Berlin. Mehr als 100 Tote bei Gefechten zwischen Aserbaidschan und Armenien. Ausgehend von der Region Bergkarabach droht ein Flächenbrand.

Die Welt hat einen neuen gewaltsamen Konflikt. In der Unruheregion Bergkarabach im Südkaukasus toben seit Sonntag heftige Gefechte, bei denen deutlich mehr als 100 Menschen getötet wurden. Das muslimische Aserbaidschan kämpft gegen das christliche Armenien. Zankapfel ist die Region Bergkarabach, in der mehrheitlich Armenier leben, die aber völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört.

Aserbaidschan setzte am Dienstag seine militärische Offensive in Bergkarabach fort. Truppen zerstörten mit Artilleriegeschossen armenische Panzer und eroberten mehrere Dörfer. Die Regierung in Baku behauptete, auf den „armenischen Versuch einer Gegenoffensive“ in Bergkarabach reagiert zu haben. Doch viele Experten sind sich einig, dass Armenien kaum Interesse an einem Blutvergießen haben kann.

Das kleine Volk leidet zwar bis heute unter dem Trauma eines Völkermordes während des Ersten Weltkriegs und sieht sich seither in tiefer Gegnerschaft zur Türkei. Aber die Streitkräfte des öl- und gasreichen Aserbaidschan sind denen des verarmten Landes Armenien um ein Vielfaches überlegen.

Bei dem Konflikt geht es um Religion, Ethnien und alte Feindschaften. In Bergkarabach waren über viele Jahrhunderte beide Religionsgemeinschaften vertreten. In den 60er-Jahren brachen Unruhen aus, 1988 eskalierten die Spannungen zu einem Kleinkrieg. Nach dem Zerfall der Sowjetunion erklärte sich Bergkarabach 1991 für unabhängig. Doch es wurde international nicht anerkannt.

Die Türkei greift den Aserbaidschanern unter die Arme, Russland den Armeniern

1992 kam es zur offenen militärischen Konfrontation zwischen Aserbaidschan und Armenien. Auf beiden Seiten gab es Gemetzel und Plünderungen. Bis zum Waffenstillstand 1994 wurden rund 30.000 Menschen getötet.

Die regionalen Kämpfe könnten sich nun zu einem Flächenbrand ausweiten. Beide Länder haben mächtige Allianzpartner: Ankara greift den Aserbaidschanern unter die Arme, Moskau den Armeniern. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan verkündete umgehend seine Rückendeckung für Baku: „Die Türkei wird Seite an Seite mit ihren aserbaidschanischen Brüdern stehen“, schrieb er auf Twitter.

Hilft Aserbaidschan: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.
Hilft Aserbaidschan: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. © Anadolu Agency via Getty Images

„Es gibt nur eine Lösung: Armenien zieht sich aus dem von ihm besetzten aserbaidschanischen Gebiet zurück“, erklärte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu.

Die Türkei hatte Aserbaidschan bei der Modernisierung seiner Armee geholfen. Nach Angaben von Aktivisten lieferte Erdogan in letzter Zeit nicht nur Waffen an Aserbaidschan, sondern entsandte auch rund 300 Kämpfer aus Syrien in das Land. Bestätigt wurden diese Informationen nicht.

Erdogan will sich in den Geschichtsbüchern verewigen

Russland hat freundschaftliche Beziehungen zu beiden Seiten. Es unterhält in Armenien einen Militärstützpunkt, schickte aber auch Waffen nach Aserbaidschan. Moskau mahnte die Türkei, gegenüber Aserbaidschan auf einen Waffenstillstand zu drängen. Bisherige Beistandserklärungen Ankaras hätten nur Öl ins Feuer gegossen, so ein Kremlsprecher.

Wenn die Türkei sich militärisch einmische, dann drohe ein neuer Völkermord in Armenien, warnte der russische Verteidigungsexperte Alexej Arbatow. Moskau werde dann zu Hilfe eilen.

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© funkegrafik nrw | Selina Sielaff

Die Türkei und Russland stehen in verschiedenen Konflikten auf unterschiedlichen Seiten. Erdogan begreift sich als Gegner des syrischen Machthabers Baschar al-Assad, Kremlchef Wladimir Putin als dessen wichtigster Verbündeter. In Libyen rüstet Ankara Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch auf, Moskau liefert hingegen Waffen und Söldner an dessen Kontrahenten General Haftar.

Bei seinen Militäreinsätzen wird Recep Tayyip Erdogan von dem Ehrgeiz getrieben, sich in den Geschichtsbüchern zu verewigen: Der türkische Präsident will eine Neuauflage des Osmanischen Reiches schaffen, dessen Machtbereich sich von Nordafrika bis zum Nahen Osten und nach Eurasien erstreckte.

Merkel macht sich für Waffenstillstand stark

Angesichts massiver wirtschaftlicher Probleme erhofft er sich an der außenpolitischen Front Entlastung. Im Konflikt um Bergkarabach wirkt dies gerade als Brandbeschleuniger.

In der weltweiten Diplomatie schrillen die Alarmglocken. UN-Generalsekretär António Guterres forderte Aserbaidschan und Armenien zum sofortigen Ende der Kämpfe auf. Bundeskanzlerin Angela Merkel machte sich für einen Waffenstillstand stark.

Gegen Ende ihrer Amtszeit drängt Merkel zunehmend in eine internationale Vermittlerrolle. Auch, weil sie weiß, dass aufflammende Konflikte neue Flüchtlingsbewegungen auslösen können.