Berlin. Parteichef Christian Lindner führt die Liberalen wie eine Firma. Wieso er das macht und warum diese Strategie für die FDP riskant ist.

Wäre die FDP ein mittelständischer Betrieb – alles wäre gut. Der Chef ist agil, für Marke und Produkt hat er eine Nische gefunden und sie in den letzten Jahren tapfer verteidigt. Gut, Marktführer sind andere – aber immerhin jeder zehnte Käufer greift regelmäßig ins FDP-Regal. Und dass die Traditionsmarke vor ein paar Jahren mal vor dem Aus stand – solche Krisen kennen auch andere.

Mit neuem Design, einem gelifteten Produkt und der flotten Dreikönigs-Show am Jahresanfang hat der Chef dem Laden das Überleben gesichert. Klein, aber gesund, könnte man meinen. Die FDP aber ist keine Firma. Und da fängt das Pro­blem an.

Christian Lindner führt die FDP wie ein Betriebswirt

Christian Lindner lenkt die Liberalen auch im neuen Jahr nach dem Einmaleins der Betriebswirtschaft. Beispiel Kundengewinnung: Was macht der Chef, wenn er mehr Marktanteile erobern will? Er schaut, wie er neue Kundenschichten erreichen kann.

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    Lindner hat das schon mehrmals getestet. Beim ersten Mal zielte der Parteichef auf enttäuschte Wähler der Union, denen Angela Merkels Flüchtlingspolitik zu liberal war. Klare Einwanderungsregeln, harte Kante im Asylrecht – das war sein Angebot. Es verfing nicht recht, die meisten Unzufriedenen wählten lieber AfD.

    Mit Bildungsversprechen konnte Lindner nicht punkten

    Julia Emmerich kommentiert den eher betriebswirtschaftlichen Führungsstil von FDP-Chef Christian Lindner.
    Julia Emmerich kommentiert den eher betriebswirtschaftlichen Führungsstil von FDP-Chef Christian Lindner. © Reto Klar | Reto Klar

    Der nächste Versuch richtete sich an Eltern, Lehrer und alle anderen, die finden, dass das Land in den maroden unterfinanzierten Schulen seine Zukunft verspielt. Auch das verfing nur bedingt – weil gleichzeitig auch nahezu alle anderen Parteien auf Bildungsversprechen setzten.

    Und weil Lindner zu allem Überfluss die Mehrheit der klimabewegten Bildungswelt mit seinem unseligen „Klimaschutz ist was für Profis“-Satz gegen sich aufbrachte.

    Jetzt will der FDP-Chef enttäuschte SPD-Wähler gewinnen

    Der neueste Versuch zielt nun nach links: Lindner will enttäuschte SPD-Wähler einfangen, heimatlosen Sozialdemokraten ein neues politisches Zuhause bieten. Deshalb redet er neuerdings von der FDP als „Partei der Arbeit“ und will sich vor dem 1. Mai, dem Tag der Arbeit, deutschlandweit mit seinen Leuten vor die Werkstore stellen.

    Der Parteichef lässt seine Leute sozialliberale Träumereien verbreiten und schon mal ausrechnen, wie viele SPD-Abgeordnete überlaufen müssten, um ein schwarz-gelbes Bündnis im Bundestag an die Macht zu bringen. Im Handbuch für Betriebswirtschaftslehre wird solch offensives Anbiedern empfohlen. Für eine Partei geht so was schnell nach hinten los.

    Die meisten Ex-SPD-Wähler sind zu anderen Parteien gewechselt

    Erstens wirkt es wie eine billige Werbetour. Zweitens stehen die enttäuschten Sozialdemokraten ja nicht alle obdachlos auf der Straße. Die einen sind schon vor Jahren zur sozialdemokratisierten Merkel-CDU gewechselt. Die anderen, vor allem aus dem urbanen, akademischen Ex-SPD-Milieu, sind bei den Grünen angekommen. Und etliche traditionelle SPD-Wähler haben sich von den Parolen der AfD einfangen lassen.

    Es stimmt zwar, dass 160.000 ehemalige SPD-Wähler bei der letzten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen FDP gewählt haben – aber in einem Bundesland mit 18 Millionen Einwohnern ist das nicht mehr als ein Minitrend.

    Die Liberalen wollen regieren – doch wofür stehen sie?

    Klar, für die Lindner-GmbH in ihrer Marktnische reicht das – ein paar neue Kunden hier oder dort, und der Laden läuft. Als Partei mit Regierungsanspruch aber hat die FDP ein doppeltes Problem. Niemand weiß mehr genau, wofür sie gerade steht, wofür sie wirklich brennt. Asylrecht? Bildung? Sozialstaat? Oder doch am liebsten Steuersenkungen?

    Und: Es gibt im Bund aktuell keine Machtoption. Bleiben die Mehrheitsverhältnisse, wie sie gerade sind, könnten Union und Grüne bequem zusammen regieren. Die FDP dagegen muss sich zu Beginn des neuen Jahrzehnts fragen, ob sie überhaupt noch mal im Bund gebraucht wird.