Washington. Biden zieht in den Vorwahlen der US-Demokraten weiter davon. Sanders steckt schmerzhafte Niederlagen ein. Kommt die Vorentscheidung?

Amtlich ist noch nichts. Aber gefühlt ist Joe Biden die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten in Amerika nach seinem fulminanten Erfolg am Dienstagabend nur noch schwer zu nehmen.

Schon zwei Stunden nach Schließung der ersten Wahllokale hatte der Alt-Vizepräsident mit Mississippi, Missouri und Michigan drei Bundesstaaten auf der Habenseite. Amtliche Ergebnisse kommenden erst in den nächsten Tagen.

Vorwahlen in den USA: Niederlage in Michigan für Sanders schmerzhaft

Für seinen einzigen ernsthaften Widersacher Bernie Sanders war vor allem die Niederlage im an Delegierten reichen Michigan (125) besonders schmerzhaft. Die Galionsfigur der Parteilinken hatte im von der Auto-Industrie geprägten Bundesstaat 2016 seine damalige Rivalin um das Ticket fürs Weiße Haus, Hillary Clinton, noch geschlagen. Gegen Biden, der quer durch Ethnien, Sozial-, Bildungs- und Altersklassen Wähler anzog, hatte der 78-Jährige diesmal keine Chance.

In den traditionellen Nachwahl-Befragungen kristallisierte sich ein Argument heraus, das Biden seit Tagen auf die Butterseite fällt: Amerika benötigt keine „Revolution”, wie Sanders sie unermüdlich propagiert, sondern einen erfahrenen, gemäßigten Versöhner an der Spitze, der das zerrissene Land einen und Amtsinhaber Donald Trump bei der Wahl am 3. November bezwingen kann.

Sanders hatte Michigan seit Tagen zu seinem Wahlkampfschwerpunkt gemacht; in der Hoffnung, dort Bidens Momentum aus dessen sensationellem Comeback am Super Tuesday (3. März) mit zehn Siegen in 14 Bundesstaaten stoppen zu können. Die Rechnung ging nicht auf.

Vorwahlen der US-Demokraten: Joe Biden setzte am Dienstag seine Siegesserie fort.
Vorwahlen der US-Demokraten: Joe Biden setzte am Dienstag seine Siegesserie fort. © AFP | MANDEL NGAN

Joe Biden baut Vorsprung bei Delegierten-Stimmen aus

Noch deutlicher fielen die Niederlagen für Sanders in Missouri und Mississippi aus. Vor allem afro-amerikanische Wähler, die Biden in South Carolina vor zwei Wochen erst das politische Überleben sicherten, sind auf den weißhaarigen Senator aus Vermont einfach nicht gut zu sprechen. In Mississippi wählten in der Altersklasse Ü 60 rund 95 Prozent der Afro-Amerikaner den Vizepräsidenten des ersten schwarzen US-Präsidenten Barack Obama: Joe Biden.

Bereits vor Auszählung der Stimmen in Washington State, Idaho und North Dakota, wo sich teilweise Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den „Oldies” abzeichneten, hatte Biden laut New York Times mit 783 Delegierten einen veritablen Vorsprung vor Sanders, der zu diesem Zeitpunkt auf 628 Stimmen kam. Für die Nominierung im ersten Wahlgang auf dem Parteitag im Juli in Milwaukee/Wisconsin benötigt der Sieger 1991 Stimmen.

Joe Biden könnte schon Ende März uneinholbar vorn liegen

Biden ist hier mit Blick auf die kommenden Vorwahlen mit hohen Delegierten-Kontingenten am 17. März klar favorisiert. Ohio (153) ähnelt in der Wählerstruktur sehr stark Michigan. In Florida (248) sahen Umfragen Biden zuletzt klar vorn. Sanders dürften dagegen missverständliche Aussagen über angeblich positive Leistungen des Castro-Regimes in der starken kubanischen Exil-Gemeinde Floridas am Wahltag um die Ohren gehauen werden. Auch in Illinois (184) und Arizona (78) spricht heute nichts für einen Sanders-Coup. Nimmt man dann noch Georgia mit seinem hohen Anteil schwarzer Wähler hinzu (120 Delegierte), könnte Joe Biden bereits Ende März uneinholbar enteilt sein.

