Berlin. In mehreren deutschen Bundesländern sind diese Woche Streiks angekündigt. Vor allem der Nahverkehr ist stark betroffen. Ein Überblick.

Busse und Straßenbahnen dürften am Dienstag in vielen Städten in Deutschland still stehen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat im Tarifkonflikt des öffentlichen Nahverkehrs bundesweite Warnstreiks für den 29. September angekündigt. Damit will die Gewerkschaft die kommunalen Arbeitgeber zur Verhandlungen über einen deutschlandweiten Rahmentarifvertrag zwingen. „Nach 20 Jahren Sparkurs auf dem Rücken der Beschäftigten sind die Grenzen der Belastbarkeit erreicht“, erklärte Verdi-Vize Christine Behle.

Neben dem öffentlichen Nahverkehr sind in dieser Woche in einigen Bundesländern auch Kitas, Krankenhäuser und die Stadtreinigung betroffen. Ein Überblick über die Streiks in den einzelnen Bundesländern:

Warnstreiks im Nahverkehr:

  • Baden-Württemberg: Gestreikt wird ganztägig in sieben kommunalen Verkehrsbetrieben in Stuttgart, Karlsruhe, Baden-Baden, Freiburg, Konstanz, Esslingen und Heilbronn sowie in Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen
  • Bayern: In elf bayerischen Städten ist am Dienstag mit Streiks zu rechnen – unter anderem in München, Nürnberg, Augsburg, Würzburg und Regensburg. Betroffen sind Busse, Straßenbahnen und U-Bahnen.
  • Berlin und Brandenburg: In beiden Ländern bleiben am Dienstag zahlreiche Busse, Straßenbahnen sowie die Berliner U-Bahn in den Depots. Bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) dauert der Ausstand von Betriebsbeginn bis 12 Uhr, in Brandenburg länger. Dort fahren in den großen Städten und den meisten Regionen den ganzen Tag weder Busse noch Bahnen, wie ein Sprecher der Gewerkschaft Verdi ankündigte. Nicht betroffen sind die S-Bahn und Regionalzüge. Die S-Bahn will ihr Zugangebot verstärken, hat aber keine sehr großen Reserven. Zu den üblichen rund 3000 Fahrten kommen 40 hinzu, weil Verstärkerzüge auf der S1 länger im Einsatz bleiben. Auf anderen Strecken sollen kurzfristig Reservezüge eingesetzt werden.
  • Bremen: Die Depots der Bremer Straßenbahn AG (BSAG) in der Neustadt, in Sebaldsbrück, in der Neuen Vahr und in Blumenthal werden am Dienstag ab 3 Uhr bestreikt.
  • Hamburg: Am Dienstag werden voraussichtlich von Betriebsbeginn bis um 12 Uhr alle vier U-Bahnenlinien nicht verkehren.„Auch im Busbetrieb in Hamburg und im Umland – hier insbesondere in den Kreisen Pinneberg, Segeberg, Stormarn und Herzogtum Lauenburg - dürfte es zu erheblichen Einschränkungen kommen“, hieß es von Hamburger Hochbahn AG. Kunden sollen deshalb auf nicht erforderliche Fahrten verzichten und auf andere Verkehrsmittel umsteigen. Regional- und S-Bahnen sind nicht betroffen.
  • Hessen: Für Hessen kündigte Verdi Streiks im ÖPNV der Städte Kassel, Frankfurt und Wiesbaden an. In Kassel sind Busse und Straßenbahnen, in Wiesbaden Busse und in Frankfurt Straßen- und U-Bahnen betroffen.
  • Mecklenburg-Vorpommern: Hier soll am Dienstag der komplette Nahverkehr betroffen sein – mit Ausnahme der Schweriner und Anklamer Verkehrsgesellschaft.
  • Niedersachsen: Nach Gewerkschaftsangaben sind rund 6000 Beschäftigte dazu aufgerufen, die Arbeit niederzulegen. Davon betroffen sein dürften am Dienstag Busse und Bahnen in Hannover, Bremen, Braunschweig, Wolfsburg, Göttingen, Goslar und Osnabrück.
  • Nordrhein-Westfalen: Berufstätige und Schüler müssen am Dienstag mit erheblichen Problemen auf dem Weg zur Arbeit und zum Unterricht rechnen. Nicht von dem Ausstand betroffen sind die Nahverkehrszüge der Deutschen Bahn und der anderen Eisenbahngesellschaften. Die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) kündigten an, dass ab Dienstag, 3 Uhr, keine Stadtbahnen fahren werden und nur durch Subunternehmen durchgeführte Busfahrten erfolgen könnten. Der Betrieb solle am Mittwochmorgen um 3.00 Uhr wieder beginnen. Bei den Dortmunder Verkehrsbetrieben hieß es, der Streik werde den Nahverkehr in der Stadt „komplett stilllegen“. Auch in Bochum soll der Nahverkehr komplett ausfallen, auch Fahrten durch Fremdunternehmen werde es nicht geben, teilte das Verkehrsunternehmen Bogestra mit.
  • Rheinland-Pfalz: In Mainz, Kaiserslautern, Pirmasens und Trier sollen Busse und Straßenbahnen von 3 Uhr bis Schichtende bestreikt werden.
  • Saarland: Hier sind bislang keine Arbeitsniederlegungen geplant.
  • Sachsen: Hier beginnt am Dienstag der Streik mit Betriebsbeginn. Betroffen sind Dresden, Leipzig, Chemnitz, Zwickau und Plauen.
  • Sachsen-Anhalt: Auch hier tritt verdi in den Streik – und zwar in Magdeburg, Halle, Dessau und dem Burgenlandkreis.
  • Schleswig-Holstein: Nach Angaben der Gewerkschaft verdi sollen die kommunalen Buslinien in Kiel, Flensburg und Lübeck am Dienstag von 3.30 Uhr bis 9 Uhr bestreikt werden.
  • Thüringen: Für Dienstag werden auch in Thüringen Behinderungen erwartet. Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi sollen Mitarbeiter der Erfurter Verkehrs AG, der Jenaer Nahverkehr GmbH und der Geraer Verkehrs- und Betreibergesellschaft die Arbeit niederlegen. Dort ist jeweils mit Beginn der Frühschichten der Beginn von Warnstreiks geplant.

