Washington. Corona, Trump und die Evangelikalen: Wie sich die Fundamentalisten widersetzen wollen – eine Oster-Geschichte mit Ansteckungsgefahr.

Clown-Show oder Geisterbahn? Kenneth Copland hat mimisch beides im Repertoire. Wenn Amerikas reichster TV-Prediger (300 Millionen Dollar aufwärts) mit weit aufgerissenen Augen und geballter Faust theatralisch vor laufender Kamera zur Satans-Austreibung schreitet, schauen Millionen Evangelikale gebannt zu.

Neulich hat sich der Mann aus Lubbock/Texas, der im spendenfinanzierten Privatjet reist, weil auf Linienflügen „zu viele Dämonen mitfliegen”, auf seinem eigenen Fernsehkanal der Plage der Stunde angenommen. Einfach die Hände auf den Bildschirm legen, feste dran glauben – Halleluja, schon geheilt. So versprach es der 83-Jährige seinen Schäfchen im Stile eines Exorzisten. Geheilt vom Coronavirus.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Instagram, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Coronavirus-Krise in den USA: Evangelikale widersetzen sich Reglementierung

Branchen-Kollege Jim Bakker ging noch einen Schritt weiter. Für 125 Dollar das Fläschchen vertrieb der grauhaarige TV-Evangelist, der wegen Betruges Ende der 90er Jahre zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt worden war, bis vor Kurzem eine dubiose Silberlösung. Die Tinktur radiere binnen zwölf Stunden jede Coronavirus-Infektion aus, quacksalberte Bakker – kann aber auch Krebs und Unfruchtbarkeit verursachen. Die für Medikamente zuständige „Federal Drug Administration” (FDA) stufte das Präparat als gesundheitsgefährdend ein. Missouris Generalstaatsanwalt Eric Schmitt verklagte den geschäftstüchtigen Prediger wegen Irreführung.

Copland und Bakker mögen bizarre Ausreißer sein. Einzelfälle sind sie nicht. Während die führenden protestantischen Kirchen und die römisch-katholische Kirche bis hin zum Papst seit Wochen herkömmliche Gottesdienste ausgesetzt haben und auf das Einhalten von staatlichen Richtlinien zur Reduzierung der Ansteckungsgefahr (Abstand halten!) pochen, wächst im Sammelbecken der Evangelikalen der Widerstand gegen staatliche Reglementierung.

Gottesdienste trotz Coronavirus-Pandemie: Polizei schreitet ein

Windige Selfmade-Priester, von denen viele energische Unterstützer von Donald Trump sind und bereits im Weißen Haus segnend Hand an den Präsidenten legen durften, haben (wie Trump) die Corona-Gefahr lange entschlossen verharmlost. Gepaart mit der Behauptung, nur ein echter Gottesdienst schütze vor dem Virus. Natürlich mit vielen Gläubigen. In der Kirche.

US-Präsident Donald Trump lädt immer wieder religiöse Anführer zum Fototermin ins Weiße Haus: Evangelikale sind eine wichtige Wählergruppe für den 73-Jährigen.
US-Präsident Donald Trump lädt immer wieder religiöse Anführer zum Fototermin ins Weiße Haus: Evangelikale sind eine wichtige Wählergruppe für den 73-Jährigen. © imago/UPI Photo | MIKE THEILER

Rodney Howard-Browne hat diese von sämtlichen Seuchenexperten als haarsträubend gefährlich bezeichnete Haltung vorübergehend ins Gefängnis gebracht. Der Pastor einer Mega-Kirche in Tampa/Florida weigerte sich, den Anordnungen von Gouverneur Ron DeSantis nachzukommen, der von Zusammenkünften mit mehr als zehn Menschen strikt abgeraten hatte. Howard-Browne rief seinen Anhängern zu: „Jesus heilt!”. Gottesdienste seien „systemrelevant”. Die Corona-Gefahr? Eine „aufgebauschte Phantom-Plage”. Fast wortgleich ließ sich Guillermo Maldonado vernehmen. Der Betreiber einer Großkirche in Miami nennt sich „Apostel” – und ist auch ein Trump-Fan.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Als der auf Polizei-Fotos wie ein Mafia-Schläger dreinschauende Howard-Browne von Sheriff Chad Chronister wegen „Gefährdung der öffentlichen Ordnung” verhaftet wurde, sprang ihm ein einschlägig beleumundeter Kollege an die Seite. Jonathan Shuttlesworth, Televangelist mit politischem Rechtsdrall, kündigte für das Osterwochenende in Pennsylvania trotzig einen Open-Air-Gottesdienst im Woodstock-Stil an. Pastoren, die sich vom Staat ins Boxhorn jagen ließen und den Dienst am Herrn einstellten, bescheinigte Shuttlesworth, sie hätten „keine Eier”.

