Ankara/Damaskus. Die Türkei hat eine Militäroffensive in Nordsyrien begonnen. Nun wirft die USA der türkischen Armee den Beschuss von US-Truppen vor.

Nach der umstrittenen türkischen Offensive in Nordsyrien gab es am Freitagabend einen Vorfall, der die Situation noch brisanter macht. Die USA wirft der Türkei den Beschuss amerikanischer Truppen vor. Wie das US-Verteidigungsministerium mitteilte, seien die Einheiten am Freitagabend (Ortszeit) im syrischen Grenzgebiet zur Türkei unter Artilleriebeschuss geraten.

Der Vorfall nahe des Grenzorts Kobane sei zwar glimpflich ausgegangen, das Pentagon schickte jedoch eine weitere Warnung an die Adresse Ankaras. Zuvor hatte die Türkei angekündigt, die Militäroffensive gegen die Kurdenmilizen in Nordsyrien trotz Sanktionsdrohungen der USA unbeirrt fortzusetzen.

Türkei weist Vorwürfe der USA zurück

Wie das Pentagon mitteilte, habe der Artilleriebeschuss „wenige hundert Meter“ entfernt von den US-Truppen zu einer Explosion geführt, es seien keine Soldaten verletzt oder getötet worden. Die Türkei habe allerdings gewusst, dass in der Region US-Streitkräfte präsent seien. Das türkische Verteidigungsministerium wies den Vorwurf zurück, dass auf Truppen der Amerikaner geschossen worden sei.

Die türkischen Truppen hätten demnach aus Selbstverteidigung gehandelt, nachdem Grenzposten von Hügeln aus unter Beschuss genommen worden, die etwa einen Kilometer von einem US-Beobachtungsposten entfernt lägen. Dabei seien aber „alle Vorsichtsmaßnahmen ergriffen“ und keine US-Kräfte beschossen worden. Das Pentagon warnte die Türkei, jegliche Handlungen zu vermeiden, „die eine sofortige Verteidigungsreaktion nach sich ziehen könnten“.

Türkische Bodenoffensive hatte am Mittwoch begonnen

Entgegen aller Appelle zur Zurückhaltung hatte am Mittwochabend die türkische Offensive in Nordsyrien begonnen. Nach den Luftangriffen und Artilleriefeuer der Türkei auf Syrien starteten türkische Streitkräfte auch mit einer Bodenoffensive. Das bestätigte das türkische Verteidigungsministerium in Ankara am späten Mittwochabend über Twitter.

„Unsere heldenhaften türkischen Streitkräfte und die Nationale Syrische Armee haben im Rahmen der „Operation Friedensquelle“ ihre Bodenoffensive im Osten des (Flusses) Euphrat begonnen“, hieß es im Text. Mit der Nationalen Syrischen Armee sind von der Türkei unterstützte syrische Rebellen gemeint.

Heftige Kämpfe nahe der türkischen Grenze

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete heftige Kämpfe zwischen türkischen Truppen und Einheiten der von Kurdenmilizen angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) am Eingang und in der Umgebung der Stadt Tall Abjad nahe der türkischen Grenzstadt Akcakale.

Der Sprecher der SDF, Mustafa Bali, wies Meldungen syrischer Rebellen zurück, wonach diese gemeinsam mit der türkischen Armee in Tall Abjad eingerückt seien. Die Angriff der türkischen Kräfte am Boden sei zurückgeschlagen worden, schrieb er auf Twitter. Bali erklärte über Twitter auch, die türkische Armee habe die Umgebung eines Gefängnisses beschossen, in dem die „gefährlichsten Dschihadisten“ der IS-Terrormiliz festgehalten würden. Die SDF-Truppen hatten bei ihren Operationen gegen die Extremisten Tausende IS-Anhänger gefangen genommen.

