ Zwei Tage vor Heiligabend klingt der Chef des Robert Koch-Instituts (RKI) besorgter denn je. Zurzeit verschlechtere sich die Lage weiter, die Zahlen stiegen, trotz hartem Lockdown. „Uns stehen schwere Wochen bevor, wir sollten sie nicht noch schwerer machen.“

Zwar kann bereits am kommenden Sonntag in Deutschland mit den ersten Impfungen begonnen werden - doch an der Infektionslage ändert das zunächst einmal nichts. Im Gegenteil: „Wir befürchten, dass sich die Lage durch die Feiertage noch weiter anspannen wird“, mahnt Wieler. Welche Faktoren sind jetzt wichtig? Was macht Hoffnung, was bereitet Sorgen?

Corona-Entwicklung: Steigende Fallzahlen, Sieben-Tage-Inzidenz auf Rekordniveau

Die Sieben-Tage-Inzidenz hat bundesweit einen neuen Höchststand erreicht – mit knapp 198 neuen Fällen pro 100.000 Einwohner. In Sachsen und Thüringen liegt die regionalen Wert zum Teil mehr als doppelt so hoch. Mehr als 5000 Menschen liegen auf den Intensivstationen, mehr als 27.000 Menschen sind inzwischen mit oder an Covid-19 gestorben.

Die Zahl der infizierten Ärzte und Pflegekräfte nimmt weiter zu. „Ohne sie helfen auch freie Betten nichts“, sagt Wieler. Seine Prognose: Trotz harten Lockdowns werde es noch mehrere Wochen dauern, bis die Fallzahlen zurückgingen. Hinzu kommt: Durch die am 27. Dezember startende Impfung werden zwar voraussichtlich schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle verhindert – doch noch ist unklar, ob der aktuell zugelassene Impfstoff von Biontech auch die Weitergabe des Virus an andere verhindert.

Riskanter Reiseverkehr lässt das Coronavirus zirkulieren

„Wenn ich sehe, dass immer noch Zehntausende reisen – das ist für mich schwer nachvollziehbar“, sagt RKI-Chef Wieler. Der Reiseverkehr hilft dem Virus bei der Verbreitung. Beispiel Deutsche Bahn: Zu Weihnachten kalkuliert die Bahn mit einer Auslastung von 35 bis 40 Prozent. Sie setzt 100 Sonderzüge auf den Hauptstrecken ein. Das hilft, die Bewegungen zu entzerren und die Mindestabstände in den Zügen einzuhalten. Aber es ist auch ein Reiseanreiz.

Am Montag hatte die Bundesregierung zum Verzicht auf Weihnachtsbesuche aufgerufen. Es geht nicht allein darum, ob sich jemand in Bus, Bahn oder Flugzeug ansteckt. Vielmehr zirkuliert das Virus. Wie stark, verdeutlicht eine Zahl: Bevor die Bundesregierung in der Nacht zu Montag die Airports für alle Flüge aus Großbritannien sperrte, wurden alle Passagiere auf Covid-19 getestet, die am Sonntag landeten und keinen festen Wohnsitz in Deutschland hatten. Das vorläufige Ergebnis: 15 waren positiv infiziert. Wohlgemerkt, es betraf nur ein Land an einem Tag; es wurden nicht mal alle Passagiere getestet.

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Zwar ist die Zahl der Fluggäste bundesweit um fast 90 Prozent zurückgegangen. Trotzdem ist die Größenordnung für den Pandemieschutz immer noch relevant. Die Zahl der Flugpassagiere an den deutschen Airports betrug allein in der zweiten Dezemberwoche 418.738.

Mutation des Coronavirus könnte Deutschland schon erreicht haben

Die gefürchtete Variante des Coronavirus aus Großbritannien dürfte nach Einschätzung des RKI Deutschland bereits erreicht haben. „Die Wahrscheinlichkeit, dass sie schon in Deutschland ist, aber bisher unerkannt, schätze ich schon als sehr, sehr hoch ein“, so Wieler. Er verwies darauf, dass die Variante B.1.1.7 in Großbritannien bereits im September nachgewiesen wurde, zudem gebe es bereits Nachweise in Nachbarländern wie den Niederlanden und Dänemark. Ein Labornachweis in Deutschland sei ihm aber nicht bekannt.

