Brüssel. Wird CSU-Vize Manfred Weber der neue Mr. Europa? Für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten gibt es nach der Wahl harte Konkurrenz.

Nach der Europawahl ist in Brüssel ein Machtkampf um den neuen Präsidenten der EU-Kommission entbrannt: CSU-Vize Manfred Weber bekräftigte am Wahlabend seinen Anspruch, als erster Deutscher seit über 50 Jahren den einflussreichen Chefposten in der Kommission zu besetzen – und damit als eine Art europäischer Regierungschef die Geschicke des Kontinents in den nächsten fünf Jahren maßgeblich mitzubestimmen.

Seine Europäische Volkspartei (EVP) sei weiter stärkste Kraft und habe damit einen Führungsauftrag, sagte der 46-jährige Weber gegen Mitternacht, als Hochrechnungen den Vorsprung der christdemokratischen Parteifamilie bestätigten.

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Doch der sanfte Bayer stößt auf starke Konkurrenten: Die resolute EU-Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager, eine Liberale aus Dänemark, erklärte in Brüssel nach monatelangem Zögern offiziell, dass auch sie Kommissionschefin werden wolle.

Europawahl 2019: Viel hängt von den Grünen ab

Und der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, der Niederländer Frans Timmermans, ist ebenfalls im Rennen um den europäischen Top-Job. Timmermans versucht im neugewählten Parlament ein „progressives“ Bündnis gegen Weber zu schmieden, noch in der Wahlnacht angefeuert von SPD-Chefin Andrea Nahles. Viel hängt jetzt von den Grünen ab, die in Brüssel von allen Seiten heftig umworben werden.

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Von Tim Braune und Kerstin Münstermann

Weber, als EVP-Spitzenkandidat eigentlich von Anfang in der der Favoritenrolle, trat in der Nacht in Brüssel demonstrativ bescheiden auf: Angesichts der Stimmenverluste für seine EVP gebe es „kein Siegergefühl“, sagte er. Ausgerechnet in Deutschland war für den CSU-Vize der Rückenwind für den Aufstieg an die EU-Spitze ausgeblieben.

Dennoch ist die EVP auch in den nächsten fünf Jahren stärkste Kraft im EU-Parlament – unabhängig davon, ob die ungarische Fidesz-Partei weiter der Parteifamilie angehört, was noch nicht geklärt ist.

Auf der EVP-Wahlparty in einem Hotel im Brüsseler Europaviertel wurde Weber entsprechend bejubelt und als nächster Kommissionspräsident gefeiert.

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    Timmermans scheint Mehrheit zu verfehlen

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    Liberale und Grüne haben dafür zugelegt, aber auch die Rechtspopulisten, die vor allem in Italien, Frankreich und Großbritannien zu neuer Stärke aufliefen.

    Um einen Kommissionspräsidenten zu wählen, müssen sich die Christ- und die Sozialdemokraten aller Voraussicht nach nicht nur zusammenraufen, sondern mit Liberalen oder Grünen zusammentun. Weber schloss aus, dass er sich mit den Stimmen der „Extremisten von Links und Rechts“ wählen lässt. Timmermans wäre zwar bereit, in ein Bündnis gegen Weber neben Grünen und Liberalen auch die deutsche Linkspartei und deren Allianzpartner einzubeziehen – doch eine Mehrheit scheint er trotzdem zu verfehlen.

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    Eine schwierige Gemengelage. Dennoch übten Sozialdemokraten, Liberale und Grüne gegen Mitternacht im Parlament überraschend den rhetorischen Schulterschluss, grenzten sich von Weber ab und erklärten vor Journalisten, die Bürger in Europa hätten den Wechsel gewählt. Webers EVP dagegen wolle, „dass alles so bleibt wie es ist“, wie Timmermans sagte.

    Vestager meinte keck, als Wettbewerbskommissarin habe sie bislang gegen Monopole in der Wirtschaft gekämpft, jetzt sei auch das Machtmonopol in der EU gebrochen – das lag zuletzt in der Hand der EVP, die alle Spitzenposten besetzt hatte.

