Berlin. Eine Studie zeigt: Die Deutschen sind entspannt. Doch die Ängste sind nicht verschwunden – unter den zehn größten ist sogar eine neue.

Was ist denn mit den Deutschen los? Die Welt ist in Unordnung, die Warnungen vor einer Rezession werden lauter, die Sorge ums Klima wird dringlicher – doch die Deutschen sind so gelassen wie lange nicht. Das ist das überraschende Ergebnis einer Langzeitstudie, die seit 1992 die „Ängste der Deutschen“ misst.

Der Vergleich mit früheren Jahren zeigt: So entspannt, wie die Bundesbürger im Sommer 2019 auf Bedrohungen und Gefahren reagieren – so entspannt waren sie zuletzt vor 25 Jahren. Doch die Ängste sind nicht verschwunden – bei den zehn größten taucht sogar eine neue auf.

Die Ängste der Deutschen sind schwächer geworden

Die aktuellen Daten, für die zwischen Mai und Juli rund 2400 Deutsche über 14 Jahren befragt wurden, zeigen: Das durchschnittliche Angstniveau, das die Studie der R&V-Versicherung in jedem Jahr anhand etlicher Fragen zu Sorgen, Nöten und Befürchtungen der Deutschen misst, liegt dieses Jahr ungewöhnlich tief.

Das sind die Top Ten der größten Ängste:

  • Überforderung des Staats durch Flüchtlinge (56 Prozent)
  • Spannungen durch den Zuzug von Ausländern (55)
  • Gefährlichere Welt durch Trump-Politik (55)
  • Überforderung der Politiker (47)
  • Politischer Extremismus (47)
  • Wohnen in Deutschland unbezahlbar (45)
  • Pflegefall im Alter (45)
  • Kosten für Steuerzahler durch EU-Schuldenkrise (44)
  • Terrorismus (44)
  • Steigende Lebenshaltungskosten (43)

Nur 39 Prozent der Deutschen schauen demnach im Moment besorgt in die Zukunft, noch vor drei Jahren waren es mehr als 50 Prozent. Grund dafür ist, dass vor allem die Westdeutschen in nahezu allen abgefragten Bereichen deutlich zuversichtlicher geworden sind.

Die größten Ängste: Die vor Zuwanderung und vor überforderten Politikern

Doch auch im Jahr 2019 sind viele Ängste noch deutlich messbar. „Die insgesamt verbesserte Stimmung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die aktuellen politischen Probleme mehr als jedem zweiten Bundesbürger

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“, schreiben die Autoren der Ängste-Studie. Auf dem Spitzenplatz steht die „Angst vor Überforderung des Staats durch Flüchtlinge“ gefolgt von der Angst vor „Spannungen durch den Zuzug von Ausländern“.

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    Vergleichsweise große Sorgen machen sich die Deutschen auch mit Blick auf eine „gefährlichere Welt durch Trump-Politik“, die Überforderung der Politiker und die Folgen von politischem Extremismus. Mit anderen Worten: Zuwanderung und zunehmend unberechenbare Politik – beides macht trotz der optimistischen Gesamtstimmung noch immer jedem zweiten Deutschen große Angst. US-Präsident Trump flößt den Deutschen immerhin nicht mehr ganz so viel Furcht ein wie zu Beginn: Vor einem Jahr landete die Angst vor seiner unberechenbaren Politik noch auf dem Spitzenplatz.

    Werde ich zum Pflegefall? Kann ich meine Miete noch zahlen?

    Ebenfalls unter den Top Ten landen zwei Ängste aus dem Alltag der Deutschen: 45 Prozent der Bundesbürger haben Angst davor, im Alter zum Pflegefall zu werden. Genauso viele fürchten, dass Wohnen bald nicht mehr bezahlbar sein könnte.

    Die Studienautoren hatten zum ersten Mal nach der Angst vor knappem Wohnraum, explodierenden Immobilienpreisen und hohen Mieten gefragt – das Thema landete auf Anhieb unter den ersten zehn der größten Ängste.

    Die Angst vor Terror geht zurück

    Ein Trend, der bereits im letzten Jahr zu beobachten war, hat sich zudem weiter fortgesetzt: Die

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    ist weiter stark zurückgegangen. Waren es im Sommer 2018 noch rund sechs von zehn Deutschen, die sich vor Anschlägen fürchteten, sind es heute nur noch etwa vier von zehn.

