Washington. 2,3 Millionen Menschen sitzen in US-Gefängnissen ein. In der Covid-19-Pandemie drohen sie zu Todesfallen zu werden. Der Protest wächst.

Amerikas 7000 Haftanstalten mit ihren – weltweit beispiellosen – 2,3 Millionen Insassen galten immer schon als Brutstätten für Krankheiten. In vielen Gefängnissen, ganz gleich, ob privat oder staatlich betrieben, herrschen chronisch unhygienische Bedingungen.

Toiletten, Waschräume und Telefone sind Gemeinschaftseinrichtungen. Bei der Essensausgabe steht man dicht and dicht. „Soziale Distanzierung”, wie sie die Regierung in Washington in der grassierenden Coronavirus-Epidemie propagiert, ist bei engster Belegung in kleinen Zellen oder Schlafsälen mit Etagenbetten nahezu unmöglich. Alkohol-basierte Desinfektionsmittel sind in der Regel verboten.

USA: Coronavirus bedroht Häftlinge besonders

Alles in allem der Nährboden für eine Katastrophe in der Katastrophe – die USA melden aktuell mehr als 500.000 Corona-Infizierte und über 18.700 Tote –, die seit einigen Tagen den Weg in die Medien findet und die Sorge vor einem tödlichen Flächenbrand ausgelöst hat. Vorläufiger Höhepunkt: In Chicagos „Cook County Jail”, mit etwa 5000 Gefangenen eine der größten Justizvollzugsanstalten der USA, sind mittlerweile 450 Gefangene und Wärter infiziert. Landesweit gibt es im Zahlenverhältnis an keinem Ort einen größeren Ausbruch der Seuche.

In einem ersten Schritt hat die Gefängnisverwaltung einen Ersatzbau in Beschlag genommen. Dort sollen bis zu 500 Betroffene in Quarantäne kommen. „Aber das wird nicht mal für ein paar Tage reichen“, schreibt die „Chicago Tribune”. Die Liste ließe sich mit prekären Beispielen aus fast allen 50 Bundesstaaten fortsetzen.

Coronavirus: Gefängnisrevolte nahe Seattle

Bisher sind nach Medien-Recherchen mehr als 1400 Corona-Fälle in US-Gefängnissen bekannt geworden – und etwa 30 Todesfälle. Tendenz rasant steigend. Viele Inhaftierte und deren Angehörige geraten in Panik. „Das wird hier zum Massengrab, wenn nicht bald was passiert”, zitierte der TV-Sender CBS einen Häftling in Louisiana, der per Text-Mitteilung seine Verwandten um Hilfe gebeten hatte.

Im Monroe-Gefängnis östlich von Seattle im Westküsten-Bundesstaat Washington hat sich der Unmut in dieser Woche zum ersten Mal in Gewalt entladen. Mehr als 100 Häftlinge randalierten, setzten Feuerlöscher in Gang und protestieren im Gefängnishof. Bis Aufseher mit Plastikgeschossen für Ordnung sorgten.

Auch Gefängniswärter klagen über Mangel an Schutz

An mehreren Orten im Land verklagen Rechtshilfe-Vereinigungen gerade die zuständigen Gefängnisbehörden. Sie wollen die vorzeitige Freilassung vor allem älterer Häftlinge erreichen, für die bei gesundheitlichen Vorschäden eine Corona-Infektion den „sicheren Tod” bedeuten könnte. Auch die Gewerkschaft der Vollzugsbeamten wendet sich gegen den Staat.

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Fast überall beklagen Gefängniswärter den Mangel an Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln, um sich im Kontakt mit den Insassen selbst hinreichend schützen zu können. Einen genauen Überblick gibt es nicht. Obwohl nur für 170.000 der insgesamt 2,3 Millionen Häftlinge in den USA verantwortlich, wirkt die Bundesbehörde „Federal Bureau of Prison” seit Tagen restlos überfordert bei dem Versuch, die Corona-Seuche hinter Gittern beherrschbar zu halten.

Allein in Los Angeles kommen 1700 Männer und Frauen frei

Umso lauter wird der Ruf an die Adresse von Justizminister Bill Barr. Er soll der Misere durch großzügige Freilassungen begegnen, heißt es. Aber der enge Vertraute von Präsident Donald Trump zögert. Politisch wäre ein Entlassungswelle in konservativen Kreisen kaum zustimmungsfähig. Andererseits hat die Zentralregierung die Pflicht, die Gefangenen, egal ob Betrüger oder Bankräuber, in der Haft so zu schützen, dass sie ihre Strafe absitzen und danach gegebenenfalls ein neues Leben in Freiheit beginnen können.

Regionale Gefängnis-Behörden in Kalifornien, Ohio und Texas haben in den vergangenen Tagen Tausende Inhaftierte auf freien Fuß gesetzt. Allein in Los Angeles kamen 1700 Männer und Frauen frei, die Straftaten verübt hatten, bei denen keine Gewalt im Spiel war. Was dabei nach ersten Medienberichten offenbar unterblieb: die Inhaftierten wurden nicht vorher auf Corona untersucht. Denkbar ist also, dass sich manche das Virus hinter Gittern eingefangen haben und nun in die Zivilgesellschaft tragen.