Washington. US-Präsident Donald Trump ist den Anforderungen des Amtes in der Corona-Krise nicht gewachsen. Dies könnte ihn teuer zu stehen kommen.

In Krisenzeiten hat das Wort von Regierenden mehr Gewicht als sonst. Es muss chirurgisch präzise und wahrhaftig sein, darf nichts verschleiern, nichts beschönigen, nichts dramatisieren und nie Unfehlbarkeit vortäuschen. So können Panik und Überreaktionen vermieden werden. So entstehen Vertrauen und Zuversicht bei den Regierten. Nur so.

In der grassierenden Coronavirus-Pandemie beweist Donald Trump, dass er dieser Minimalanforderung an verantwortungsvolle Amtsausübung nicht gewachsen ist. Seit dem ersten Auftreten der Bedrohung im Januar in China zeichnet sich das Krisenmanagement des amerikanischen Präsidenten durch gefährlichen Dilettantismus aus.

Während US-Experten früh vor einer unkontrollierbaren Ausbreitung warnten und schlüssige Vorsichtsmaßnahmen forderten, verbreitete Trump auf Twitter und mithilfe willfähriger Medien Unwahr­heiten und Verschwörungstheorien, konterkarierte empirisch belegbare Szenarien, beschwichtigte und vergeudete wertvolle Zeit, anstatt das Ansteckungsrisiko zu senken. Von Führungsstärke keine Spur.

Corona: Trump sucht Schuldigen – und hat selbst keinen Überblick

Jetzt, wo rasant steigende Fallzahlen und alarmierende Prognosen – 150 Millionen Amerikaner könnten sich anstecken, eine Million sterben und das löchrige Gesundheitssystem kollabieren lassen – nicht mehr weg zu ignorieren sind und seine Wiederwahl im November gefährdet erscheint, demonstriert Trump entschlossenes Durchgreifen. Bei genauem Hinsehen handelt es sich um verzweifelte Schnellschusspolitik.

Indem Trump ohne vorherige Konsultation mit Brüssel ein fragwürdiges Einreiseverbot für Millionen von Europäern verhängt, sucht er Sündenböcke, um eklatante eigene Versäumnisse zu überspielen und seine Wählerschaft bei der Stange zu halten.

Dirk Hautkapp, USA-Korrespondent, kommentiert Donald Trumps Umgang mit der Corona-Krise.
Dirk Hautkapp, USA-Korrespondent, kommentiert Donald Trumps Umgang mit der Corona-Krise. © Privat | Privat

Tatsache ist: Amerika ist unter den großen Industrienationen bei Coronavirus-Tests durch eigenes Verschulden weltweit Schlusslicht und hat bis heute keinen annähernd verlässlichen Überblick über das wahre Ausmaß der Epidemie. Amerika hat auf Trumps Geheiß die Gefahrenabwehr-Behörden personell wie finanziell ausgezehrt. Amerika gestattet sich einen Präsidenten, dessen irrationale Gesundbeterei tatsächlich dazu führt, dass Hunderttausende seriöser Aufklärung durch Fachleute misstrauen.

Abschottung als Ablenkungsmanöver fahrlässiger Politik

Anstatt der eigenen Bevölkerung reinen Wein einzuschenken, greift Trump zu einem Standardtrick, den man von autoritären Regimen kennt: Er definiert einen Feind (das „ausländische Virus“), dem Handlanger (China und die Europäische Union) durch angebliches Nichtstun den Zutritt zu Amerika ermöglicht haben sollen.

Rezept dagegen: Abschottung. Die wissenschaftlich-medizinische Dürftigkeit dieser Argumentationslinie schreit zum Himmel. Aber Trump hat sie schon erfolgreich bei Terroristen aus muslimischen „Dreckslöchern“ und mexikanischen „Vergewaltigern“ angewendet.

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    Die Frage ist, wie lange man ihm in der Causa Corona-Pandemie gegen jede Vernunft immunisierte Politik noch abkauft. Wenn die Aktienmärkte weiter einbrechen, immer mehr globale Produktionsketten unterbrochen und Investitionen gestrichen werden, wenn Konsumenten an breiter Front Enthaltsamkeit üben, dadurch Jobs überflüssig werden und die Arbeitslosigkeit steigt, wenn die Zahl der Infizierten und Toten in den USA vier- und fünfstellige Dimensionen bekommt, während ein Impfstoff nicht vor Ende 2021 einsetzbar ist, wenn in der Bevölkerung kaum jemand mehr glaubt, was aus dem Weißen Haus verlautbart wird – dann könnte Donald Trump am 3. November von seinen Bürgern als Haupt-Erreger der Krise identifiziert und abgewählt werden.

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