Paris. Nach langer Krankheit ist Frankreichs Ex-Präsident Jacques Chirac gestorben. Den Franzosen wird der „Bulldozer“ in Erinnerung bleiben.

Frankreich trauert um Jacques Chirac. Der gestern in Paris im Alter von 86 Jahren verstorbene Ex-Präsident mag während seiner 12-jährigen Amtszeit durchaus umstritten gewesen sein, aber er war seinen Landsleuten ans Herz gewachsen.

Mit seiner langen, mehr als vier Jahrzehnte umspannenden politischen Karriere – er war Abgeordneter, Parteichef, Landwirtschafts- wie Innenminister, Pariser Bürgermeister, zwei Mal Regierungschef und schließlich Staatspräsident der Fünften Französischen Republik – hat das jedoch weniger zu tun als mit der Erinnerung an den leutseligen Landesvater, die seit seinem Abschied aus dem Elysée-Palast alles übrige überwog.

Chirac-Nostalgie ist nie wieder abgeklungen

Insbesondere in den letzten Jahren, als er sich krankheitsbedingt kaum mehr in der Öffentlichkeit zeigte, ist der hochgewachsene Neogaulist wie ein Vater der Nation verehrt worden. Dabei haben ihm die Franzosen keine Träne nachgeweint, als er im Mai 2007 abtrat.

Nie zuvor erschien ein französisches Staatsoberhaupt zum Zeitpunkt seines Ausscheidens aus dem Amt so abgewirtschaftet und von den Zeitläufen überholt wie Jacques Chirac. Doch bereits zwei Jahre nach seinem schmählichen Abgang bescheinigten ihm Meinungsumfragen, die beliebteste politische Persönlichkeit des Landes zu sein.

Diese so rasch geborenen Chirac-Nostalgie ist nie wieder abgeklungen. Selbst als der „alte Löwe“ 2011 wegen illegaler Parteienfinanzierung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde, erlitten seine Popularitätswerte keinen Einbruch. Im Rückblick unserer Nachbarn überwiegt das Gefühl, dass in der „Ära Chirac“ die Welt noch in Ordnung gewesen ist. Nach ihm hingegen brach die Epoche der Globalisierung an und Frankreich schlitterte in eine Wirtschaftskrise, aus der es sich erst seit 14 Monaten langsam zu befreien beginnt.

Echte Volksnähe und Machtwille

Es war Ex-Präsident Georges Pompidou, der seinen jungen Landwirtschaftsminister wegen dessen schier unglaublichen Energie den Spitznamen „Bulldozer“ verpasste. Wobei sich Freunde wie Gegner einig sind, dass Chirac noch zwei weitere Charakterzüge auszeichneten: Echte Volksnähe sowie ein unbändiger Machtwille. Dank letzterem gelang ihm 1995 im dritten Anlauf endlich der Sprung in den Elysée-Palast.

Doch die Euphorie währte nur kurz. Seine umgehend angeschobene große Rentenreform scheiterte an einem siebenwöchigen Generalstreik und als er 1997 vorzeitig Neuwahlen ansetzte, erlitt die Partei des Präsidenten eine krachende Niederlage.

Schon zwei Jahre nach seinem Amtsantritt verurteilte der verlorene Urnengang Chirac zur „Kohabitation“. Diese von den Wählern erzwungene Machtteilung mit einer sozialistischen Regierung stempelte ihn für fünf lange Jahre zum Zuschauer in der der Innenpolitik.

Dass er beiden Präsidentenwahlen 2002 dennoch im höchsten Amt des Staates bestätigt wurde, verdankt er allein dem Umstand, dass dem Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen überraschend der Einzug in den Stichwahlgang glückte. Als letztes „Bollwerk“ gegen den Front National gaben ihm zwar 82 Prozent der Wähler ihre Stimme, sehr viele unter ihnen allerdings mit in der Tasche geballter Faust.

Sarkozy löste Chirac ab

Der damalige französische Präsident Jacques Chirac (r.) und sein damaliger Innenminister Nicolas Sarkozy.
Der damalige französische Präsident Jacques Chirac (r.) und sein damaliger Innenminister Nicolas Sarkozy. © Reuters | CHARLES PLATIAU

Chirac zweites Mandat, in dessen Verlauf er zudem einen Hirnschlag erlitt, von dem er sich nie vollkommen erholte, glich einem von zahlreichen Affären überschatteten Spießrutenlauf. Als 2005 die Revolte der Vorstadtghetto-Jugend das Land erschütterte und der Ausnahmezustand verhängt werden musste, vergingen neun lange Tage, bevor sich das Staatsoberhaupt im Fernsehen zu Wort meldete und die Gemüter zu beruhigen versuchte. Es war schließlich sein Innenminister Sarkozy, der die Ordnung wiederherstellen konnte, indem er einfach das Ruder übernahm. Zwei Jahre später dann löste Sarkozy sein ehemaliges Vorbild als Staatspräsident ab.

Zu diesem Zeitpunkt war längst in Vergessenheit geraten, dass Chirac ursprünglich als großer Reformer antrat. Aus gutem Grund, schließlich hat der Neogaullist beinahe alle seine Sozialreformen zurückgezogen, wenn sie zu Massenprotesten führten. Dennoch war er auf anderem Felde alles andere als ein Zauderer und niemand kann ihm absprechen, sein Land mit mutigen Initiativen geprägt zu haben.

Franzosen bewundern Chiracs Nein zum Irakfeldzug

Das war 1995 der Fall, als er zum Entsetzen der Traditionalisten die volle Mitverantwortung Frankreichs an der Judenverfolgung eingestand. Oder als er sich ein Jahr später mit der Abschaffung der Wehrpflicht von der Tradition des napoleonischen Volksheeres verabschiedete.

Am höchsten freilich rechnen die Franzosen ihrem Expräsidenten an, sich 2003 an der Seite von Bundeskanzler Schröder dem amerikanischen Irakfeldzug verweigert zu haben. Vor allem in diesem „Non“, mit dem er damals dem US-Präsidenten George W. Bush die Stirn bot, wurzelt die liebevolle Bewunderung, die Chirac bis zuletzt entgegengebracht wurde.