Washington. Ist US-Präsident Donald Trump ein „Superspreader“? Trotz seiner Corona-Infektion tritt er öffentlich auf und bringt Menschen in Gefahr.

Wenn Bill Stepien in den nächsten Tagen zurücktreten würde, könnte man es dem 42-jährigen Vollblut-Republikaner nicht verübeln. Obwohl oberster Koordinator der Wiederwahl-Kampagne von Donald Trump, erfuhr Stepien von der Corona-Infektion einer der engsten Beraterinnen des US-Präsidenten (Hope Hicks) erst, als es schon zu spät war. Und zwar nicht durch Trump persönlich. Oder durch Mark Meadows, Stabschef des Weißen Hauses.

Sondern durch eine Meldung des Nachrichtendienstes Bloomberg. Konsequenz: Stepien, der erst im Sommer an Bord gekommen war, um die bis dahin schlecht fokussierte und mächtig Geld verbrennende Trump-Kampagne vor der Wahl am 3. November wieder auf Kurs zu bringen, ist nun selbst mit dem Virus infiziert und in Quarantäne. Die Personalie steht für einen absurden Trend.

Trump hat Corona: Das Weiße Haus als „Superspreader“?

Das Weiße Haus, angeführt von einem bekennenden Atemschutzmasken-Verächter, der seit Tagen durch seine eigene Corona-Erkrankung das Land als Patient in Atem hält, hat sich neben der obligatorischen Verbreitung von Falsch-Nachrichten offenbar zu einem „Superspreader” entwickelt – zu einer Viren-Schleuder, die mit Desinformation und Verschleierung arbeitet.

Dass Trump dabei das Zepter in der Hand hält, hat gerade das „Wall Street Journal” (WSJ) nachgezeichnet. Danach wusste der Präsident bereits am vergangenen Donnerstagmorgen davon, dass er positiv ist, also infiziert. Als er am gleichen Abend in die Show seine Lieblings-Propagandisten bei Fox News, Sean Hannity, hinein telefonierte, fiel dazu aber kein Wort.

Erst am Freitagmorgen um 1 Uhr, nach einem zweiten Test, gab der Commander-in-Chief seinen Status bekannt: „Ich bin infiziert.“ Wie das „WSJ” berichtet, hat Trump einen engen Mitarbeiter, der ebenfalls positiv getestet wurde, auf Stillschweigen verpflichtet: „Sag das niemandem.” Lesen Sie dazu: Warum Corona „ein enormer Schlag für Trumps Wahlkampf“ ist

Trump zurück im Weißen Haus – Angst unter Mitarbeitern

Weil Trump am Montagabend das Militärkrankenhaus Walter Reed, wo er sich seit Freitag zur Akutbehandlung befand, bereits wieder in Richtung Regierungszentrale verließ, wächst dort die Unruhe.

Ein Mitarbeiter des Außenministeriums mit Einblick in die Abläufe schilderte im Gespräch mit dieser Zeitung, dass „Misstrauen und Angst” im Weißen Haus zugenommen hätten. „Mitarbeiter fühlen sich offenbar bewusst im Unklaren gelassen und verfolgen die Fernseh-Nachrichten, um von neuen Ansteckungsfällen im Kollegenkreis zu erfahren.”

Donald Trump hat Covid-1ß: Der Corona-kranke – und nach Expertenmeinung wohl noch infektiöse – US-Präsident nahm nach seiner Rückkehr ins Weiße Haus gleich die Maske ab.
Donald Trump hat Covid-1ß: Der Corona-kranke – und nach Expertenmeinung wohl noch infektiöse – US-Präsident nahm nach seiner Rückkehr ins Weiße Haus gleich die Maske ab. © AFP | NICHOLAS KAMM

Dass Trump vor seiner Rückkehr ins Oval Office mitteilte, seine Regierung habe „großartige Medikamente” zu Corona entwickelt, weshalb er sich nach der Behandlung „besser als vor 20 Jahren fühlt”, war hier ebenso wenig Trost wie die relaxte präsidiale Aufforderung ans amerikanische Volk: „Habt keine Angst vor Corona. Lasst nicht zu, dass es (das Virus) euer Leben beherrscht.”

Der kranke Präsident inszeniert einen Autokorso

Kopfschütteln bis Fassungslosigkeit löste in diesem Kontext ein bizarrer Auto-Korso aus, den Trump am Sonntagabend vor den Toren des renommierten Militär-Spitals im Washingtoner Vorort Bethesda initiiert hatte. In einer Videoansprache auf seiner eher einer Nobelhotel-Suite ähnelnden Krankenstation hatte Trump erklärt, er habe eine „interessante Reise” erlebt, „viel” über Corona gelernt und finde seine Erkrankung „sehr interessant”. Für seine Anhänger, die seit Freitag in Hundertschaften vor der medizinischen Einrichtung teils betend ausharren, habe er eine „kleine Überraschung” parat.

Der mit dem Coronavirus infizierte US-Präsident Donald Trump lässt sich vor dem Walter-Reed-Militärkrankenhaus an seinen Anhängern vorbeifahren.
Der mit dem Coronavirus infizierte US-Präsident Donald Trump lässt sich vor dem Walter-Reed-Militärkrankenhaus an seinen Anhängern vorbeifahren. © dpa | Tonypeltier

Harsche Kritik nach der „Spritztour“

Wenige Minuten später saß der 74-Jährige, noch inmitten einer potenziell tödlichen Erkrankung und hoch ansteckend, mit Mundschutz in einem Schritttempo fahrenden schwarzen SUV und winkte durch die Fensterscheibe in Richtung Fans. Vor ihm auf dem Beifahrersitz ein Agent des Secret Service, dessen Augenpartie das Gegenteil von Wohlbefinden ausdrückte.

