Leipzig. Annegret Kramp-Karrenbauer zeigt sich beim CDU-Parteitag risikofreudig und die Delegierten staunen über ihre kämpferische Vorsitzende.

Die Überraschung kommt am Schluss, fast beiläufig. Die Delegierten auf dem CDU-Parteitag sind nach einer fast anderthalbstündigen Parteitagsrede schon etwas unruhig. Die Ausführungen der CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sind routiniert, manchmal etwas ausführlich, an einigen Stellen kämpferisch.

AKK kommt zum Schluss: „Wenn ihr der Meinung seid, dass dieser Weg, den ich gemeinsam mit Euch gehen will, nicht der Weg ist, den ihr für den richtigen haltet, dann lasst es uns heute aussprechen. Dann lasst es uns heute auch beenden. Hier und Jetzt. Aber wenn ihr der Meinung seid, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen sollten, dann lasst uns hier und jetzt und heute die Ärmel hochkrempeln.“

CDU-Parteitag: Kramp-Karrenbauer stellt die Machtfrage

Die Vorsitzende hat nach nur einem Jahr die Machtfrage gestellt. Die Saarländerin geht aufs Ganze. Der Parteitag hält spürbar den Atem an. Und dann folgt ein sehr langer Applaus für die Vorsitzende, viele Delegierte stehen auf. Es folgt minutenlanger Beifall. Fast alle Delegierten sind aufgestanden.

Die Vorsitzende steht in Leipzig gar nicht zur Wahl. Aber ihre Offensive zielt natürlich auf einen Mann, der auf der Rednerliste auf Platz 6 steht: Friedrich Merz, der die Basis beteiligen will. Ob der angesichts des Stimmungsbilds mit Dauerklatschen für AKK den Fehdehandschuh aufnimmt?

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der den CDU-Parteitag leitet, gibt eine rasche Antwort auf die Machtfrage der Vorsitzenden: „Der Applaus zeigt, heute wird nicht Schluss gemacht, liebe Annegret!“, sagt Kretschmer. Interessant, denn Kretschmer ist durchaus ein Anhänger von AKK-Rivale Merz.

AKK kritisiert Merz

Wie war die Rede zuvor? In einem Punkt hat die CDU-Chefin bereits äußerlich gelernt. War sie letztes Jahr beim Hamburger Parteitag noch ein einem groß gemusterten Blazer aufgetreten, so hat sich Kramp-Karrenbauer dieses Jahr in einen bildschirmtauglichen blauen Anzug gewandet.

Sie geht gleich zu Beginn auf die Querelen in der Partei ein und kritisiert ihren Rivalen Merz – zumindest indirekt. Es dürfe nicht sein, dass die CDU die von der Union geführte Bundesregierung schlechtrede. „Das ist keine erfolgreiche Wahlkampfstrategie“, fügt sie hinzu und erntete großen Applaus.

Kramp-Karrenbauer würdigt Merkels Amtszeit als Kanzlerin

Merz hatte nach der Wahlschlappe in Thüringen das Erscheinungsbild der Bundesregierung als „grottenschlecht“ bezeichnet und dafür vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel verantwortlich gemacht.

Kramp-Karrenbauer sagte dagegen über die bisherige Regierungszeit von Merkel: „Es waren 14 gute Jahre für Deutschland, und darauf können wir alle miteinander stolz sein.“ Führungsfragen habe es immer schon in den CDU gegeben. „Wir lassen uns nicht in den Ruin hineinschrieben“, ruft AKK.

Beifall gibt es bei Aussagen wie „Wir wollen Wohlstand für alle, aber nicht Wohlfahrt für alle“. Der Parteitag applaudiert auch, wenn sie mahnt, der industrielle Kern in Deutschland müsse erhalten bleiben, vor allem die Automobilindustrie.

Kramp-Karrenbauer: „Wir sind immer die langsamsten in Europa“

Sie freue sich zwar, dass der US-Konzern Tesla jetzt ein Werk in Deutschland baue. Es sei ihr aber wichtiger, dass der Verbrennungsmotor mit synthetischen Kraftstoffen in Deutschland erhalten bleibe und dass diese in München, in Stuttgart und in Wolfsburg gebaut würden. Applaus. Sie schimpft: „Ich habe die Nase voll davon, dass wir immer die langsamsten in Europa sind, wir müssen wieder an die Spitze.“ Ebenfalls Applaus.

