Berlin. Deutschland diskutiert darüber, wie der Weg zurück in die Normalität aussehen könnte. Bliebe diese Debatte aus, wäre es bedenklicher.

Die Stimmungslage in der Osterwoche ist gespalten. Sie schwankt zwischen Hoffen und Bangen. Die Hoffnung überwiegt, und sie ist wohlbegründet. Denn die bisherigen Maßnahmen gegen das Coronavirus haben Wirkung gezeigt. Mit gutem Grund wird über eine sogenannte Exit-Strategie gestritten.

Diese Diskussion ist ein Vitalitätstest am Nerv der Demokratie. Würden wir den Schmerz nicht mehr spüren, würde sich eine Mehrheit nicht nach den Freiheitsrechten zurücksehnen, dann, ja dann müsste man sich Sorgen machen: Der Demokratie wäre der Zahn gezogen worden.

Die Exit-Debatte ist nicht zuletzt ökonomisch ein Gebot des Selbstschutzes. Die Lösung darf nicht größeren Schaden verursachen als das Problem selbst. Für einige Bereiche – Großveranstaltungen, Messen, Tagungen, Hotels und Reisebranche – sieht es schon schlimm genug aus, mit einem Wort: trostlos.

Politik-Korrespondent Miguel Sanches kommentiert die Debatte über eine Exit-Strategie.
Politik-Korrespondent Miguel Sanches kommentiert die Debatte über eine Exit-Strategie. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Corona-Maßnahmen haben uns Zeit gegeben

Die jüngsten Empfehlungen der Akademie der Wissenschaften sind hilfreich. Die Forscher benennen Kriterien, aber nehmen Entscheidungen nicht vorweg. Wann Bund und Länder die Rückkehr zur Normalität angehen – Plan, Schrittfolge, Timing –, bleibt der Politik überlassen. Alles andere wäre irritierend gewesen.

Vor gut vier Wochen haben Experten für das Innenministerium vier Szenarien entwickelt. Das erste und harmloseste Szenario trug die Überschrift „schnelle Kontrolle“, das letzte und schlimmste lautete „Abgrund“. Seither ist es gelungen, Zeit zu gewinnen, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und die Betreuungskapazitäten so auszuweiten, dass das deutsche Gesundheitssystem bis heute nicht überfordert ist.

Im Gegenteil, nicht zufällig werden viele Menschen aus europäischen Nachbarstaaten in deutschen Krankenhäusern behandelt. Um seine Kapazitäten wird Deutschland international beneidet. Die „schnelle Kontrolle“ ist eingetreten. Aber: Wir stehen an der Schwelle zum nächsten Szenario, das in der Studie die Überschrift „Rückkehr der Krise“ trug.

Das beschreibt eine Sorge von Kanzlerin Angela Merkel: Dass die Zahlen wieder dramatisch steigen, sobald die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus wieder gelockert werden. Das ist auch der Grund, warum wir nicht nur hoffen können, sondern auch weiter bangen müssen. Rückschritte sind möglich.

Auch die Bundesländer müssen jetzt Gemeinsinn beweisen

Es würde überraschen, wenn Bund und Länder am Mittwoch viele Lockerungen beschließen würden. Die Umfragen zeigen, dass die Bürger das nicht mal erwarten. Je mehr alle Geduld, Disziplin und Gemeinsinn aufbringen, desto leichter könne die Rückkehr ins Leben fallen, hat Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet zu Ostern erklärt. Genau das müssen die Ministerpräsidenten vorleben: Einheitliche Lösungen kommen nur zustande, wenn sie Disziplin wahren und Gemeinsinn beweisen.

Der Begriff der „Exit“-Strategie weckt falsche Erwartungen. Der Notausgang ist keine Tür ins Freie, sondern ein langer Treppenaufgang, in dem man nur Stufe für Stufe vorwärtskommt. Bundeskanzlerin Angela Merkel sollte sich nicht scheuen, einen Stichtag zu nennen. Es ist wichtig, eine Perspektive aufzuzeigen. Die Entscheidungen müssen allerdings transparent und ordentlich kommuniziert werden.

Es muss klar werden, wie die gebotenen Maßnahmen – mehr Tests, verstärktes Tracking über Apps, Maßnahmen zur Einhaltung der Hygiene und des Abstandsgebots – abgestimmt und koordiniert werden, zwischen den Bundesländern, aber auch eine Ebene höher auf EU-Niveau. Letztlich ist die Bundeskanzlerin ihrem Volk eine Regierungserklärung schuldig, die dem Anspruch auch gerecht wird: Die erklärt.