So wird in den USA gewählt

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    Worauf demokratische Analysten schon jetzt die Frage aufwerfen, ob der selbsternannte Sozialist Sanders spätestens dann aufgeben und seine ganze Kraft Joe Biden widmen würde. Täte er es, sagte ein demokratischer Parteifunktionär aus Maryland gestern dieser Zeitung, könnte Sanders mit seiner großen Anhängerschaft im Rücken „eine wichtige Rolle beim Zuschnitt des Wahlprogramms spielen und einige seiner progressiven Vorhaben, etwa die Ausweitung des Krankenversicherungsschutzes oder die Stundung von Studentenschulden, wenigstens in abgemilderter Form unterbringen”.

    Was aber voraussetze, dass Sanders mit einem Mythos aufräumt, der sich nach nunmehr 24 Vorwahlen statistisch gut dokumentieren lässt: Es ist ihm, anders als suggeriert, nicht gelungen, die Wahlbeteiligung substanziell zu seinen Gunsten zu steigern. Zwar sind seine Wahlkampfveranstaltungen am besten besucht, mit Abstand am leidenschaftlichsten und juvenilsten – an der Wahlurne allerdings tauchten die „jungen Bernianer” bisher nie in der notwendigen Stärke auf.

    Bernie Sanders kann offenbar keine neuen Wähler mobilisieren.
    Bernie Sanders kann offenbar keine neuen Wähler mobilisieren. © AFP | Jeff Kowalsky

    Viele ausgestiegene Bewerber unterstützen jetzt Joe Biden

    Joe Biden dagegen, der bei seinen Kundgebungen zu Beginn der Vorwahlen allenfalls einige hundert, meist ältere Wähler vor die Tür locken konnte, gilt spätestens seit der Wahl in South Carolina Ende Februar generationenübergreifend als Publikumsmagnet; auch beim Ausfüllen der Vorwahlzettel.

    Dass nicht erfolgreicher als der Erfolg ist, haben mittlerweile fünf ehemalige Mitbewerber-/innen um die Kandidatur akzeptiert und sich hinter Biden versammelt: Pete Buttigieg, Amy Klobuchar, Kamala Harris, Cory Booker, Beto O’Rourke und Andrew Yang haben offizielle Wahl-Empfehlungen für den Mann ausgesprochen, den sie im vergangenen Jahr noch gemeinsam genüßlich als „Mann von gestern” attackierten.

    Sanders hat bis heute aus diesem Kreis keine einzige Fürsprache erhalten. Auch die politisch wesensverwandte Senatorin Elisabeth Warren, die ebenfalls mangels Erfolg vorzeitig die Segel streichen musste, konnte sich bisher nicht aufraffen. Dass sie es noch tun wird, erscheint fraglich. Denn mit „Priorities USA” hat sich noch am Abend der größte demokratische Lobby- und Geldgeberverbund hinter Joe Biden gestellt. Guy Cecil, der Vorsitzende, sagte: „Die Mathematik ist nun klar. Wir werden alles tun, damit Joe Biden im November Donald Trump schlagen kann.”

    Kann Biden Trump schlagen? Ein Weg voller Stolpersteine

    Der Weg bis dahin ist lang und voller Stolpersteine. Einer, den alle Beteiligten bisher nicht auf der Rechnung hatten, heißt Coronavirus. Bei 1000 Infektionen und knapp 30 Toten nimmt die Sorge in den USA vor einem Ausgreifen des Erregers immer größere Teile des Lebens in Beschlag; darunter auch den Wahlkampf. Anders als Amtsinhaber Trump, der weiter seine Anhänger um sich scharen will, haben Joe Biden und Bernie Sanders Dienstagabend in Cleveland geplante Auftritte auf Wunsch des republikanischen Gouverneurs Mike DeWine wegen Corona abgesagt.

