Doha/Kabul/Washington. Die USA und die militant-islamischen Taliban haben ein Abkommen über Wege zu einem Frieden in Afghanistan geschlossen. Was steht drin?

20 Jahre nach „9/11“, nach den folgenschwersten Terror-Anschlägen auf amerikanischem Boden, nach denen Regisseur Osama Bin Laden am Hindukusch Unterschlupf fand, will Amerika seine Soldaten vollständig aus Afghanistan abziehen.

Das ist die Fernperspektive des historischen „Deals”, den die USA am Samstag in Doha mit der Führungsspitze der radikal-islamischen Taliban unterzeichnet haben. Und das offizielle Eingeständnis der Supermacht als Verlierer von einem der größten Schlachtfelder der vergangenen 50 Jahren abzutreten.

Der „Deal” folgt nicht den politisch-militärischen Verhältnissen am Boden. Dort sind die Taliban in verschiedenen Regionen nicht nur erstarkt, sondern de facto an der Macht. Er folgt dem Versprechen von Präsident Donald Trump an seine Wähler, Amerikas aussichtslosen „Ewigkeitskrieg” zu beenden, die zwischenzeitlich bei über 100.000 US-Soldaten angekommene Militärpräsenz aufzugeben und das im Dauer-Bürgerkriegszustand befindliche Land de facto endgültig sich selbst zu überlassen.

Die Realität sah bisher anders aus: Unter Trump, der seit über drei Jahren regiert, stehen mit rund 13.000 Soldaten rund 50 Prozent mehr US-Truppen im Land als unter Vorgänger Barack Obama. Um im Wahljahr 2020 nicht als Phrasendrescher zu erscheinen, der ähnlich wie seine Vorgänger Rückzugspläne ventiliert, aber dann wieder verwirft, hat Trump nun den ersten Stein ins Wasser geworfen. Er will Fakten schaffen.

Abkommen: US-Soldaten sollen abgezogen werden

Mit dem Abkommen von Doha sollen bis zum Sommer zunächst rund 4500 US-Soldaten abgezogen werden; parallel dazu werden auch die internationalen Hilfstruppen, darunter Deutschland, Personal abbauen. Danach tritt eine Art Bewährungszeit ein. Die Taliban müssen unter Beweis stellen, dass El Kaida, der Islamische Staat oder andere Terror-Bewegungen keine Heimstatt mehr in Afghanistan aufbauen können, die den USA gefährlich werden.

Sie müssen mit der Regierung von Aschraf Ghani in Kabul in echte Friedens-Verhandlungen über die künftige Staatsordnung/Machtbeteiligung eintreten, was die selbsternannten Gotteskrieger bisher hartnäckig verweigern. Und sie müssen eine tragfähige Lösung für die Freilassung/Integration von 5000 inhaftierten Taliban-Kämpfern und 1000 Soldaten der afghanischen Armee finden.

Bleibt es in dieser Phase friedlich, sollen bis Sommer 2021 restlos alle US-Soldaten Afghanistan verlassen; kurz vor dem 20. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington.

Außenminister Heiko Maas rief die Taliban zu Einhaltung der Friedensvereinbarungen auf. „Es gibt nun endlich eine echte Chance für einen Friedensprozess in Afghanistan“, sagte der SPD-Politiker unserer Redaktion. „Entscheidend ist nun, dass sich alle an das halten, was sie vereinbart haben. Das gilt in erster Linie für die Zusage der Taliban, die Gewalt auch wirklich spürbar zu verringern.“

Maas nannte zugleich Kriterien für die innerafghanischen Friedensverhandlungen, die schnell beginnen müssten. Sie dürften „im Ergebnis nicht hinter die Errungenschaften der vergangenen Jahre bei Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit zurückfallen“, mahnte der Außenminister.

Das Experiment mit den Taliban ist heikel

Wie riskant dieses Experiment ist, wie zahlreich die Unwägbarkeiten, zeigt allein ein Detail: Bereits im vergangenen September wollte Trump ausgerechnet auf seinem präsidialen Landsitz in Camp David einen im Kern gleichlautenden Friedensvertrag mit den Taliban abschließen. Als in der heißen Phase ein US-Soldat in Afghanistan ums Leben kam und in Washington parteiübergreifend Kritik an der im Stile der Geheimdiplomatie eingefädelten Visite überlaut wurde, blies Trump die ganze Chose in letzter Minute ab.

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Seither hat sich die chronisch schwierige Gemengelage in Kabul nicht substanziell geändert. Anschläge mit hohen Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung gehören (mit Ausnahme der vergangenen Woche) zum Alltag. Und die politische Stabilität ist noch fragiler, seit es nach den Präsidentschaftswahlen heftigen Streit um das Ergebnis gibt.

Nach langer Prüfphase erklärte die Wahlkommission erst kürzlich Amtsinhaber Aschraf Ghani zum Sieger. Dessen Kontrahent Abdullah Abdullah erkennt das nicht an und kündigte die Bildung einer Gegenregierung an. Wie in dieser verworrenen Lage verbindliche Gespräche mit den Taliban geführt werden sollen, die bisher alles unternommen haben, um Kabul zu delegitimieren und das Land, in dem seit 2001 über 100.000 Menschen gestorben sind, zu destabilisieren, gilt unter US-Diplomaten als eine „der vielen Schwachstellen des Vertrages”.

Andere Fragezeichen gelten der Situation der Frauen in Afghanistan. Eine verbindliche Zusage der Taliban, die Errungenschaften der vergangenen Jahren - etwa die wachsende Zahl von zigtausenden Mädchen und Frauen, die Schul- und Berufsausbildungen absolvieren - unangetastet zu lassen, gibt es bisher nicht. Ebenfalls ungeklärt ist der Umgang mit dem Nachbarn Pakistan.

Afghanistan weiter wirtschaftlich extrem schwach

Dessen Geheimdienst steht seit Jahren in Verbindung mit terroristischen Gruppen, die aus dem Grenzgebiet heraus Anschläge durchführen und alle Friedensbemühungen torpediert haben. Dass in Afghanistan seit der Zeit der sowjetischen Einmarsches 1979 entlang der ethnischen Gruppen immer wieder regional mächtige Warlords auf eigene Rechnung agiert und eine nationale Einheit verhindert haben, ist ebenfalls kein zentraler Aspekt des gestern unterschriebenen Abkommens.

Auch die Tatsche, das Afghanistan trotz milliardenschwerer Finanzhilfen aus dem Ausland weiter wirtschaftlich (Ausnahme: die Opium-Industrie) extrem schwach und von Korruption beherrscht ist, spielt keine Rolle. Kritiker in Washington sehen die reale Gefahr, dass die Taliban, die immer schon auf Zeit gespielt haben, bis 2021 abwarten und nach dem Abzug der USA ein breit angelegtes Rollback der zaghaften Verwestlichung des islamischen Landes anstreben.der nahost-plan von donald trump dient nur der show