Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel musste sich am Dienstag Kritik der Industrie anhören. Doch die Kanzlerin konterte auch in einer Rede.

Dieter Kempf ist ein ruhiger, geselliger Mann. Keiner, der provoziert nur um der Provokation willen. Einer, der zuhört, aber auch Widerstände nicht fürchtet. Doch dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) ist der Kragen geplatzt. Ausgerechnet beim Tag der Deutschen Industrie mit sehr prominenten Gästen: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) saß im Publikum.

„Der Kurswechsel ist fällig. Die Regierungspolitik schadet den Unternehmen“, wetterte Kempf am Dienstag in den Saal. Die große Koalition stehe für das mutlose Abarbeiten kleinteiliger Sozialpolitik und ein ungesundes Maß an Umverteilung. „Die Regierung hat einen großen Teil des in sie gesetzten Vertrauens verspielt“, schimpfte der BDI-Präsident. Die wirtschaftliche Lage werde zunehmend zum Risiko, „viele Probleme sind hausgemacht“.

BDI-Präsident Dieter Kempf kritisierte die Bundesregierung.
BDI-Präsident Dieter Kempf kritisierte die Bundesregierung. © Reuters | FABRIZIO BENSCH

Und es ging weiter in dem Tenor: Endlich müsse das Warnsignal ankommen, dass die Koalition bei vielen Menschen massiv an Unterstützung eingebüßt habe. „Jeder Vertrauensvorschuss ist endlich“, warnte der 66-Jährige. Parteitaktische Spielchen dürften nicht länger die Richtung der Regierung bestimmen: „Die Wähler durchschauen das Feilschen wie auf dem Basar und wenden sich ab von einer Politik nach dem Motto: ‚Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung gegen Soli-Abbau für alle‘.“ Der Tag der Industrie wurde zum Tag der Abrechnung.

Angela Merkel kontert die Kritik der Wirtschaft

Die Bundeskanzlerin konterte, ließ die Generalkritik nicht auf sich sitzen. „Wir haben ja hier heute offenbar den Tag der offenen Aussprache“, sagte sie. Es folgte eine kämpferische Rede. Merkel nahm sich zuerst die Industrie selbst vor. Seit dem Antritt ihrer vierten Amtszeit vor einem Jahr und drei Monaten habe sie sich lange mit dem verlorenen Vertrauen in die Automobilindustrie und Regelbrüchen beschäftigen müssen, sagte die Regierungschefin.

Vertrauen in die Bundesregierung sei wichtig – genauso wichtig aber sei Vertrauen in die Wirtschaft. Damit hielt Merkel der Automobilindustrie den Spiegel vor.

Merkel- Regierungsarbeit mit Verantwortungsbewusstsein fortsetzen.

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    Sie fuhr fort: Politik und Wirtschaft hätten angesichts der großen Herausforderungen durch den digitalen Wandel eine gemeinsame Verantwortung. Die Kanzlerin zählte dann auf, was die Regierung getan habe und was auch der Wirtschaft nutze. So seien die staatlichen Ausgaben für Forschung erhöht worden. Die Regierung habe eine Strategie zum Zukunftsthema künstliche Intelligenz mit Milliardeninvestitionen auf den Weg gebracht.

    Das Gesetz zur Einwanderung von Fachkräften werde bald vom Bundestag beschlossen. Der „Digitalpakt Schule“ sorge für schnelles Internet in Schulen. Und die Koalition plane außerdem eine milliardenschwere steuerliche Forschungsförderung für Unternehmen.

    Merkel: Mittelstand teilweise nicht gut aufgestellt

    Damit ließ sie es jedoch nicht bewenden. Merkel setzte zu einem weiteren Seitenhieb an. Sie kritisierte, der deutsche Mittelstand sei bei der Plattformwirtschaft nicht gut genug aufgestellt. Unter Plattformökonomie versteht man internetbasierte Geschäftsmodelle, bei denen es auch um die Speicherung von Daten etwa in Clouds geht.

