Berlin. Kaffee im Mehrwegbecher? Das ist für immer mehr selbstverständlich. Warum der Zeitpunkt für die nächste Anti-Plastik-Regel günstig ist.

Sie gehen mit Jutebeuteln im Secondhand-Laden shoppen. Sie kaufen Armbänder aus Recycling-Plastik und unterstützen mit dem Kaufpreis die Plastiksammler an Europas Stränden. Sie erklären ihren Eltern, warum es eine Umweltsünde ist, wenn man Fleisch isst oder Avocados kauft. Und am Ende der Woche gehen sie zu den Klimademos der „Fridays for Future“-Bewegung. Eine ganze Teenager-Generation, so scheint es, schwimmt gerade auf der neuen deutschen Ökowelle.

Und nicht nur sie. Vor allem in den Großstädten boomt alles, was nach Teilen, Tauschen und nachhaltigem Konsum klingt. Wer trendmäßig etwas auf sich hält, will nicht mehr besitzen, sondern sich beteiligen – beim Gemeinschaftsgärtnern auf Urban-Gardening-Parzellen, beim Gemeinschaftsarbeiten im Coworking-Space, beim Car-Sharing.

Bundesbürger sind bereit, sich von Plastiktüten zu verabschieden

Ob Autos, Fahrräder, E-Roller: Der Individualverkehr in großen Städten dürfte sich massiv verändern, wenn immer mehr Menschen auf praktische, flexible und damit oft auch ressourcenschonende Verkehrskonzepte umsteigen.

Und genauso, wie die meisten

Auch interessant

verabschieden, genauso dürften viele grundsätzlich bereit sein, sich nach und nach von den jährlich 2,8 Milliarden Einwegbechern für Kaffee & Co. zu trennen.

Mehrwegbecher als Beweis für ökologisch korrektes Verhalten

Nicht nur, weil die

Auch interessant

für Hersteller und Handel. Sondern auch, weil als Gegenwert für den Verzicht etwas Unbezahlbares lockt: ein Schub gutes Gewissen. Der Mehrwegbecher als Beweis ökologisch korrekten Verhaltens: unverzichtbarer Trendartikel für den umweltbewussten Teenager, Basis-Accessoire für alle, die es mit der Nachhaltigkeit ernst meinen.

Der Zeitpunkt dafür jedenfalls ist günstig: Nicht nur viele junge Deutsche sind offenbar geradezu hungrig danach, aus der aktuellen Ökowelle eine neue Lebenskultur zu entwickeln: Umweltbewusstsein als coole, zeitgemäße Attitüde.

Hintergrund:

Auch interessant

Große Kluft zwischen Umweltbewusstsein und Verhalten

Sicher: Man kann das freundlich belächeln und daran erinnern, dass gleichzeitig im konsumgierigen China die Müllberge ins Gigantische wachsen. Man kann das alles auch für eine Art Ersatzreligion halten, die Sinn stiftet und Gewissenshygiene fördert.

Und klar, man kann auch einwenden, dass just der Möchtegern-Umweltschützer, der gerade mit dem vollen Mehrwegbecher aus dem hippen Kaffeeladen geschlendert kommt, als Nächstes einen Billigflug für einen Kurztrip in irgendeine Partyme­tropole bucht.

Oder: Dass sich der klimabewegte Teenager, der freitags gegen die Braunkohle demonstriert hat, am Sonnabendmorgen von Papi mit dem SUV zum Fußballtraining fahren lässt – und danach durch die Billigläden zieht und haufenweise Wegwerf-Klamotten kauft.

Eine Studie des Umweltministeriums ergab letztes Jahr passend dazu, dass bei den 14- bis 22-Jährigen die Kluft zwischen gut gemeint und gut gemacht, zwischen theoretischem Umweltbewusstsein und praktischem, umweltschonenden Verhalten groß ist.

Weiter so wie bisher? Ist keine Alternative

Also alles nur heiße Luft? Ist die Ökowelle eine bloße Modeerscheinung ohne nachhaltige Folgen? Nein, das greift zu kurz.

Die Geschichte zeigt: Ohne die Umweltbewegung der 70er- und 80er-Jahre hätten sich nie die Standards durchgesetzt, die heute immerhin weltweit eingefordert werden können. Die aktuelle Ökowelle, wenn sie politisch klug begleitet wird, kann dazu beitragen, den westlichen Lebensstil Schritt für Schritt zu ändern.

Die Alternative dazu? Sie hieße: Weiter so. Nicht nur die umweltbewegten Teenager haben begriffen, dass das keine Alternative ist.