Berlin. Zeugenaussagen im Maut-Untersuchungsausschuss belasten Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) schwer. Hat er das Parlament belogen?

Hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer das Parlament in der Affäre um die gescheiterte Pkw-Maut belogen? Nach Aussagen der wichtigsten Zeugen im Maut-Untersuchungsausschuss des Bundestags wächst der Druck auf den umstrittenen CSU-Politiker enorm. Die Betreiberfirmen hätten dem Minister im November 2018 angeboten, mit der Unterzeichnung des milliardenschweren Vertrags bis zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu warten – doch Scheuer habe abgelehnt.

Das sagte Klaus-Peter Schulenberg, Vorstandschef des am Maut-Konsortium beteiligten Ticketvermarkters CTS Eventim, und belastete den Minister damit schwer. Denn Scheuer hatte vor einem Jahr bei einer Fragestunde im Bundestag betont, ein solches Angebot habe es nicht gegeben. Ein großes Problem: Ein offizielles Protokoll von diesem Treffen gibt es nicht.

Scheuer hatte die Maut-Verträge Ende 2018 unterschrieben, obwohl keine Rechtssicherheit herrschte. Der EuGH kippte die Maut-Pläne im Juni 2019 und Scheuer kündigte womöglich voreilig die Verträge. Das Betreiberkonsortium verlangt jetzt 560 Millionen Euro Schadenersatz vom Bund.

Scheuer verteidigt sich – und wird fünf Stunden befragt

Scheuers Befragung im Untersuchungsausschuss begann am späten Donnerstagabend – und zog sich über fünf Stunden bis in die Nacht. Er sagte als letzter von fünf Zeugen aus. Der CSU-Politiker verteidigte vehement die Kündigung der Verträge mit den Betreiberfirmen direkt nach dem negativen Urteil des Europäischen Gerichtshofs. „Wir konnten nicht zufrieden sein mit dem Stand der Umsetzung“, sagte Scheuer am frühen Freitagmorgen.

Das Urteil habe „leider keine Luft“ gelassen, im System der Pkw-Maut Veränderungen vorzunehmen – so dass die Maut doch noch EuGH-konform geworden wäre. Dabei wiederholte er frühere Aussagen vor dem Bundestag, wonach es bei dem Treffen mit den Chefs der Betreiberfirmen CTS Eventim und Kapsch TrafficCom am 29. November 2018 „nach meiner Erinnerung“ kein Angebot über einen Aufschub der Vertragsunterzeichnung gegeben habe.

dpatopbilder - 01.10.2020, Berlin: Andreas Scheuer (CSU), Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, kommt als Zeuge vor den Maut-Untersuchungsausschuss des Bundestags. In der Sitzung soll auch noch Verkehrsminister Scheuer befragt werden. Die Opposition wirft Scheuer schwere Fehler bei der gescheiterten Pkw-Maut vor. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
dpatopbilder - 01.10.2020, Berlin: Andreas Scheuer (CSU), Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, kommt als Zeuge vor den Maut-Untersuchungsausschuss des Bundestags. In der Sitzung soll auch noch Verkehrsminister Scheuer befragt werden. Die Opposition wirft Scheuer schwere Fehler bei der gescheiterten Pkw-Maut vor. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ © dpa | Michael Kappeler

Im Rückblick hätte er die Gespräche „besser nicht geführt“, räumt Scheuer ein

Es habe auch „gar keine Veranlassung“ bestanden, über „eine solche Frage zu sprechen oder nachzudenken“, sagte Scheuer. In den damaligen Verhandlungen hätten beide Seiten noch weit auseinander gelegen. Zudem sei er Ende 2018 davon ausgegangen, dass Deutschland das EuGH-Verfahren zur Pkw-Maut gewinnen werde. Zugleich räumte Scheuer ein, er hätte die Gespräche rückblickend „besser nicht geführt“, dies hätte die „heutige Diskussion vermieden“.

Der frühere Staatssekretär im Verkehrsministerium, Gerhard Schulz, stützte Scheuer. Es habe nach seiner Erinnerung bei dem Treffen am 29. November 2018 „kein konkretes Angebot“ der Betreiber für einen Aufschub der Vertragsunterzeichnung gegeben. Vielmehr habe Scheuer bei dem Gespräch versucht, das Maut-Konsortium zur Abgabe eines neuen, günstigeren Angebots zu bewegen. Nun steht Aussage gegen Aussage.

Opposition sieht Scheuer schwer unter Druck - CDU: „Er ist und bleibt Minister“

Die Opposition bescheinigte Scheuer einen unglaubwürdigen Auftritt. Scheuer sei in „schweres Fahrwasser geraten“, Zeugen hätten ihn schwer belastet, sagte Grünen-Obmann Stephan Kühn. „Er hat sich nicht verteidigen können, weil er an den entscheidenden Stellen Erinnerungs- und Wissenslücken hat.“ Die Union dagegen zeigte sich zufrieden – Obmann Ulrich Lange (CSU) sagte mit Blick auf Scheuer: „Er ist Minister und er bleibt Minister.“

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte die geplante Pkw-Maut im Juni 2019 gekippt, weil sie Fahrer aus dem Ausland benachteilige. Inländische Autobesitzer sollten im Gegenzug für Mautzahlungen durch eine geringere Kfz-Steuer komplett entlastet werden.