Warnstreiks in Kitas:

  • Baden-Württemberg: Am Montag haben unter anderem in Stuttgart rund 2.000 Beschäftigte des Jugendamtes und der Jugendhausgesellschaft aus Kitas, Schulkindbetreuung, sozialen Diensten und Jugendhäusern gestreikt.
  • Bayern: Hier sollen am Dienstag in den Kitas gestreikt werden. Nur ein Notbetrieb wird aufrechterhalten. In München blieben Kitas schon am Montag zu.
  • Berlin und Brandenburg: In den Kitas sind keine Streiks geplant.
  • Bremen: Am Freitag soll im Bereich Kita, der Werkstatt Bremen, dem Jobcenter Bremen sowie der Universität gestreikt werden.
  • Hamburg: Am Montagmorgen um 6 Uhr haben ganztätige Warnstreiks in den Kitas begonnen. So blieben unter anderem 20 der 189 Elbkinder-Kitas zum Start der Woche geschlossen, wie eine Sprecherin sagte. Zudem seien von rund 23.000 Kindern fast 8000 am Montag in der Notbetreuung des Trägers gewesen. Fast 1900 der fast 5600 pädagogischen Elbkinder-Mitarbeiter hätten die Arbeit im Rahmen des Warnstreiks niedergelegt.
  • Hessen: Die Auswirkungen der Warnstreiks im Öffentlichen Dienst sind am Dienstag in Hessen vor allem in Frankfurt zu spüren. Dort sind dann die Beschäftigten der Stadtverwaltung zum Warnstreik aufgerufen. Betroffen sind unter anderem städtische Kindertagesstätten, Ordnungsamt, Gesundheitsamt, Jobcenter, Grünflächenamt.
  • Mecklenburg-Vorpommern: Bisher ist nichts bekannt.
  • Niedersachsen: In Niedersachsen sollen laut einem Verdi-Sprecher keine Kitas zum Streik aufgerufen würden. Das sei eine Reaktion auf die lange angespannte Betreuungssituation für viele Eltern während der Corona-Pandemie.
  • Nordrhein-Westfalen: In NRW hatte es bereits in der vergangenen Woche Streiks in Kitas gegeben.
  • Rheinland-Pfalz und Saarland: Bisher ist nichts geplant.
  • Sachsen: In Dresden sollen am Mittwoch Kitas bestreikt werden.
  • Sachsen-Anhalt: Es ist noch unklar, ob und wann es zum Streik kommt.
  • Schleswig-Holstein: Hier wurde schon vergangene Woche gestreikt.
  • Thüringen: Streiks in Kitas sind vorerst nicht geplant.

