Berlin. Was hat die Bratwurst auf dem Grillteller mit der weltweiten Corona-Pandemie zu tun? Auf den ersten Blick wohl nichts. Doch bei genauer Betrachtung gibt es durchaus einen Zusammenhang zwischen dem neuerlichen Corona-Ausbruch unter Beschäftigten des deutschen Großschlachtbetriebs Tönnies und dem Produkt, das dort entsteht.
Denn die Wurst, die die Beschäftigten herstellen, ist billig, und das kann sie nur sein, weil diejenigen, die sie produzieren, oftmals unter unwürdigen Bedingungen arbeiten und leben. Es gibt wohl nur wenige Orte in der deutschen Arbeitswelt, die weiter entfernt sind von den Errungenschaften der sozialen Markwirtschaft, als deutsche Fleischfabriken.
In den Kühlräumen der Fleischfabriken hat es das Virus leicht
Die Arbeiter stammen meist aus Osteuropa, über verschachtelte Subunternehmerverträge werden sie in Deutschland eingesetzt. Oft leben sie gemeinsam in engen Sammelunterkünften. Abstands- und Hygieneauflagen können da selbst bei gutem Willen kaum eingehalten werden. Auch in den Fleischfabriken arbeiten diese Menschen oftmals in überlangen Schichten dicht an dicht in Kühlräumen, in denen sich das Coronavirus wohl fühlt und entsprechend leicht ausbreitet. Lesen Sie hier: Corona-Ausbruch bei Tönnies – Hunderte Infizierte
Beim Arbeitsschutz wird hingegen gespart. Auf diese Weise gibt es Schnitzel und Wurst zu extrem niedrigen Preisen. Den eigentlichen Preis zahlen seit langem vor allem die Beschäftigten der Branche, und zwar mit ihrer persönlichen Gesundheit. Nun hat sich die Zahl der Betroffenen drastisch erhöht. Der Kreis Gütersloh, in dem sich der Schlachthof des Fleisch-Multis Tönnies befindet, ordnet die Schließung des Betriebs an und stellt die betroffenen Arbeiter samt Familien unter Quarantäne.
Die Verhältnisse in der Branche greifen in das Leben aller ein
Aber es geht noch weiter: Alle Schulen und Kindertagesstätten in der Region müssen bis zu den Sommerferien dicht machen. Die üblen Produktions- und Arbeitsverhältnisse in der Branche greifen damit direkt in das Leben von Kindern, Eltern und Lehrern ein. Viele hatten sich gefreut, dass die Bildungseinrichtungen nach dem Corona-Lockdown der vergangenen Wochen endlich wieder geöffnet hatten. Nun fallen die Türen von Schulen und Kitas erneut zu.
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Es ist skandalös. Dennoch bietet sich in dieser Krise auch eine Chance. Corona hat dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit genauer auf die höchst dubiosen Betriebspraktiken und das kranke Geschäftsmodell in der Fleischindustrie blickt. Auch die Politik packt nach jahrelanger Untätigkeit endlich gesetzliche Regelungen an, um das Unwesen der Werkverträge in der Branche zu beenden.
Und die Bürger in der betroffenen Region erkennen, dass das zügellose Gewinnstreben mancher Firmen auch auf ihre Kosten geht. Gut möglich also, dass die Arbeitsbedingungen in der deutschen Fleischindustrie auch beim nächsten Grillabend sehr präsent sind – sofern er wegen Corona überhaupt stattfinden darf.
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