B.1.1.7 komme in Großbritannien ganz offensichtlich viel häufiger vor als andere Varianten. „Das könnte daran liegen, dass sie eine höhere Infektiosität hat, das muss aber nicht so sein“, sagte Wieler. „Wir können die Bedeutung der Variante für das Geschehen noch nicht eindeutig einschätzen.“ Er hoffe auf mehr Informationen zur neuen Variante noch in diesem Jahr.

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RKI-Chef: Impfschutz durch Virus-Mutation nicht eingeschränkt

Der Berliner Virologe Christian Drosten zeigte sich am Dienstag mit Blick auf neue Daten zur B.1.1.7-Mutante alarmiert: „Das sieht leider nicht gut aus“, schrieb Drosten auf Twitter. Positiv sei, dass Fälle mit der Mutante bisher nur in Gebieten zunahmen, wo die Gesamtinzidenz hoch oder ansteigend war. „Kontaktreduktion wirkt also auch gegen die Verbreitung der Mutante“, so Drosten.

Zur Bedeutung der Variante für die bevorstehenden Impfungen sagte Wieler: „Alle diese Daten, die wir bislang kennen, sprechen dafür, dass der Impfschutz nicht eingeschränkt ist, wenn sich diese Variante weiter ausbreitet.“ Der Corona-Impfstoffhersteller Biontech wäre nach eigenen Angaben prinzipiell binnen sechs Wochen in der Lage, auch ein Präparat gegen die in Großbritannien aufgetauchte Mutation des Virus herzustellen. „Das ist aber eine rein technische Überlegung“, sagte Biontech-Chef Ugur Sahin am Dienstag. Es gehe dabei nicht nur um technische Fragen, sondern auch darum, wie etwa die Zulassungsbehörden dieses Präparat bewerten würden.

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Heikle Nähe an Weihnachten: Das Fest begünstigt Infektionen

Neben der Sorge um das Ansteckungsrisiko bei Familienfeiern (erlaubt sind neben dem eigenen Haushalt vier weitere Gäste über 14 Jahre) spitzt sich seit Tagen die Debatte um die Gottesdienste an den Feiertagen zu - sie gelten gerade für ältere Gemeindemitglieder als riskante Zusammenkünfte. Die großen Kirchen gehen damit regional sehr unterschiedlich um - in manchen Regionen sind bereits 90 Prozent der Präsenzgottesdienste abgesagt worden, andere halten am Angebot fest und haben die Zahl der Gottesdienste sogar noch aufgebaut, um mehr Abstand zu ermöglichen.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat sich gegen ein Verbot der Präsenz-Gottesdienste an Weihnachten ausgesprochen. Es gebe eine Absprache der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin, die Präsenz-Gottesdienste unter Einhaltung strenger Hygiene-Auflagen zuzulassen, sagte Laschet am Dienstag in Düsseldorf. Laschet appellierte allerdings an die Freikirchen: Dort seien die Hygieneauflagen nicht immer eingehalten worden.

Sein Vize, Minister Joachim Stamp (FDP), hatte die Kirchen zuvor aufgerufen, deutschlandweit alle Präsenzgottesdienste an Weihnachten abzusagen. „Die völlig unabsehbare Entwicklung der Pandemie und die Nöte auf den Intensivstationen in vielen Teilen Deutschlands“ machten dies seiner Meinung nach unausweichlich, sagte Stamp.

Ärztevertreter appellierten unterdessen an Bund und Länder, Gottesdienste an den Feiertagen zu verbieten: „In diesem Jahr sollten Präsenzgottesdienste bundesweit untersagt werden“, sagte die Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD), Ute Teichert, dieser Redaktion. „Weil wir wissen, wie leicht sich das Virus gerade bei Gottesdiensten übertragen kann, dürfen wir zu Weihnachten angesichts der hohen Infektionszahlen kein zusätzliches Risiko eingehen.“ Es müsse deshalb eine einheitliche Vorgabe geben, so die Amtsärztin.