Türkei marschiert in Syrien ein – Das Wichtigste in Kürze:

  • Die Türkei hat am Mittwoch eine Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG in Syrien begonnen
  • Im Grenzgebiet zur Türkei wurden Bombenangriffe geflogen, am Mittwochabend startete eine Bodenoffensive
  • Zuvor hatte es Berichte über Vorbereitungen gegeben

Türkische Kampfjets hatten am Mittwoch zuvor die Grenzstadt Ras al-Ain beschossen. Das berichteten die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana und der türkische Sender CNN Türk übereinstimmend. Ras al-Ain liegt gegenüber dem türkischen Ort Ceylanpinar in der südosttürkischen Provinz Sanliurfa. In Sanliurfa befindet sich die Kommandozentrale für die lange geplante Offensive.

SDF-Sprecher Bali schrieb dazu auf Twitter: „Türkische Kampfflugzeuge haben damit begonnen, Luftangriffe auf zivile Gebiete durchzuführen. Die Menschen in der Region sind in großer Panik.“

Fluchtwelle aus Ras al-Ain und dem Umland

Die Türkei begleitete den Beginn ihrer Offensive mit martialischer Musik – aus großen Lautsprechern direkt an der Grenze. Der Sender Habertürk berichtete am Mittwoch, im Grenzort Akcakale gegenüber der syrischen Stadt Tall Abjad würden Märsche aus ottomanischer Zeit in großer Lautstärke gespielt.

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete von einer Fluchtwelle aus Ras al-Ain und dem Umland. Der Staatssender TRT berichtete, Artilleriefeuer aus der türkischen Grenzstadt Akcakale sei auf „Terroristen-Posten“ auf der anderen Seite der Grenze gerichtet.

Rauch steigt über Häusern der Stadt Ras al-Ain auf. Sie gehörte zu den ersten Zielen der Türkei bei ihrer Offensive in Nordsyrien.
Rauch steigt über Häusern der Stadt Ras al-Ain auf. Sie gehörte zu den ersten Zielen der Türkei bei ihrer Offensive in Nordsyrien. © Reuters | Stringer

Gesundheitsbehörden bereiten die Krankenhäuser vor

Laut TRT stiegen die türkischen Kampfjets auch von der großen Luftwaffenbasis Incirlik in Adana auf. Die Medienaktivisten des Informationszentrums Rojava meldeten, auch die Grenzstadt Tall Abjad werde beschossen. Einwohner sagten, die Stadt sei fast leer, weil die meisten Zivilisten sie verlassen hätten. Dafür seien viele Kämpfer dort.

Die Gesundheitsbehörden bereiteten die Krankenhäuser vor. Auf manchen Dächern seien Scharfschützen zu sehen. Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, auch Artilleriegeschütze feuerten in Tall Abjad auf „Terrorzellen“.

Hintergrund: Was Erdogan mit seiner Militäroffensive in Syrien bezweckt

Erdogan verkündet Start der Offensive auf Twitter

Zuvor hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch auf Twitter geschrieben, dass die Türkei eine Militäroffensive gegen die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien begonnen habe.

Ziel der Operation ist die kurdische YPG-Miliz, die auf syrischer Seite der Grenze ein großes Gebiet kontrolliert. Die Türkei sieht in ihr einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und begreift die Angehörigen der Miliz als Terroristen.

Mitglieder der von der Türkei unterstützten sogenannten Syrischen Nationalarmee fahren in die Türkei zurück, nachdem sie nach Angaben der türkischen Polizei das syrische Grenzgebiet inspiziert haben.
Mitglieder der von der Türkei unterstützten sogenannten Syrischen Nationalarmee fahren in die Türkei zurück, nachdem sie nach Angaben der türkischen Polizei das syrische Grenzgebiet inspiziert haben. © dpa | Lefteris Pitarakis

Erdogan schrieb: „Unser Ziel ist, den Terrorkorridor, den man an unserer südlichen Grenze aufbauen will, zu zerstören und Frieden und Ruhe in die Region zu bringen.“ Die syrische Nachrichtenagentur Sana zitierte einen Korrespondenten mit den Worten, dass die „türkische Aggression“ im Grenzort Ras al-Ain begonnen habe. Ras al-Ain liegt gegenüber dem türkischen Ort Ceylanpinar in der südosttürkischen Provinz Sanliurfa. In Sanliurfa befindet sich die Kommandozentrale für die lange geplante Offensive.