    Der Schlagabtausch zwischen Kanzlerin und Kempf zeigt die Distanz, die Enttäuschung der Wirtschaft mit ihrer einstigen Schutzmacht in der Politik – der CDU. Auch der hochbetagte Schrauben-Milliardär Reinhold Würth rechnete in der „Bild“-Zeitung mit der konservativen Partei ab. „Ich bin kein großer Verehrer der Frau Merkel. Macht zu erhalten war ihr oft wichtiger, als Fortschritte in der Politik zu erzielen“, sagte er.

    Besonders die Umweltpolitik sei eine Katastrophe, zum Beispiel in Hinblick auf Kohlekraftwerke. Auch Annegret Kramp-Karrenbauer kritisiert Würth: „Sie hat von Wirtschaft nicht viel Ahnung und das elegante, glatte Parteipolitikreden haben wir genug im Land.“

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    Friedrich Merz ist nun Vizepräsident des CDU-Wirtschaftsrates

    Anderer Schauplatz, derselbe Tag, ein paar Kilometer weiter: In einem Berliner Hotel findet der diesjährige Wirtschaftstag des CDU-Wirtschaftsrats statt. Brechend voller Saal und Ränge, die ein neues Präsidium feiern: Die Unternehmerin Astrid Hamker als Präsidentin und ihren Vizepräsidenten Friedrich Merz. Der ehemalige Unionsfraktionschef, der bei der Wahl zum CDU-Vorsitz nur knapp unterlegen war, ist nun wieder mit einer Position in die Tagespolitik eingebunden.

    Es soll ein Sprungbrett für ihn sein. Die neue Präsidentin nahm gegenüber ihrer Partei kein Blatt vor den Mund. „Die CDU hat ihren Markenkern verloren. Wir sollten jetzt nicht alle aktionistisch auf das Klimathema springen und eine Kopie der Grünen versuchen“, sagte Hamker unserer Redaktion. Schon der übereilte Atomausstieg sei schwierig gewesen. „Wir sollten uns nicht mit uns selbst beschäftigen, sondern wieder anfangen, Politik zu gestalten. Der Gerechtigkeitsbegriff muss auch für die gelten, die tagtäglich aufstehen, um dieses Land nach vorne zu bringen.“

    Annegret Kramp-Karrenbauer wünscht sich „Mut zur Ungeregeltheit“

    Sie hob außerdem die wichtige Rolle von Merz hervor. Er sei ordnungspolitisch hervorragend aufgestellt. „Wir ergänzen uns gut. Annegret Kramp-Karrenbauer tut gut daran, ihn einzubinden“, sagte Hamker mit Blick auf die CDU-Vorsitzende. Kramp-Karrenbauer war zur Rede beim Wirtschaftsrat geladen. der Saal, der zuvor Merz gefeiert hatte – die Kerntruppe seiner Unterstützer sitzt in den Wirtschaftsreihen – applaudierte zurückhaltend höflich.

    Doch die Parteichefin ließ sich die Butter nicht so leicht vom Brot nehmen. Der Wirtschaftsrat sei stets der „Stachel in unserem Fleisch“, sagte sie mit Blick auf die CDU. „Wir brauchen eine starke Wirtschafts- und Innovationspolitik, um eine starke Umwelt- und Klimapolitik machen zu können“, betonte die CDU-Vorsitzende. Im Gegensatz zu den Grünen sehe man den Klimaschutz nicht als isoliertes Thema.

    Bis zum Herbst werde die Union ein umfassendes Konzept vorlegen. Am Ende erzählte sie eine Anekdote aus Paris, wo im Stadtverkehr die

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    eine große Rolle einnehmen und es funktioniere. Man müsse sich Frankreich ja nicht zum Vorbild nehmen, aber „etwas mehr Mut zur Ungeregeltheit“ und „einfach mal etwas ausprobieren“ täte auch Deutschland gut. Es war der stärkste Applaus, den die CDU-Vorsitzende an diesem Tag aus den Reihen der Wirtschaft bekam.