    Biden will stattdessen am Donnerstag in seinem Heimatbundesstaat Delaware eine Grundsatz-Rede zum Umgang mit dem Virus halten. Hintergrund ist die nicht abreißende Kritik am mal verharmlosenden, mal widersprüchlichen Krisen-Management des Präsidenten.

    Einen Vorgeschmack lieferte Biden gestern Abend in Philadelphia. Auffallend staatstragend, demütig, Souveränität ausstrahlend und (dank Teleprompter) ohne Versprecher reichte Biden seinem Kontrahenten Bernie Sanders, bei dem er sich für „Leidenschaft” und Einsatz bedankte, die Hand und lud ihn samt Anhängerschaft zur Kooperation ein: „Wir teilen ein gemeinsames Ziel. Zusammen werden wir Donald Trump schlagen.”

    Sanders steigt noch nicht aus

    Und Sanders? Vorschnelle Kapitulation, das ist nicht seine Sache. Darum war es keine allzu große Überraschung, als Bernie Sanders am Mittwochmittag nach dem zweiten für ihn desaströs verlaufenen Vorwahl-Abend um die demokratische Präsidentschaftskandidatur nicht zugunsten des nun klar favorisierten Joe Biden bereits seinen Rückzug bekanntgab.

    Aber was nicht ist, kann noch werden. Der 78-Jährige räumte nach schweren Niederlagen in Mississippi, Michigan, Missouri und Idaho in seiner Heimatstadt Burlington/Vermont unverblümt ein, dass er zwar die “ideologische Debatte” um die notwendigen System-Reformen in Amerika gewonnen habe; vor allem bei Jüngeren. Dass er aber beim wichtigen Aspekt “Wählbarkeit” massiv im Hintertreffen sei. Viele Wähler hätten ihm signalisiert, dass sie zwar seine ambitionierte Politik (Stichwort: allgemeine Krankenversicherung) unterstützen, aber Joe Biden für den aussichtsreicheren Kandidaten im Kampf gegen Amtsinhaber Donald Trump halten.

    “Ich bin völlig anderer Meinung”, so Sanders, der diesmal keine Frage zuließ. Um das zu untermauern, setzt der selbsternannte Sozialist auf den kommenden Sonntag. Dann kommt es kurz vor der nächsten Vorwahl-Runde am 17. März, die Sanders schon rechnerisch den Weg zur Nominierung verstellen könnte, in Phoenix/Arizona zu einer seltenen Situation.

    Ohne Publikum (wegen Coronavirus ausgeschlossen) im Saal werden Sanders und Biden in einer TV-Debatte die Klingen kreuzen. Zum ersten Mal nach über 15 Monaten Wahlkampf völlig ungestört, weil (mit Ausnahme der chancenlosen Tulsi Gabbard) sämtliche anderen der ursprünglich über 30 parteiinternen Konkurrenten inzwischen das Handtuch geworfen haben.

    Bei dem Duell will Sanders nach eigenen Worten von Biden (“Joe, was ist Deine Antwort auf…?) eine Art Rapport zu all den politischen Kern-Forderungen erzwingen, mit denen Sanders bis vor Kurzem in Umfragen auf Platz 1 lag und bei Kundgebungen regelmäßig Begeisterung auslöst: Obdachlosigkeit, soziale Ungleichheit, Klimaschutz, Kindersterblichkeit, Studenten-Darlehen, mangelhaftes Gesundheitswesen, die Übermacht der Banken - so lauten die Stichworte. Sollte Biden, so die erste Lesart von US-Kommentatoren, auf Sanders-Kurs einschwenken und politische Forderungen übernehmen, sei es denkbar, dass Bernie Sanders nach wahrscheinlichen Niederlagen in Florida, Ohio, Illinois und Arizona am 17. März die Aussichtslosigkeit seiner Bewerbung anerkennt - und aussteigt.