Berlin. Die CDU-Spitze wolle ihn als Parteichef verhindern, mutmaßt Friedrich Merz. Hat er die Nerven verloren oder kalkuliert er auf Beifall?

Im Konrad-Adenauer-Haus wunderten sie sich. Die Faxgeräte quollen nicht über, in der Telefonzentrale herrschte business as usual, auch das Handy der Parteivorsitzenden bimmelte wohl nicht häufiger als sonst. Dabei hatte Friedrich Merz einen Proteststurm der CDU-Basis vorhergesagt, der wegen der Verschiebung des Parteitages ins kommende Jahr über Annegret Kramp-Karrenbauer hereinbrechen werde.

In der CDU sind sie von Merz einiges gewohnt. Mal bescheinigte er via TV-Interview aus einem Hotelfoyer heraus Kanzlerin und Koalition ein grottenschlechtes Erscheinungsbild. Dann sorgte er mit missverständlichen Äußerungen über Homosexualität und Kinder sowie eine angeblich drohende Verlotterung der deutschen Arbeitnehmerschaft in den Hängematten des Kurzarbeitergeldes für gewaltiges Stirnrunzeln bei Freund und Feind.

Dass Merz aber am Montag, nachdem in den CDU-Gremien weitgehend einvernehmlich getroffenem Vertagungsbeschluss aufgrund der Pandemie in einer Interview-Kaskade gegen Parteiführung und seinen Hauptrivalen um den Vorsitz, Armin Laschet, zu Felde zog, irritierte viele nachhaltig.

CDU-Parteitag verschoben: Hat Friedrich Merz die Nerven verloren?

In der CDU fragen sie sich nun: Hat der Sauerländer die Nerven verloren, weil er seine Siegchancen mit fortschreitender Pandemie gegen den mit Exekutivkraft auftretenden NRW-Ministerpräsidenten Laschet im Frühjahr schrumpfen sieht? Oder kalkuliert Merz darauf, dass viele CDU-Mitglieder und Parteitagsdelegierte im Beifall klatschen für den Wagemut, sich mit denen da oben im Adenauer-Haus anzulegen?

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Merz’ Klage, das „Parteiestablishment“ – zu dem er unverändert auch die Kanzlerin zählt – habe sich gegen ihn verschworen, wurde von Beobachtern vielfach als Versuch gedeutet, da wolle der Sauerländer mit der Methode Trump billig punkten. Diese Bewertung greift zu kurz.

Merz kann in der Tat für sich in Anspruch nehmen, im Machtkampf um die Parteispitze und die Kanzlerkandidatur nicht wirklich in die Berliner Ränkespiele vieler CDU-Granden eingebunden zu sein. Dafür war er nach seinem Abgang als Unionsfraktionschef 2004 schlicht zu lange draußen aus dem politischen Geschäft.

Bereits 2018 erweist sich Merz in den Augen vieler als schlechter Verlierer

Diese Außenseiterrolle macht neben seiner Wirtschaftskompetenz einen Großteil des Charmes seiner Kandidatur aus. So gelang es ihm bereits im Dezember 2018, bei seinem Comeback aus dem Stand heraus fast die Hälfte eines Parteitags für sich einzunehmen. Nur wenige Stimmen fehlten in der Stichwahl gegen Kramp-Karrenbauer.

Die CDU-Spitze wolle ihn als Parteichef verhindern, mutmaßt Friedrich Merz.
Die CDU-Spitze wolle ihn als Parteichef verhindern, mutmaßt Friedrich Merz. © dpa | Michael Kappeler

Schon damals erwies sich Merz in den Augen vieler CDU-Leute als schlechter Verlierer. Er ordnete sich nicht unter und schlug dem ihm angebotenen Platz im Präsidium aus. Merz wollte seine Beinfreiheit behalten. Hat er die nun klug genutzt? Ein führender Christdemokrat glaubt das nicht: „Dieser gekränkte Rundumschlag ist ein Eigentor. Die Partei mag keinen, der spaltet.“

Hessens stellvertretender CDU-Chef Patrick Burghardt twitterte: „Ich finde, damit geht er zu weit!“ Seine Bemerkung versah Burghardt mit Schlagworten wie „Kopfschütteln und Unverständnis“. Repräsentativ ist das nicht. Ralph Brinkhaus, Unionsfraktionschef im Bundestag und damit ein anderes Kaliber als Burghardt, nahm Merz ein Stück weit in Schutz: „Ich kann das verstehen. Das ist ja so, wie wenn man sich auf eine Prüfung vorbereitet. Und dann wird der Prüfungstermin verschoben. Dann ist man natürlich sauer.“

Friedrich Merz zeigt sich kämpferisch

Ob Merz sich verzockt hat, kann momentan niemand wissen. Dafür müsste man in die Köpfe der 1001 Delegierten schauen können. Der 64-Jährige wurde mehrfach fälschlicherweise abgeschrieben. Merz selbst zeigte sich kämpferisch: „Ich werde mich nicht zermürben lassen.“

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Er verweist auf die Umfragen, in denen er teils mehr Zustimmung erfährt als Laschet und Norbert Röttgen zusammen. Diese Umfragen bilden nicht die Meinung der Delegierten ab. Für dem Moment wirkt es so, als habe sich der erfahrene Hobbyflieger Merz mit seiner Kamikaze-Attacke keinen Gefallen getan.

Unrealistisch ist seine Hoffnung, die CDU-Gremien würden die Verschiebung des Parteitages postwendend zurücknehmen und das Treffen könne doch noch wie geplant am 4. Dezember in Stuttgart stattfinden. Auch eine von Merz ins Spiel gebrachte Mitgliederbefragung ist wohl keine erfolgversprechende Option.

Beim Parteitag vor knapp einem Jahr in Leipzig hatte die CDU mit großer Mehrheit einen Antrag der Jungen Union für eine Urwahl des Kanzlerkandidaten abgeschmettert. Aus der Partei hieß es, dieses Meinungsbild könne man auf die Frage des Vorsitzes übertragen.

Wem könnte der Scharmützel zwischen Merz und Laschet nutzen?

Christdemokraten warnen im Hintergrund, die Partei dürfe sich jetzt auf keinen Fall selbst zerlegen. Wohin das führe, könne jeder an den wöchentlichen SPD-Umfragewerten ablesen. Wer könnte Nutznießer der Scharmützel zwischen Merz und Laschet sein?

Merz sprach in seinen Interviews erstaunlich offen von einem „vierten Kandidaten“, den interessierte CDU-Kreise in Whatsapp-Gruppen bereits den Boden bereiteten. Gemeint ist Jens Spahn. Der Gesundheitsminister hatte sich vor Monaten in einem Tandem Laschet untergeordnet. Das war vor Corona. Seitdem strampelt sich Spahn ziemlich erfolgreich im Krisenmanagement ab. Es könnte gut sein, dass er zum richtigen Zeitpunkt selbst den Lenker übernehmen will.

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