Trumps Kurztrip aus dem Krankenhaus- Anhänger jubeln, Mediziner sind entsetzt

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    Die „Spritztour“ verschlug selbst hart gesottenen US-Kommentatoren die Sprache und löste eine Welle der Empörung aus. Anstatt sich über die im Walter Reed erhaltene teure Hochleistungsmedizin zu freuen, von der Otto Normalcoronakranke in den USA nur träumen können, habe Trump „Menschen für seinen eigenen Vorteil unnötig in Gefahr gebracht”, sagte der Trump-kritische Historiker Julian Zelizer.

    Ein Arzt: „Das ist politische Theater. Das ist Wahnsinn“

    Noch drastischer formulierte ein Arzt des Militär-Krankenhauses. „Jede einzelne Person, die während dieser total unnötigen präsidialen Vorbeifahrt im Fahrzeug war, muss jetzt für zwei Wochen in Quarantäne”, so Dr. James Phillips, „sie könnten krank werden. Sie könnten sterben. Für politisches Theater. Von Trump angehalten, ihre Leben für Theater aufs Spiel zu setzen. Das ist Wahnsinn.” Mit Augenrollen reagierte auch die Seuchenschutzbehörde CDC.

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    Dass die Corona-Infektionszahlen in den USA (rund 7,5 Millionen, über 210.000 Tote) beinahe fahrlässig vom Weißen Haus nach oben getrieben werden, beweist die heftig kritisierte Zeremonie zur Vorstellung der designierten neuen Supreme-Court-Richterin Amy Coney Barrett am 26. September im Rosengarten der Regierungszentrale.

    Empfang im Weißen Haus – ohne Atemschutzmasken

    Von rund 150 geladenen Gästen, die allesamt vorher getestet worden seien, trugen nur einzelne Atemschutz. Viele standen und saßen eng beieinander, umarmten sich innig oder gaben sich die Hand. Auch bei einem anschließen Empfang im Weißen Hauses wurden sämtliche Empfehlungen der regierungseigenen Seuchenschützer von der CDC ignoriert.

    Mit dem Ergebnis, dass danach bei inzwischen fast einem Dutzend Gästen Corona-Infektionen festgestellt worden sind. Darunter: das Ehepaar Trump, die Beraterin Hope Hicks, die republikanischen Senatoren Mike Lee, Thom Tillis und Ron Johnson, die Ex-Beraterin Kellyanne Conway, der Ex-Gouverneur New Jerseys und Trump-Intimus Chris Christie sowie John Jenkins, Rektor der Universität Notre Dame, an der Amy Coney Barrett (die bereits im Sommer Corona-infiziert war) lange gelehrt hatte.

    Hat sich Trump schon am 26. September angesteckt?

    Weil Trump bis heute ein Geheimnis darum macht, wann er zuletzt negativ, also Corona-frei, getestet wurde, schließen Epidemiologen nicht vollkommen aus, dass sich der Präsident bereits bei seiner eigenen Show-Veranstaltung für die erzkonservative Richterin angesteckt haben könnte, durch die er sich am 3. November Wählerstimmen verspricht. Lesen Sie dazu: Corona: Drei Szenarien der Erkrankung von Donald Trump

    Bestätigte sich das, hätte Trump ein enormes Problem. Denn am Mittwoch, 30. September, traf er in Minnesota im Wahlkampf mit vielen Menschen zusammen. Auf dem Rückflug zeigt Trumps „rechte Hand” Hope Hicks deutliche Krankheitssymptome. Am Tag darauf, 1. Oktober, flog Trump abends zu einer Veranstaltung mit Wahlkampfspendern in seinen Golfklub Bedminster nach New Jersey.

    Trump – ein „lethargischer Präsident“

    Für eine Open-Air-Version, bei der Trump 15 Minuten redete und danach Fragen aus Publikum beantwortete, wurden jeweils 2800 Dollar Eintritt aufgerufen. 19 Spender, die danach im geschlossen Raum mit Trump am Tisch privatisieren durften, musste jeweils 250.000 Dollar berappen. Bereits hier soll sich Trump schwach gefühlt haben. Einige Teilnehmer sprachen von „lethargischem“ Verhalten.

    Dass der Termin in New Jersey mit dem Wissen stattfand, dass Mitglieder von Team Trump infiziert waren, war aus Sicht der renommierten Epidemiologen Lisa Lee von der Universität Virginia Tech ein „Rezept, um die Krankheit zu verbreiten”.

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    Die Demokraten sprechen von einem Skandal

    Politische Funktionäre in dem demokratisch regierten Bundesstaat an der Ost-Küste sprechen von einem Skandal. Trump habe durch seine Visite auf „völlig unverantwortliche Weise” die Gesundheit seiner eigenen Unterstützer, deren Familien und seiner Klub-Bediensteten aufs Spiel gesetzt, sagte Peg Schaffer, die demokratische Parteichefin des Landkreises Somerset County. „Das ist unvorstellbar eigensüchtig.”

    Um das potenzielle Desaster nachholend einzugrenzen, hat das Weiße Haus den zuständigen Stellen in New Jersey eine Liste mit 206 Gästen der ominösen Spenden-Gala geschickt. Verbunden mit dem Rat: Wer Trump oder seinen engsten Mitarbeitern zu nah gekommen ist, möge sich testen lassen und zwei Wochen in Quarantäne gehen.

    Dass ausgerechnet der Präsident der Vereinigten Staaten die Verbreitung des Virus’ begünstigt haben könnte, wäre für Wahlkampf-Chef Bill Stepien ein dicker Stolperstein auf der Schlussetappe des Wahlkampfes. Wenn er nicht vorher zurücktritt.

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