Die CDU-Chefin grenzt die Partei scharf nach links und rechts ab. Zur AfD sagt sie: „Das sind die Brandstifter, wir dürfen nicht diejenigen sein, die die Streichhölzer geben.“ Bundesfinanzminister Olaf Scholz und die SPD bekommen ihr Fett ab, ohne dass die CDU-Chefin den Koalitionspartner beim Namen nennt.

Die Verteidigungsministerin macht sie für eine Steigerung des Wehretats stark. Es gehe um mehr und bessere Ausrüstung für die Bundeswehr. Die Ausgaben müssten auch deshalb steigen, weil Deutschland das international auch zugesagt habe.

AKK fordert bessere Ausrüstung für deutsche Soldaten

Die Nato-Quote sieht vor, dass die Nato-Staaten bis 2024 zwei Prozent ihrer nationalen Wirtschaftsleistung in Verteidigungsausgaben investieren sollen. Es handelt sich aber um eine politische Absprache. Rechtlich verpflichtend ist sie nicht. Deutschland wird das Zwei-Prozent-Ziel bis 2024 nicht erreichen.

Kramp-Karrenbauer, in der Truppe wesentlich beliebter als Vorgängerin Ursula von der Leyen, ist an dem Punkt leidenschaftlich. Wenn der Bundestag Soldatinnen und Soldaten in gefährliche Einsätze schicke, dann gebe es „die verdammte Pflicht, den Haushalt so aufzustellen, dass die auch anständig ausgerüstet sind“. Jubel im Saal. Nächste Woche wird im Bundestag der Haushalt für 2020 beschlossen. Scholz hat mehr Geld für die Bundeswehr eingeplant. AKK hätte sich aber noch mehr gewünscht.

Bei Familienpolitik bleibt AKK vage

Sie kommt auch zur Sozialpolitik. Rente, Familien, Kinder. Sie setzt viele schöne Überschriften, füllt sie aber nicht wirklich mit Inhalten. Da ist die politische Konkurrenz weiter, Grüne und SPD haben gerade umfangreiche Vorschläge für ein neues Kindergeld in einer Kindergrundsicherung vorgelegt. AKK bleibt vage.

„Wir müssen einen Perspektivwechsel in der Familienpolitik vornehmen.“ Neben allen Maßnahmen sollte im Mittelpunkt stehen, dass ein Kind vor allem Liebe und Eltern brauche, die Zeit für Zuwendung, Schutz und Zuneigung hätten. Bei der Rente betont die CDU-Chefin, die Politik reagiere immer noch zu stark mit starren Fristen und Grenzen.

AKK setzt auf Innovation beim Autobau

„Wir müssen uns von der reinen Betrachtung des Rentenniveaus lösen.“ Aber was folgt daraus? Im nächsten Jahr will die Koalition anhand der Ergebnisse einer Rentenkommission darüber beraten, wie es bei Rentenniveau und Beiträgen nach 2025 weitergehen soll.

AKK streichelt auch den Wirtschaftsflügel der CDU. Deutschland müsse seinen industriellen Kern und den Mittelstand erhalten. „Ja, ich freue mich, wenn Tesla eine Fabrik in Deutschland baut.“ Sie freue sich aber noch mehr, wenn dank Innovationen bei Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen der Verbrenner in Deutschland bleibe – „und in Wolfsburg, München und Stuttgart gebaut wird“, ruft sie unter dem Jubel der Delegierten.

Der US-Milliardär Elon Musk, der sich zuletzt bei einer Präsentation blamierte, will in Brandenburg nahe von Berlin eine Autofabrik bauen. Dort soll ein Tesla Elektro-Geländewagen vom Band rollen. Musk verspricht Tausende neue Jobs. Die Ansiedlung von Tesla gilt als Kampfansage an die deutschen Autobauer VW, Daimler und BMW.

CDU staunt über Risikobereitschaft ihrer Vorsitzenden

Vollbeschäftigung, autonomes Fahren, sichere Daten – Kramp-Karrenbauer wirbt für Technologie-Offenheit. Die Technik müsse aber immer den Menschen dienen, nicht umgekehrt. Die CDU-Chefin fordert für die nächste Wahlperiode ein eigenständiges Digitalministerium: „Wir kommen da nicht drum herum.“

Dann geht sie darauf ein, dass das Jahr nicht so gelaufen ist wie geplant: „Es ist nicht so gelaufen in vielem, wie ihr euch das vorgestellt habt. Auch für mich nicht. Auch nicht für mich.“ Es folgt die Machtfrage – und eine perplexe Partei staunt ob der Risikobereitschaft ihrer Vorsitzenden.