Berlin. Die Flüchtlingsfrage drängt wieder, weil die Türkei die Türen nach Europa öffnet. Die Signale stehen auf Abschottung. Wo ist Merkel?

Im August ist es fünf Jahre her: Angela Merkels „Wir schaffen das“. Diesen Klassiker der Willkommenskultur wird man von der Kanzlerin nicht mehr hören, obwohl sich die Flüchtlingsfrage wieder krisenhaft zuspitzt. Die Bilder aus Griechenland, wo Polizisten mit Tränengas Migranten an der Grenze aufhalten, rufen sie uns ebenso in Erinnerung wie die Drohung der Türkei, ihre Tore zu öffnen.

Der Türkei-Deal scheint überholt. Der Druck auf seine Erfinderin wird wachsen. Die Grünen forderten Merkel auf, eine „Allianz der Willigen“ zu schmieden. Ihnen fehlt der Glaube an eine europäische Lösung für die Verteilung der Geflüchteten. Sie hoffen, dass einige Staaten vorangehen.

Die Wahrheit ist: Merkel würde ein Selbstgespräch führen. Es gibt kaum einen Staat, der Tausende Migranten aufnehmen will. Schon bei der Seenotrettung beobachtet man bei jedem Boot ein unwürdiges Geschacher – und da geht es nur um Hunderte.

Flüchtlingsansturm: Türkei kann nicht zum Auffanglager gemacht werden

Wie die EU auf einen neuen Ansturm reagieren würde, davon bekommt man in diesen Tagen eine Ahnung. Die Griechen gehen mit Polizei gegen Menschen vor und haben Patrouillen in den Meerengen der Ägäisküste intensiviert. Und die EU? Sie bietet Verstärkung für die Grenzsicherung an.

Miguel Sanches.
Miguel Sanches. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Die Antwort lautet Abschottung, in erster Linie an der Außengrenze. Ein Durchwinken bis nach Mitteleuropa – wie 2015 – ist unwahrscheinlich. Es ist eine europäische Lösung, freilich keine, auf die man stolz sein kann. Es könnte noch hässlich werden.

Recep Tayyip Erdogan ist ein widersprüchlicher und nicht besonders weitsichtiger Politiker, als Präsident für die Türkei ein Unglück. Aber das ist eine andere Geschichte. Es hat keinen Sinn, sich an ihm abzuarbeiten. Die Türkei war der EU fast fünf Jahre lang behilflich. Die Europäer haben diese Zeit nicht genutzt, um eine neue Ordnung in Syrien herzustellen. Man kann nicht von der Türkei erwarten, dass sie auf Dauer zum Auffanglager für Zuwanderer wird, auch nicht gegen Geld.

Die Türkei nahm nach UN-Angaben 3,7 Millionen Migranten auf. Das führte auch dort zu Spannungen. Zurück können sie nicht, weil das syrische Regime mit russischer Hilfe die Katastrophe von Idlib verschärfte. Die Lösung der Türkei ist nach Lage der Dinge, die Türen nach Europa zu öffnen. Erdogans Drohung ist in der Tat ein „Hilferuf“, wie CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagt.

Für eine neue Willkommenskultur gibt es keine gesellschaftliche Mehrheit

Erdogan hat viele Fehler gemacht, der größte war die Verständigung mit Russland und dem Iran auf Kosten des UN-Friedensprozesses. Dem Westen, den er jetzt um Hilfe bittet, hatte er den Rücken gedreht. Der letzte Fehler war die Ankündigung, die Grenze zur EU zu öffnen, weil er weitere Migranten anlockt. Für jemand, der aus dem Iran, Afghanistan oder Syrien fliehen will, ist die Türkei das nahe liegende Transitland, zumal mit Aussicht auf offene Grenzen.

Nato sichert Türkei im Syrien-Konflikt Solidarität zu

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    Die Flüchtlinge drängen nicht nach Ungarn, Polen oder Rumänien. Sie wollen vermutlich nach Deutschland, das die besten Bedingungen bietet, das seit Sonntag offiziell Fachkräfte anwirbt im Stile eines Einwanderungslands und sich anschickt, die Integration zu verbessern.

    Wie 2015 werden sich auch diesmal alle Blicke auf die Kanzlerin richten, weil sie aus dem Kreis der europäischen Spitzenpolitiker international das größte Gewicht hat und weil Deutschland in der EU der Taktgeber ist. Es gibt indes einen Unterschied zu 2015: Merkel ist nicht auf dem Höhepunkt, sondern am Ende ihrer Macht. Und für eine neue Willkommenskultur hat sie keine gesellschaftliche Mehrheit mehr.

    Die Lage ist (noch?) nicht vergleichbar mit 2015, aber das Dilemma ist nicht kleiner geworden. Wir sind nicht besser aufgestellt als damals, nur anders. Hartherziger, gnadenloser.

    Zum Thema: Wie weit darf die EU an ihren Außengrenzen gehen?