    Weber bot Grünen Entgegenkommen an

    Auch die Grünen-Spitzenkandidatin Ska Keller sah das Signal der Wähler zum „Wechsel“ und betonte, ihre Fraktion werde nur einen Kommissionspräsidenten unterstützen, der unter anderem für effizienten Klimaschutz eintrete. Was aus dieser Allianz ohne greifbare Mehrheit wird, ist offen.

    Kann Weber den anderen ein Lockangebot zu Programm und Posten machen? Er bot vor allem den Grünen, mit denen es bereits vor der Wahl Kontakte gab, umgehend Entgegenkommen an. Klimaschutz müsse ein größeres Thema für die Kommission werden, meinte Weber.

    Europawahl 2019- Jubel und Frust in Deutschland

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    Die Grünen können sich freuen: Nach den ersten Hochrechnungen darf die Ökopartei jubeln. Sie kann ihr Ergebnis im Vergleich zu 2014 verdoppeln. © dpa | Tobias Hase
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    Die Chefinnen liegen sich sogar in den Armen: Annalena Baerbock (l.), Grünen-Vorsitzende, und Fraktionschefin Katrin Göring-Eckard. © dpa | Kay Nietfeld
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    Nach den ersten Hochrechnungen stehen CDU/CSU zwar auf Platz eins, müssen aber starke Verluste verkraften. In Berlin gratulieren sich Anhänger der Union. © dpa | Michael Kappeler
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    Keine Freude hingegen herrscht bei der SPD. Die Partei ist der große Wahlverlierer. © dpa | Wolfgang Kumm
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    SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley meinte: „Ich habe alles gegeben. Mehr ging nicht.“ © dpa | Wolfgang Kumm
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    Für die FDP lief es besser – zumindest ein bisschen. Spitzenkandidatin Nicola Beer und FDP-Chef Christian Lindner freuen sich in Berlin über die kleine Steigerung. © dpa | Carsten Koal
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    Junge Anhänger der FDP klatschen zögerlich nach der ersten Hochrechnung in Berlin. © dpa | Carsten Koal
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    Er ballt die Faust, doch das Ergebnis ist nicht so stark wie erhofft: AfD-Chef Jörg Meuthen gibt sich dennoch zufrieden. © Reuters | Axel Schmidt
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    „Wir müssen von jetzt an zusammenarbeiten“, sagte er mit Blick auf die „geschrumpfte Mitte“ des Parlaments. An ein Treffen des CSU-Politikers mit Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen am Montagabend in Brüssel werden zwar keine großen Erwartungen geknüpft.

    Regierungschefs schlagen Kommissionspräsidenten vor

    Dennoch werde er am Dienstag wohl den Auftrag aller Fraktionschefs bekommen, als Anführer der stärksten Gruppe eine Mehrheit zu suchen, hieß es im Parlament. Ob es Weber tatsächlich gelingt, ein Bündnis zu schmieden, ist ungewiss. Vor allem bei den Sozialdemokraten ist die Bereitschaft zur Einigung wenig ausgeprägt. Andererseits könnte Weber eine Eigenschaft helfen, die ihm bislang eher als Nachteil ausgelegt wurde: Er hat sich in der Rolle des EVP-Fraktionschefs vor allem als Moderator bewährt, nicht als durchsetzungsstarker Anführer; genau die Fähigkeit zum Brückenbauen könnte jetzt gefragt sein.

    Parallel werden die EU-Regierungschefs am Dienstagabend beim Dinner über diese und andere Personalien beraten: Denn das Parlament wählt zwar den Kommissionspräsidenten, aber vorschlagen müssen ihn die Regierungschefs. Dass sie sich schon auf Weber oder einen Alternativkandidaten festlegen, sei nicht zu erwarten, heißt es in Ratskreisen.

    Nach der Europawahl ist vor dem Machtpoker: Die Suche nach einem Kommissionspräsidenten und damit die Bildung der neuen EU-Kommission als eine Art europäischer Regierung werde sich diesmal lange hinziehen, hieß es von Beteiligten. Einer aus dem Kreis der künftigen Verhandler im Parlament sagte in der Nacht: „Dass schon im Juli ein neuer Kommissionspräsident gewählt wird, wird zunehmend unwahrscheinlich. Das riecht nach einer monatelangen Hängepartie.“