Warnstreiks bei der Stadtreinigung:

  • Berlin und Brandenburg: Bei der Berliner Stadtreinigung (BSR) sind am Montag rund 1000 Beschäftigte seit 5 Uhr im Warnstreik. Die Straßen wurden nicht gereinigt und die öffentlichen Papierkörbe nicht geleert. Die Müllabfuhr sei aber nicht betroffen und arbeite normal, teilte ein Sprecher mit.
  • Bremen: Am Donnerstag sind Reinigungsbeschäftigte in Kitas und Schulen und die Stadtreinigung zum Ausstand aufgerufen.

Das fordern die Gewerkschaften:

Die Gewerkschaften fordern 4,8 Prozent mehr Lohn. Den Beschäftigten sollen mindestens 150 Euro mehr pro Monat zugesichert werden. Sie fordern eine Laufzeit von zwölf Monaten, die kommunalen Arbeitgeber wollen eine längere Laufzeit. Zudem wird eine Angleichung der Arbeitszeit in Ost- und Westdeutschland gefordert. Bund und Kommunen hatten bei der zweiten Verhandlungsrunde am Wochenende in Potsdam kein Angebot vorgelegt.

Verdi und der Beamtenbund dbb, der mit Verdi verhandelt, hatten sich empört gezeigt. Direkt verhandelt wird für 2,3 Millionen Tarifbeschäftigte von Bund und Kommunen. Auf die mehr als 200.000 Beamten soll das Ergebnis nach Ansicht der Gewerkschaften übertragen werden.

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Das sind die möglichen Szenarien:

Die dritte Verhandlungsrunde ist für den 22. und 23. Oktober angesetzt, wahrscheinlich dauert sie ein, zwei Tage länger. Entweder beide Seiten einigen sich dann auf einen Abschluss, oder es wird eine Schlichtung eingeleitet. Als weniger wahrscheinlich gilt, dass die Verhandlungen für gescheitert erklärt werden und die Gewerkschaften reguläre Streiks ausrufen.

Das sind die Reaktionen:

Die Mehrheit der Bundesbürger kann das Anliegen der Gewerkschaften nachvollziehen. Das geht aus einer am Dienstagmorgen veröffentlichten Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL und ntv hervor. Demnach gaben 63 Prozent der Befragten an, dass Verständnis für die Warnstreiks haben. Knapp ein Drittel zeigte kein Verständnis.

Bei der Frage, ob die Höhe der Lohnforderung mit einem Plus von 4,8 Prozent angemessen ist, gehen die Meinungen auseinander. Knapp jeder Zweite hält diese Forderung der Umfrage zufolge für angemessen, vor allem Selbstständige (57 Prozent) sowie Anhänger von Union (50 Prozent) und FDP (49 Prozent) halten sie aber für zu hoch. Der Forderung nach einem höheren Lohnplus für Pflegekräfte im öffentlichen Dienst stimmten 78 Prozent der Befragten zu.

Der Deutsche Städtetag appelliert an die Gewerkschaften, die Belastungen der Bürger durch Corona nicht mit Warnstreiks zu vergrößern. „Wir brauchen eine faire Lösung für den Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst am Verhandlungstisch“, sagte Städtetags-Präsident Burkhard Jung unserer Redaktion. Vor allem Streiks in Kitas würden Eltern und Kinder nach dem Lockdown noch einmal zusätzlich belasten. „Warnstreiks während der Corona-Pandemie wirken wie aus der Zeit gefallen.“

Die Städte seien sich ihrer Verantwortung gegenüber ihren Beschäftigten bewusst. „Sie sorgen dafür, dass viele Dienstleistungen trotz Corona weiterlaufen“, sagte Jung. Dafür verdienten sie Anerkennung. Gleichzeitig verwies Jung auf die immensen finanziellen Einbußen der Kommunen durch die Folgen der Pandemie. Die Arbeitgeber, so Jung, wollten nach weiteren Gesprächen auf Arbeitsebene ein Angebot vorlegen.

In Interview mit unserer Redaktion hatte Verdi-Chef Frank Werneke bereits bemängelt, dass die Undankbarkeit zurück sei. „Applaudiert haben sie zur Hochphase der Krise alle. Aber die Löhne werden dennoch niedrig gehalten. Es überrascht mich nicht mehr, aber es enttäuscht mich immer noch“, sagte Werneke. (jb/dpa/bef/tki)