Brüssel. Um EU-Kommissionspräsident zu werden, ist Manfred Weber auf die Hilfe der Kanzlerin angewiesen. Die hat aber eigentlich nur eine Wahl.

Jetzt geht es Schlag auf Schlag für Europa. Am Sonntag haben die Bürger bei der EU-Parlamentswahl ein wichtiges Signal gesetzt: Der befürchtete Rechtsruck auf dem Kontinent blieb aus – stattdessen wurde die deutlich gestiegene Wahlbeteiligung zum Triumph der Demokraten.

Die Glaubwürdigkeit des Parlaments ist gestärkt. Das Herz der europäischen Demokratie schlägt endlich kräftiger. Doch schon an diesem Dienstag könnte alles wieder verloren sein.

Europawahl: Kassieren die Regierungschefs ein zentrales Wahlversprechen?

Wenn sich die EU-Regierungschefs zum Abendessen in Brüssel treffen, droht der große Rückschlag: Wird der neue Präsident der Kommission, der eine Art Regierungschef der Europäer ist, doch bloß wieder hinter verschlossenen Türen ausgekungelt? Kassiert der Gipfel ein zentrales Wahlversprechen?

Manfred Weber- Die Union hat einen klaren Führungsanspruch

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    Nur wer als Spitzenkandidat bei der Europawahl angetreten ist, sollte Präsident werden können, so hatten es Christ- und Sozialdemokraten, Grüne und Linke im Wahlkampf erklärt; zuletzt sprang auch die Liberale Vestager auf den Kandidaten-Zug. Das Ziel ist es, dem wichtigen Amt eine demokratische Grundlage zu sichern. Jetzt muss sich zeigen, was das Versprechen wert ist.

    Das Problem: Gewählt wird der Präsident vom Parlament – vorgeschlagen aber wird er von den Regierungschefs. Nach Lage der Dinge muss der christdemokratische Spitzenkandidat Manfred Weber den Auftrag bekommen. Nicht weil Deutschland nach mehr als 50 Jahren mal wieder an der Reihe wäre. Sondern weil Webers EVP trotz Verlusten klar Nummer eins im Parlament ist.

    Emmanuel Macrons Querschüsse sind nicht akzeptabel

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    Die Mehrheit für seine Wahl muss er selbst schmieden, indem er Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen inhaltliche Zugeständnisse macht. Aber die dürfen auch nicht überziehen.

    Gegen die EVP können sie nichts durchsetzen, einen anderen Kandidaten schon gar nicht. Webers Versuch hat alle Unterstützung verdient, auch durch den Gipfel in Brüssel. Die Querschüsse, wie sie der französische Präsident Macron im Vorfeld gegen den Spitzenkandidaten abgegeben hat, sind nicht akzeptabel.

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    Weber wäre jetzt der richtige Mann an der Spitze

    Macron ignoriert das Wählervotum. Er will zurück zur Kungelei. Es geht jetzt also ums Prinzip: Ja, das Spitzenkandidaten-Verfahren ist der richtige Versuch, die Europawahl interessanter, transparenter, spannender zu machen – und demokratischer, allen Defiziten zum Trotz. Das sollte kein Regierungschef so einfach sabotieren können.

    Es geht aber auch um die Person: Weber ist gerade nach diesem Wahlergebnis der richtige Kandidat. Gebraucht wird an der Spitze der Kommission jetzt kein autoritärer Kraftmeier, sondern angesichts der Zersplitterung im Parlament ein Moderator, ein Brückenbauer. Genau das ist Weber.

    Brücken bauen könnte er auch zwischen Ost und West. Seine mangelnde Regierungserfahrung ist ein Manko, aber nicht entscheidend. Aber was Weber jetzt benötigt, ist die Hilfe der Kanzlerin.

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    Merkel darf keine Kungelei zulassen

    Angela Merkel hat Webers Kandidatur unterstützt, aber aus ihrer Skepsis gegen die zugrundeliegende Idee keinen Hehl gemacht hat. Das hat Zweifel an ihrer Verlässlichkeit genährt. Deshalb muss die Kanzlerin beim Gipfel deutlich machen, dass sie auch im Ernstfall hinter Weber steht und nicht Hintertüren für personelle Tauschgeschäfte offen hält.

    Taschenspielerei im Personalpoker wäre kaum im Interesse Deutschlands. Schlimmer: Die Wähler dürften sich auf den Arm genommen fühlen. So wäre das seit Sonntag so eindrucksvoll gestiegene Ansehen des Parlaments rasch wieder verspielt.