Die Rücknahme der Reisewarnung ist ein Risiko, aber beherrschbar und verantwortbar.

Selbst auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie war die Reisewarnung kein Verbot. Aber sie wurde ernst genommen. Wer sich über sie hinweggesetzt hat, musste gute Gründe oder starke Nerven haben. Er lief Gefahr, im schlimmsten (Ansteckungs-)Fall der Fahrlässigkeit bezichtigt zu werden. Die meisten Bürger haben sich nicht gefragt, ob es verantwortbar sei, in den Urlaub zu fahren.

Die Antwort darauf muss jeder selbst finden. Aber ab dem 15. Juni gewinnen wir alle Planungs- und Handlungssicherheit. Dann löst das Auswärtige Amt eine pauschale Warnung durch differenzierte Hinweise ab. Die Menschen werden sich darauf verlassen.

Persönliche Befindlichkeiten spielen Rolle

Die Autorität des Auswärtigen Amts ist wichtig, aber nicht der einzige Punkt. Die persönlichen Befindlichkeiten spielen eine Rolle – etwa ob man zu einer Risikogruppe gehört –, ebenso die interkulturelle Kompetenz. Spätestens, wenn man im Ausland an Covid-19 erkrankt, macht es einen Unterschied, ob einer etwa die Sprache beherrscht oder nicht.

Manche Fluggesellschaften setzen im Kern auf die Maskenpflicht sowie eine gute Belüftung und zögern nicht, den letzten Sitzplatz zu verkaufen. Diese Nähe an Bord ist unheimlich. Aber sollte sich das Fliegen in Pandemie-Zeiten als sicher herausstellen, werden die Hemmungen fallen. Umgekehrt wird auch ein Schuh daraus: Eine Serienansteckung im Flugzeug – und das Vertrauen ist perdu.

Auto und Ferienwohnungen werden erste Wahl sein

Der Individualtourismus wird stärker als die Pauschalreisen zunehmen. Die Menschen werden eher mit dem Auto als mit dem Flugzeug reisen, und die Besitzer von Ferienwohnungen werden die Vorreiter sein. Denn sie betreten vertrautes Terrain. Ihnen droht kein Kontrollverlust, während sich Hotelgäste zumindest die Frage stellen werden, ob und wie gut die Hygiene- und Abstandsgebote eingehalten werden.

Die Nachbarländer werden im Vorteil sein, insbesondere die deutschsprachigen. Österreich wird ein Gewinner der Situation sein. Das ist ein Treppenwitz. Erinnern wir uns: Ischgl war im Winter ein Hotspot der Fahrlässigkeit. Die Zahl der Reisenden wird im Vergleich zu den Vorjahren viel niedriger sein, weil die Menschen weniger Zeit zum Planen haben und weil viele arbeitslos oder in Kurzarbeit sind.

Tourismus ist bedeutende Einnahmequelle

Es wäre wünschenswert, dass der Tourismus wieder in die Gänge kommt. Für viele Volkswirtschaften ist der Fremdenverkehr eine bedeutende Einnahmequelle. Aber es wäre auch psychologisch wichtig, weil nach drei Monaten Pandemie das Bedürfnis nach einer Auszeit groß ist. Jede unbeschwerte Flucht tut gut.

Die Rücknahme der Reisewarnung ist vertretbar und Teil einer Öffnungsstrategie. Wichtig ist es zu differenzieren. Man muss bei der Planung des Urlaubs sorgfältiger denn je vorgehen und sich gründlich informieren. Es ist schon in Deutschland ein Riesenunterschied, ob man nach Mecklenburg-Vorpommern oder Bayern fährt.

Regionale Unterschiede beim Infektionsgeschehen

Und auch in Europa gibt es Staaten, die erfolgreicher als andere bei der Eindämmung der Pandemie sind; teilweise gibt es selbst in kleinen Ländern größere regionale Unterschiede beim Infektionsgeschehen. Sommerurlaub ist traditionell Strandurlaub. Die Bedingungen sind per se gut, weil UV-Strahlung und eine gute Durchlüftung hilfreich sind. Aber entscheidend wird sein, inwieweit Staaten wie Italien oder Spanien das Abstandsgebot auch am Strand durchsetzen.

Es ist keine Frage, dass mit der Öffnung der Grenzen und der Zunahme des Verkehrs das Risiko einer zweiten Welle steigen wird. Das Gesicht von Außenminister Maas war ein offenes Buch, als er am Mittwoch das Ende der Reisewarnung bekannt gab. Und zu lesen war darin: Vielleicht muss ich einen Rückzieher vom Rückzieher machen.