US-Pastor spricht von Massenhysterie – und stirbt nach Coronavirus-Infektion

Ein Vorwurf, den Landon Spradlin zu Lebzeiten weit von sich gewiesen hätte. Der erzkonservative Pastor und Musiker aus der Nähe von Lynchburh/Virginia war mit seiner Frau zum „Mardi Gras“ nach New Orleans gereist, um gottesfürchtigen Blues zu spielen und im sündigen „Big Easy” das Wort des Herrn zu verbreiten.

Das Karnevalsspektakel erwies sich im Rückblick als Corona-Petrischale. Hunderte fingen sich hier rund um „Fat Tuesday” das die Lungenerkrankung Covid-19 auslösende Virus ein. So auch Spradlin, der die Gefahr als eine von den Medien gezüchtete „Massenhysterie” abtat. Auf der Rückfahrt aus Louisiana brach er Mitte März zusammen. Im Krankenhaus in North Carolina wurden schwere Lungenschäden diagnostiziert. Acht Tage später war Spradlin tot. Lesen Sie hier: Coronavirus in den USA – Was man jetzt wissen muss

Coronavirus-Krise: Religiöse Fundamentalisten stehen hinter Trump

Die abschreckende Wirkung solcher Schicksale hält sich unter weißen, evangelikalen Wählern, von denen die allermeisten 2016 Trump gewählt haben, dennoch in Grenzen. Anteil daran hat nicht zuletzt der Präsident, der erst nach sechs Wochen die anfänglichen Beschwichtigungen („Das Virus ist unter Kontrolle und es geht im warmen Frühjahr wie durch ein Wunder wieder weg“) einstellte und das Land auf „schwerste Zeiten” mit sechsstelligen Totenzahlen einstimmte.

Was anderen Präsidenten wohl das Genick gebrochen hätte, fällt Trump trotz mittlerweile mehr als 16.000 Corona-Toten und einer Latte von regierungsamtlichen Versäumnissen auf die Butterseite. Rund 75 Prozent der religiösen Fundamentalisten, die Trumps tiefe Skepsis der Wissenschaft gegenüber teilen, halten das Krisenmanagement des Commander-in-Chief laut Umfragen nach wie vor für gut.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Coronavirus-Pandemie – Mehr zum Thema

In diesem Klima gedeihen religiöse Kamikazeflieger wie Tony Spell. Der Pastor der „Life Tabernacle”-Kirche in Baton Rouge/Louisiana, lud schon über Palmsonntag 1000 Gemeindemitglieder zu drei Gottesdiensten ein, obwohl Gouverneur John Bel Edwards es verboten hatte. Über Ostern plant er eine Wiederholung. Gott werde die Gläubigen vor Corona beschützen, sagte er. Lesen Sie hier: Kirche im Livestream: Wo Gläubige an Ostern beten können.

Ein klares Wort aus dem Weißen Haus, darin sind sich Experten einig, könnte die evangelikalen Kirchgänger vielleicht zur Räson bringen. Aber es war Trump persönlich, der noch vor wenigen Tagen von „gerappelt vollen Kirchen” über Ostern schwadronierte, bevor er auf die Bremse trat. Was Paula White, die pfingstkirchliche Privat-Seelsorgerin des Präsidenten, nicht davon abhielt, in einer Online-Gebetsstunde auf Facebook Geld einzutreiben, um ihr „Krankenhaus für Seelen-Kranke” zu alimentieren. Meinte sie etwa das Weiße Haus?