Berlin. Christian Lindner darf FDP-Chef bleiben. Mit Provokationen und scharfen Attacken gegen die Grünen schärft er das Profil seiner Partei.
Draußen sind es 24 Grad. In Berlin hat es seit Wochen nicht mehr richtig geregnet. Die Angst vor dem nächsten Dürresommer geht um. Drinnen, beim 70. Bundesparteitag der FDP, steht Christian Lindner und spricht – übers Klima.
Über das globale Klima, aber auch über das politische Klima in Deutschland. Über ein Land, das seine Zuversicht verloren habe. „Heißzeit. Plastiktod. Massenarmut. Die dunkle Seite der Digitalisierung“, zählt Lindner die Ängste der Deutschen auf. Seine Diagnose: Hypermoralische Aufregung. „Früher war mehr Zuversicht.“
Klimaschutz für Lindner nicht die eigentliche Herausforderung
Lindner wird später an diesem Freitag auch über Klimapolitik sprechen, über die Freitagsdemos der Schüler und die Frage, warum er zu seinem Satz steht, Klimaschutz sei etwas für Profis. Doch erstmal geht es ihm um einen deutschen Denkfehler. Oder besser: Darum, dass die Deutschen in Lindners Augen vor den falschen Sachen Angst haben.
Dabei ist es nicht so, dass die FDP keine Angst hätte. Die größte Angst, die den FDP-Chef bewegt, ist die Sorge davor, dass Deutschland vor lauter Angsthaben die eigentlichen Herausforderungen verpasst. Allen voran: der wirtschaftliche Wettlauf mit dem übermächtigen China. Er sage das nicht „um Angst vor dem gelben Mann zu machen.“ Er wolle bloß warnen: „Wenn wir hier nicht wieder Wirtschaftspolitik machen, dann werden es andere für uns tun.“
Chinesische Schriftzeichen sollen provozieren
Und weil Lindner gerne provoziert, leuchtet das Motto für den Parteitag hinter ihm an der Wand diesmal in chinesischen Schriftzeichen: Das Wort heißt übersetzt „Wirtschaftspolitik“. Echte Kenner des Chinesischen wissen zwar, dass die Chinesen mit diesem scheinbar neutralen Begriff eher die staatliche Planwirtschaft meinen als eine liberale Marktwirtschaft. Aber egal.
Die FDP bestimmt auf dem Parteitag nicht nur ihre Führungsriege für die nächsten zwei Jahre. Sie will auch ihren Markenkern, die liberale Wirtschaftspolitik wieder deutlich sichtbar machen. Da kommt die Assoziation mit der chinesischen Planwirtschaft sogar ganz passend – es ist Lindners neuer Lieblingskampfbegriff.
Lindner schießt gegen Altmaier und Scholz
Geradezu vernichtend fällt etwa das Urteil des Parteichefs über
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aus. Der CDU-Mann vergesse nicht nur kleine und mittlere Familienunternehmen, seine Strategie grenze an staatlich gelenkte Planwirtschaft.
Einen Kübel Kritik gibt es auch für Finanzminister Olaf Scholz: Der SPD-Mann habe ja angedeutet, staatlich gegensteuern zu wollen, falls es zu einer Rezession komme. Lindner findet das absurd: „Wir dürfen nicht warten, bis eine Rezession kommt. Wir müssen jetzt handeln.“ Das liberale Standardrezept: Steuern runter, Hemmnisse abschaffen, Gründer fördern.
Enteignungsdebatte: Lindner will Artikel 15 abschaffen
Dann knöpft er sich seinen Lieblingsgegner vor: Grünen-Chef Robert Habeck. Auch einer, der in Lindners Augen viel zu sehr auf staatlichen Zwang setzt. Eine Politik der „Verbote, Quoten und Planwirtschaft“ wirft Lindner den Grünen vor.
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setzt Lindner das Motto „Bauen statt Klauen“ entgegen. Heißt: Den Wohnungsbau ankurbeln statt über Enteignungen reden.
Die Berliner Enteignungskampagne sei blanker Linkspopulismus. Die Antwort der Liberalen ist die Forderung nach einer Abschaffung von Artikel 15 des Grundgesetzes, auf den sich das Berliner Volksbegehren zur Enteignung von großen Wohnungsgesellschaften stützt. Lindners Botschaft: Wir sind die einzigen konsequenten Beschützer des privaten Eigentums. Woher die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Verfassungsänderung kommen soll, weiß allerdings auch der FDP-Chef nicht.
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Lindner hält offenbar nichts von der CO2-Steuer
Hart geht der FDP-Mann schließlich auch mit der Klimapolitik der Grünen ins Gericht: Die Grünen wollten Flugreisen künftig so verteuern, dass eine vierköpfige Familie, die in den Herbstferien von Köln nach Mallorca fliegen wolle, 8000 Euro zusätzlich zahlen müsse, rechnet Lindner vor.
Und mehr noch: Grünen-Chef Habeck träume von einem Land, das bis zum Jahr 2050 ohne Fleischkonsum auskomme. In das empörte Grummeln im Saal hinein holt Lindner zum rhetorischen Faustschlag aus: Eine solche Politik lasse auf ein anderes Gesellschaftsmodell schließen. Er wolle das nicht chinesischen Staatskapitalismus nennen. Aber: „Das ist eine Form des ökologischen Autoritarismus.“
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Doch auch Lindner weiß, dass eine Partei, die regieren will, am Klimaschutz nicht vorbei kommt. Und dass er der FDP keinen Gefallen getan hat, als er erklärte, dass Klimaschutz nichts für Schüler, sondern eine Sache „für Profis“ sei. Das kam nicht nur besserwisserisch an, sondern ignorierte auch, dass viele in der Partei Sympathien hegen für die klimabewegten Jungdemonstranten.
Beim Parteitag wollen die Liberalen deswegen klarmachen, dass sie die besseren Klimaschützer sind – mit einem Konzept, das vor allem auf technische Lösungen statt auf Änderung des Lebensstils setzt.
Lindner mag, wie er betont, kein Klimaprofi sein. Als Politikprofi aber ist er in der FDP unangefochten.
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bekam knapp 93 Prozent. Ihn selbst bestätigen die Delegieren mit gut 86 Prozent, fünf Prozentpunkte weniger als vor zwei Jahren. Profis lächeln so was weg.
(Julia Emmrich)