Washington. US-Wahlkampf: Präsident Donald Trump übt das Regieren mit dem Coronavirus. Seine Botschaft „Habt keine Angst!“ sorgt für Empörung.

Auf dem Parteitag der US-Demokraten hinterließ Kristin Urquiza aus Arizona im Sommer bei vielen feuchte Augen. Die junge Frau erzählte in einer emotionalen Videoansprache, wie ihr Vater im Alter von 65 Jahren binnen weniger Wochen an den Folgen von Corona starb. Er ging arglos in eine Karaoke-Bar. Weil Donald Trump die Gefahren rund um das Virus „dauernd heruntergespielt hat“. „Mein Vater hatte nur eine einzige Vorerkrankung, sagte Kristin Urquiza, „und das war, Donald Trump zu glauben.“

Nachdem der Präsident am Montagabend seine Rückkehr aus dem Militär-Krankenhaus Walter Reed ins Weiße Haus nach partieller Turbo-Heilung wie eine Heldengeschichte inszeniert hat und seinem Volk aufgab: „Haben Sie keine Angst vor Corona. Lassen Sie es nicht Ihr Leben dominieren”, meldete sich Frau Urquiza wieder zu Wort, diesmal direkt an den Präsidenten gerichtet: „In diesem Augenblick müssen wir nur vor einem Angst haben - vor Ihnen.”

Die bittere Replik fand sogar Wiederhall in Europa. Der frühere polnische Ministerpräsident Donald Tusk schrieb auf Twitter: „Haben Sie keine Angst vor Covid-19. Haben Sie Angst vor zynischen mächtigen Leuten, die Lügen darüber verbreiten. Lassen Sie sie nicht ihr Leben dominieren.”

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Donald Trump will nach Corona-Infektion wieder Wahlkampf machen

Trumps Bemühungen, seine bei weitem noch nicht ausgestandene Corona-Erkrankung in eine Art Wiederauferstehung umzudeuten und damit die Schlussetappe des Wahlkampfes zu befeuern, stößt bei über 210.000 Virus-Toten in Amerika auf Unverständnis bis Empörung. „Absolut unsensibel und eigensüchtig”, war der Tenor in vielen US-Kommentaren.

Dass Trump damit liebäugelt, ab sofort wieder in den Wahlkampf einzusteigen und das zweite TV-Duell mit seinem Herausforderer Joe Biden am 15. Oktober zu bestreiten, obwohl er laut Ärzten noch hoch ansteckend ist, hat im Weißen Haus Besorgnis ausgelöst. Dort wurden zuletzt so viele Infektionen wie nirgends sonst in der Hauptstadt Washington gemeldet.

Donald Trump verlässt das Krankenhaus, in dem er wegen seiner Infektion mit dem Coronavirus behandelt wurde. Der US-Präsident gibt sich betont gelassen.
Donald Trump verlässt das Krankenhaus, in dem er wegen seiner Infektion mit dem Coronavirus behandelt wurde. Der US-Präsident gibt sich betont gelassen. © AFP | SAUL LOEB

Und eine einzige Szene illustriert, was noch kommen könnte. Am Montagabend bestieg der Präsident am Walter Reed-Krankenhauses den Regierungshubschrauber Marine One und landete zehn Minuten später auf dem Rasen des Weißen Hauses. Der spektakulärste US-Krankentransport seit dem Attentat auf Ronald Reagan 1981 wurde live von allen großen Fernsehsendern übertragen.

Nach dem Erklimmen der Treppenstufen auf der Südseite seiner Privat-Residenz salutierte Trump dem Piloten und baute sich, teilweise schwer atmend, vor zwei großen US-Flaggen zur Aufnahme eines Videos auf, das Minuten später in sozialen Netzwerken hochgeladen wurde. Botschaft: Siehe oben – Habt kein Angst, Leute! Zuvor nahm Trump in unmittelbarer Nähe zu Angestellten demonstrativ seine Atemschutzmaske ab.

US-Wahlkampf: Donald Trump empört nach Infektion mit Coronavirus

Allein diese Geste löste bis in seine Beraterkreise Kopfschütteln aus. Dort hat man aufmerksam registriert, dass Trumps Alles-halb-so-schlimm-Motto im Umgang mit Corona mit dem Befinden weiter Teile der amerikanischen Bevölkerung kollidiert.

Rund zwei Drittel sagen in einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Ipsos, dass der Präsident das Virus von Beginn an zu sehr auf die leichte Schulter genommen hat. Über 60 Prozent sind sicher, dass Trump seine persönliche Erkrankung hätte vermeiden können, wenn er vorsichtiger gewesen wäre.

Von Vorsicht ist bisher nichts zu spüren. Während Regierungskreise hoffen, dass Trump in seiner Privatresidenz bleibt, bis die Ärzte grünes Licht geben, gehen Eingeweihte davon aus, dass der Präsident schon bald im Oval Office Quartier nimmt, um sich als voll funktionsfähig “in charge” zu präsentieren. Es wird damit gerechnet, dass Trump schon am Mittwochabend die TV-Debatte der Vizepräsidentschaft-Kandidaten Mike Pence (Republikaner) und Kamala Harris (Demokraten) in Salt Lake City aktiv begleiten wird – auf Twitter.

