Berlin. Die Opposition kritisiert Gesundheitsminister Jens Spahn für das neue Terminservice-Gesetz. Trickreich überrumpele er Freund und Feind.

Jens Spahn will den Alltag der Bürger, Patienten „und all derjenigen, die im Gesundheitswesen tätig sind, konkret verbessern“. So formulierte es der Bundesgesundheitsminister im September im Bundestag, als die Bundesregierung sein Terminservice-Gesetz beschlossen hatte. Es soll unter anderem bewirken, dass Kassenpatienten schneller Termine bei Fachärzten bekommen.

Seither hat Spahn vor allem eines geschafft: den Alltag vieler Gesundheitsexperten anstrengender zu machen. In den Monaten nach dem Kabinettsbeschluss nämlich veränderte der CDU-Politiker sein Gesetz immer mehr und immer weitgehender. Am Ende war es um Hunderte Seiten dicker.

Seinen Beamten und allen Experten bei Krankenkassen und Ärzteverbänden, die an dem Paragrafenwerk beteiligt waren, schwirrte der Kopf. Wenn das „Terminservice- und Versorgungsgesetz“, so der offizielle Name, an diesem Donnerstag im Bundestag beschlossen wird, hat Spahn mit dem Tempo und der Methode, mit der er dabei vorgegangen ist, Maßstäbe gesetzt.

Kritik von FDP und Grünen

Das Urteil der Opposition ist klar: „Sein Politikstil erinnert an das Verhalten eines absolutistischen Herrschers: Kaiser Spahn entscheidet, was passiert“, sagt die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus. „Jens Spahn macht populistische Politik, das ist ganz klar“, meint Maria Klein-Schmeink, ihre Kollegin von den Grünen.

Dagegen nimmt Georg Nüßlein (CSU), Vizechef der Unions-Fraktion, den Minister in Schutz: „Dass Gesetze am Ende anders aussehen, als es der Kabinettsbeschluss der Bundesregierung vorsieht, ist normal.“ Sie würden auch von den Abgeordneten im Bundestag beschlossen, nicht von der Regierung.

Spahn selbst mag sich nicht äußern. Aus seinem Ministerium heißt es nur, der Chef löse gesundheitspolitische Aufgaben und Probleme gern schnell und nutze dafür jedes verfügbare Gesetz.

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    Änderungen am Gesetz quasi durch die Hintertür

    Um die Aufregung zu verstehen, muss man wissen, wie Gesetze gemacht werden und was Spahn vorhat. Normalerweise legt ein Minister einen Entwurf vor, den die Bundesregierung dann beschließt. Der Bundestag berät in seinen Ausschüssen darüber und gibt schließlich seinen Segen.

    Im Falle von Spahns Terminservice-Gesetz veränderte sich das Paragrafenwerk dabei grundlegend. Ganz neue Passagen zur elektronischen Gesundheitskarte und zu medizinischen Hilfsmitteln kamen dazu. Bei diesen Änderungen schrieben Spahns Beamte den Text, schickten ihn an die Unions-Abgeordneten und ließen die neuen Abschnitte quasi durch die Hintertür in das Gesetz einfügen. Inhaltlich greift Spahn außerdem weit in den Hoheitsbereich von Ärzten und Krankenkassen ein und nimmt ihnen einige Zuständigkeiten.

    „So viele nachträgliche Änderungen wie zu diesem Gesetz habe ich noch nicht erlebt“, sagt FDP-Politikerin Aschenberg-Dugnus, man könne sie gar nicht richtig beraten. Spahn kenne sich bestens in der Gesundheitspolitik aus, und sie schätze ihn persönlich. Aber wie dieses Gesetz zustande gekommen sei, zeige: „Spahn möchte möglichst viel selbst entscheiden. Er denkt offenbar, er weiß am besten, wie es geht.“

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    Spahn überrumpele Freund und Feind

    Ähnlich lautet die Kritik der Grünen: Dem Minister gehe es oft gar nicht um Gesundheitspolitik; „Spahn will als Macher erscheinen. Er inszeniert sich als Minister, der Dinge durchsetzt“, sagt Gesundheitsexpertin Klein-Schmeink. Dass er viele Versprechen später wieder relativieren müsse und oft Mühe habe, sie wirklich umzusetzen, „davon bekommen die Bürger fast nichts mit“.

    Spahn mache Gesetze, indem er Freund und Feind überrumpele, bei Gegenwind nachgebe, aber sofort wieder versuche, ans Ziel zu kommen – so beschreibt ein Krankenkassenmanager die Strategie. Spahn gehe „radikal und furchtlos“ vor, heißt es bei den Ärzten.

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      Er kenne die Gesundheitsbranche bestens

      Kenner des Gesundheitssystems erinnert das stark an die ehemalige Ministerin Ulla Schmidt (SPD), die den hartnäckigen Widerstand der vielen Lobbygruppen oft genug nur mit Tricks und Finten überwand. Wie Schmidt kenne sich Spahn bestens in der Gesundheitsbranche aus, heißt es überall anerkennend. Er wisse genau, wo es bei Ärzten und Kassen hake, und wie Schmidt sei er genervt von der geringen Veränderungsbereitschaft im Gesundheitswesen.

      Der einzige Unterschied zwischen den beiden: Anders als Schmidt habe Spahn kein großes inhaltliches Interesse an Gesundheitspolitik, sondern arbeite fast ausschließlich auf eigene Rechnung: „Wie seine Gesetze wirken, ist ihm egal. Er verteilt das Geld großzügig“, sagt der Kassenmanager. „Die Lobbygruppe, die am lautesten schreit, bekommt am ehesten ein öffentlichkeitswirksames Geschenk“, sagt FDP-Politikerin Aschenberg-Dugnus. „Mit fachlich begründeten Entscheidungen hat das nichts zu tun.“

      Spahns Leute können die Kritik am Minister und am Gesetz nicht nachvollziehen. „Solange wir uns in der Koalition gut verstehen und gut zusammenarbeiten, sollten wir die Zeit nutzen, um etwas zustande zu bringen“, findet Vizefraktionschef Nüßlein. „Das Terminservice-Gesetz hat viel Arbeit gemacht, und es fiel manchmal schwer, den Überblick zu behalten. Aber am Ende wird das ein gutes Gesetz werden.“

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