Maut war CSU-Prestigeprojekt

Die deutsche Pkw-Maut, die letztlich nur Ausländer bezahlen sollten, hätte an diesem 1. Oktober starten sollen. Stattdessen beschäftigt sich an diesem Tag ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit der Aufarbeitung des politischen Desasters. Es war einst ein Prestigeprojekt der CSU. Die Pläne stammten aus der Feder von Scheuers Amtsvorgänger Alexander Dobrindt.

Der frühere CSU-Vorsitzende Horst Seehofer hatte eisern auf einer deutschen Maut-Lösung bestanden - auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) machte sich das Projekt im Bundestagswahlkampf 2017 zu eigen, betonte aber, die Maut dürfe deutsche Autofahrer nicht belasten.

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Scheuer habe bei der fraglichen Sitzung im November 2018 gefordert, die Maut müsse im Jahr 2020 starten, sagt Eventim-Chef Schulenberg aus. Im Wahljahr 2021 wäre dies „völlig inakzeptabel“, wie sich der Manager an Aussagen des Ministers erinnert. „Er lehnte es entschieden ab, mit der Unterzeichnung des Vertrags auf den EuGH zu warten.“

Scheuer habe betont, dem Ministerium lägen Gutachten vor, dass die Pkw-Maut „einhellig und glasklar“ konform mit dem Europarecht sei. Ähnlich äußert sich Georg Kapsch, Chef des zweiten Konsortialpartners.

Ein Grund für das angebliche Entgegenkommen der Maut-Betreiber sei neben der offenen Rechtsfrage jedoch auch die Finanzierung gewesen: Der Bund wollte eine Milliarde Euro weniger ausgeben als von den Betreibern gefordert.

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Opposition erneuert Rücktrittsforderungen

Auch in einem anderen strittigen Punkt steht jetzt Aussage gegen Aussage. Volker Schneble, Chef der Maut-Betreiberfirma Autoticket, betont, das Projekt sei „bis zum Ende gut gelaufen“. Das Gemeinschaftsunternehmen der österreichischen Maut-Firma Kapsch und der deutschen CTS Eventim sollte die Abwicklung der deutschen Pkw-Maut organisieren – und damit rund 500 Millionen Euro jährlich in den Verkehrsetat des Bundes fließen lassen. Minister Scheuer hatte die Verträge unter Verweis auf nicht erfüllte Leistungen gekündigt.

Das stellt Autoticket-Chef Schneble im Untersuchungsausschuss anders dar. Die Kündigung der Verträge sei spontan und politisch motiviert gewesen. „Das war eine Kurzschlussreaktion.“ Alle Projektampeln hätten „durchweg auf Grün“ gestanden. Er spricht von einem „klaren Foulspiel“. Eine rechtskonforme Umsetzung der Pkw-Maut wäre möglich gewesen.

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Nach den Aussagen der Manager der Betreiberfirmen erneuern nun Oppositionspolitiker ihre Rücktrittsforderungen an Verkehrsminister Scheuer. „Der Minister lügt vor dem Parlament und droht den Betreibern. Ein solches Verhalten ist nicht entschuldbar. Minister Scheuer muss zurücktreten“, sagt Oliver Luksic, Verkehrsexperte der FDP im Bundestag. Klaus-Peter Schulenberg habe in deutlichen Worten geschildert, wie er dem Minister das Angebot, auf das EuGH-Urteil zu warten, unterbreitet hat. „Für diesen Minister kann es keine Zukunft in der Bundesregierung geben.“

Union benannte kurzfristig weiteren Zeugen

Scheuer sollte zu den Vorwürfen am Nachmittag Stellung nehmen. Doch die Union setzte mit dem früheren Verkehrsstaatssekretär Gerhard Schulz kurzfristig einen weiteren Zeugen auf die Liste und löste wegen des gesprengten Zeitplans bei Oppositionspolitikern Empörung aus. Das Manöver diene dazu, Scheuers Aussage in den späten Abend oder die Nacht hinauszuzögern, hieß es.

Auch Schulz hat an dem fraglichen Gespräch teilgenommen. Seiner Erinnerung nach habe es kein Angebot gegeben, mit der Vertragsunterzeichnung zu warten, sagte er am späten Abend. Offen blieb zunächst, ob sich Scheuer noch in dieser Nacht äußern würde. Möglich schien auch, dass Scheuer erst am nächsten Sitzungstag kommenden Donnerstag vor den Untersuchungsausschuss treten muss.

Bleibt es dabei, dass Aussage gegen Aussage steht, könnte sich auch die Justiz für die Vorgänge interessieren. Bei einer Falschaussage in einem Untersuchungsausschuss drohen bis zu fünf Jahre Haft. Die nächste öffentliche Sitzung des Ausschusses ist für Januar geplant.