Die türkische Regierung will die Bundesregierung und andere Staaten schon Stunden vor Beginn der Offensive gegen kurdische Milizen in Nordsyrien informiert haben. Deutschland, die USA, Russland, England, Frankreich und Italien sowie die Nato und das Generalsekretariat der Vereinten Nationen seien um 14 Uhr (Ortszeit) vorab in Kenntnis gesetzt worden, hieß es in einem Tweet des Verteidigungsministeriums vom Mittwochnachmittag.

Syrischen Rebellen verlegen Truppen in das betroffene Gebiet

Am Mittwochvormittag hatte der Nachrichtendienst Bloomberg gemeldet, dass türkische Truppen die Grenze nach Syrien überquert hätten. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar sprach da noch von laufenden Vorbereitungen der Operation, auch kurdische Quellen bestätigten den Beginn der Offensive zunächst nicht.

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Die türkische Regierung hatte zuvor bekräftigt, eine Offensive gegen die Kurden in Nordsyrien werde „in Kürze“ beginnen. Auch die mit der Türkei verbündeten syrischen Rebellen verlegten ihre Truppen in das betroffene Gebiet.

Die Offensive soll sich gegen kurdische Truppen östlich des Flusses Euphrat richten. Die Kurdenmiliz YPG kontrolliert dort ein großes Gebiet an der Grenze zur Türkei. Ankara sieht in der Miliz eine Terrororganisation.

Kurden-Verwaltung verkündet Generalmobilmachung

Die Kurden bringen unterdessen ihre Truppen in Stellung. Die kurdische Autonomieverwaltung in der Region verkündete am Mittwoch eine dreitägige Generalmobilmachung.

Angesichts der zunehmenden Drohungen der Türkei und ihrer syrischen „Söldner“ würden alle aufgerufen, sich an die Grenze zu begeben, um in diesen „kritischen historischen Momenten“ Widerstand zu leisten, hieß es in einer Erklärung. Kurden weltweit wurden aufgefordert, gegen die Offensive zu demonstrieren.

Die YPG ist zugleich ein wichtiger Verbündeter der USA im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. Die USA zogen jedoch ihre Truppen aus dem betroffenen Grenzgebiet ab – was zu heftiger Kritik führte. Daraufhin drohte Trump Erdogan mit der Zerstörung der türkischen Wirtschaft, sollte der türkische Präsident etwas tun, was Trump für tabu halte.

Macron, Maas und Juncker verurteilen Offensive

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach den Kurden die Unterstützung Frankreichs zu. Bei einem Treffen mit der Kurdenvertreterin Ilham Ahmed am Dienstagabend in Paris habe Macron bekräftigt, dass Frankreich an der Seite der kurdisch geführten Syrisch-Demokratischen Kräfte (SDF) stehe, hieß es aus Élysée-Kreisen.

Außenminister Heiko Maas (SPD) hat die türkische Offensive im Nordosten Syriens „auf das Schärfste“ verurteilt. Die Türkei nehme damit in Kauf, die Region weiter zu destabilisieren und riskiere ein Wiedererstarken der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS), erklärte er am Mittwoch in Berlin. Es drohten nun eine weitere humanitäre Katastrophe und neue Fluchtbewegungen.

Eine kurdische Frau nimmt an einer Demonstration vor dem Europäischen Parlament teil.
Eine kurdische Frau nimmt an einer Demonstration vor dem Europäischen Parlament teil. © dpa | Virginia Mayo

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker forderte die Türkei zu einem sofortigen Stopp der neuen Militäroffensive in Nordsyrien auf. „Diese militärischen Aktionen werden nicht zu einem guten Ergebnis führen“, sagte Juncker am Mittwochnachmittag vor dem EU-Parlament. Zudem warnte er die Türkei davor, zu glauben, dass die EU Pläne für eine mögliche „Sicherheitszone“ in Nordsyrien unterstützen könnte.

Auch in seiner eigenen Partei war der US-Präsident auf Empörung gestoßen: Er verrate die Kurden, werfen ihm Kritiker vor, einige Republikaner machen wegen dieser Entscheidung tatsächlich Front gegen Trump.

(dpa/moi)