Bei jedem Ortswechsel des Präsidenten binnen des Weißen Hauses sind die Agenten des Secret Service, die ihn auf Schritt und Tritt begleiten, wie auch über 90 meist ältere Diener, Butler, Reinigungskräfte und andere Hausangestellte der Ansteckungsgefahr ausgesetzt. „Viele fühlen sich schutzlos”, berichtet die Washington Post.

Donald Trump verharmlost Coronavirus weiterhin

Einen Vorgeschmack auf die unverändert Corona-verharmlosende Tonalität, die von Trump zu erwarten ist, gab es am frühen Dienstagmorgen: „Die Grippesaison beginnt! Jedes Jahr sterben viele Menschen an der Grippe, manchmal mehr als 100.000, trotz der Impfung. Legen wir deshalb unser Land still? Nein, wir haben gelernt, damit zu leben, so wie wir lernen, mit Covid zu leben, das in vielen Bevölkerungen weniger tödlich ist!!!”.

Lesen Sie hier: Trump gegen Biden – Wo die weiteren TV-Duelle zu sehen sind

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Dabei liegt der Unsicherheitsfaktor für Trump auf der Hand. Der Präsident sei „noch nicht ganz über den Berg”, sagte sein Leibarzt Sean Conley und verwies auf die Zeitspanne bis zum kommenden Montag, 12. Oktober. Bis dahin, so haben Krankheitsverläufe Abertausender Corona-Patienten gezeigt, kann das Virus durchschlagen und Betroffene vom Schlage Trumps (74 Jahre alt, leicht adipös) völlig von den Beinen holen.

Conley räumte ein, dass man bei Trump zudem „Neuland” betritt, weil die Wechselwirkungen der Medikamente, die der Präsident seit Freitag erhalten hat, abgewartet werden müssten. Kritische Ärzte sprechen vom „Versuchskaninchen” Trump.

Lesen Sie dazu: Remdesivir – das Mittel, mit dem Donald Trump behandelt wird

Dass der All-Inclusive-Aufenthalt im Walter Reed-Hospital samt der Verabreichung von Wirkstoffen, die Normalsterblichen nicht zur Verfügung stehen, Trumps fragile Wiederherstellung binnen nicht mal drei Tagen begünstigt hat, steht für Experten außer Frage.

Vor allem die Gabe eines Antikörper-Cocktails der Firma Regeneron, deren Produkt noch im Testverfahren ist und weltweit bisher an nicht einmal zehn Menschen ausprobiert wurde, könnte nach Einschätzung seines Chef-Immunologen Dr. Anthony Fauci Trump den entscheidenden Kick gegeben haben.

Umfragen sehen Joe Biden im US-Wahlkampf deutlich vor Präsident Donald Trump.
Umfragen sehen Joe Biden im US-Wahlkampf deutlich vor Präsident Donald Trump. © dpa | dpa-infografik GmbH

Coronavirus: Mediziner vermuten bestimmte Medikamente hinter Trumps Verhalten

Andere Mediziner betonen dagegen, dass Trumps auffällig zuversichtliche, teils Hybris atmende Rhetorik über die Beherrschbarkeit des Virus auch auf die Einnahme von Dexamethason zurückgehen könnte. Der Entzündungshemmer kann bei Patienten das „Gefühl von Unbesiegbarkeit” auslösen, sagen Mediziner der Georgetown-Universität. Sie beziehen sich dabei auch auf Trumps Aussage, er fühle sich nach dem Krankenhausaufenthalt „besser als vor 20 Jahren”.

Und was, wenn doch einer neuer Krankheitsschub kommt, der einem PR-Desaster für den Präsidenten gleichkäme? Trump könnte akut im Weißen Haus behandelt werden. Ein Team aus Ärzten und Krankenschwestern wäre dort in der Lage, wie in einer Notfallaufnahme selbst einen Herzinfarkt vorübergehend zu stabilisieren - bis zur Einlieferung in ein echtes Krankenhaus.

Joe Biden in Umfragen deutlich vor Donald Trump

Trump verdrängt das Rückfall-Risiko. Neue Umfragen, die seinen Kontrahenten Joe Biden landesweit mit beunruhigenden 14 (Wall Street Journal/NBC) bzw. 16 Prozentpunkten (CNN) vorn sehen, haben eine Augen-zu-und-durch-Mentalität erzeugt, die offenbar ansteckend wirkt.

Trump will für die liberale Ikone Ruth Bader Ginsburg am Obersten Gericht unbedingt die erzkonservative Richterin Amy Coney Barrett installieren. Obwohl sich etliche Senatoren, die zur Durchsetzung der kontroversen Personalie dringend nötig sind, mit Corona angesteckt haben, wollen die Republikaner unbedingt vor dem 3. November abstimmen. Ron Johnson aus Wisconsin, ein besonders willfähriger Trump-Unterstützer im Senat und infiziert, sagte, er werde seine Stimme notfalls im “Astronauten-Anzug” abgeben.

US-Wahl 2020 - Alles zum Duell Trump vs. Biden