    Nach den massiven Terrorakten in Europa in den Jahren 2016 und 2017 war der Anteil der Menschen mit großer Terrorangst auf mehr als 70 Prozent geschossen – jetzt liegt die Angst vor Anschlägen am unteren Ende der Top Ten.

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    Nur vier von zehn Deutschen haben Angst vor dem Klimawandel

    Bemerkenswert ist: Der Klimawandel macht den Leuten Angst – aber diese Angst ist längst nicht so stark wie viele andere Sorgen. Nur vier von zehn Deutschen fürchten dessen Folgen – etwa Naturkatastrophen oder Wetterextreme wie Dürre, Starkregen oder Hagelstürme. Heißt: Greta, die Grünen und die internationalen Klimaforscher haben die Leute aufgerüttelt – in Panik haben sie die Deutschen bislang nicht versetzt.

    Außerhalb der Top Ten, am unteren Ende des Ängste-Rankings, landen etliche private Sorgen: Die Angst,

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    (18 Prozent), die Angst, dass die eigenen Kinder Drogen nehmen (24 Prozent) oder die Sorge vor einer schweren Krankheit (35 Prozent).

    Ganz anders als in den 90er-Jahren und zu Zeiten der Finanzkrise ist die Angst vor eigener Arbeitslosigkeit für die meisten Deutschen weit nach hinten gerückt: Nur noch jeder Vierte fürchtet sich aktuell vor einem Jobverlust. Sorgen vor einem wirtschaftlichen Abschwung, wie sie viele Experten seit längerem äußern, haben sich noch nicht bei den Deutschen breit gemacht: Mit 35 Prozent landet die Angst vor einer schlechteren Wirtschaftslage weit jenseits der Top Ten, dahinter sogar noch die Angst vor einem schlechteren Lebensstandard im Alter.

    Im Osten sind die Ängste größer als im Westen

    Die neue Gelassenheit ist jedoch in Teilen trügerisch: Reagieren die Deutschen im Jahr 2019 weniger ängstlich als vor einem Jahr, so liegt das vor allem an der deutlich gewachsenen Zuversicht der Westdeutschen,

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    Von Verena Müller, Philipp Neumann und Theresa Martus

    schauen in diesem Jahr kaum weniger ängstlich in die Zukunft als in den letzten beiden Jahren.

    64 Prozent der Bürger im Osten befürchten, dass der Staat und die Bürger durch die große Zahl der Flüchtlinge überfordert sind. Im Westen sind es zehn Prozentpunkte weniger. Fast zwei Drittel (64 Prozent) der Ostdeutschen haben Angst davor, dass es durch den weiteren Zuzug von Ausländern zu Spannungen zwischen Deutschen und hier lebenden Ausländern kommt, im Westen fürchten das nur 53 Prozent. Selbst die Angst vor Trumps Politik ist im Osten deutlich größer.

    Politikforscher: „Die Deutschen sind keine Nation der Angsthasen“

    Doch wie kommt es, dass die Deutschen insgesamt so entspannt sind wie zuletzt vor einem Vierteljahrhundert? Warum sind alle abgefragten Ängste so klar geschrumpft? Politikforscher Manfred G. Schmidt von der Uni Heidelberg hat Hypothesen, aber keine sichere Erklärung dafür.

    Eine der Hypothesen geht so: Im Sommer vor einem Jahr herrschte GroKo-Chaos, die Union zerlegte sich beinahe im Streit ums Asylrecht. Heute gilt: „Die großen Erschütterungen nach der Wahl sind abgearbeitet.“ Die Deutschen bewerten ihre Spitzenpolitiker zwar nicht besser, aber sie lieben nun mal stabile Verhältnisse. Und die liefert die GroKo – bislang.

    Die zweite Hypothese zielt auf den Angsthaushalt der Menschen: Eskaliert das Bedrohungsgefühl in einem Bereich, etwa durch Massenentlassungen, eine Terrorserie oder schwere Überschwemmungen, wachsen oft auch die Ängste in anderen Bereichen. Bleibt eine solche Eskalation aus, beruhigt sich das gesamte Nervenkostüm der Nation. „Die Deutschen sind keine Nation der Angsthasen. Sie reagieren einfach auf reale Gefahren.“