Berlin. 5000 Hinweise auf Kriegsverbrechen hat das BKA in den Jahren 2014 bis 2018 bekommen. Nur in 129 Fällen wurden Ermittlungen aufgenommen.

Wenn Opfer und Ankläger Glück haben, dann läuft es so wie im Fall des syrischen Milizenführers, der unter dem Namen „Abu Dhib“ bekannt war: In Aleppo folterte und misshandelte er Gefangene, dann kam er nach Deutschland und beantragte Asyl.

In einer Erstaufnahmeeinrichtung erkannte ihn eines seiner Opfer wieder und erstattete Anzeige. Es gab Zeugen, eine Observation durch die Polizei und ein Strafverfahren. Im September 2018 verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf den Mann zu lebenslanger Haft.

Dass Menschen in Deutschland verurteilt werden für Straftaten, die sie im Ausland im Krieg begingen, ist allerdings eher die Ausnahme. Oft sind die Hinweise darauf zu vage, die Beweise zu dünn. Es fehlen Zeugen. Deutsche Polizisten und Staatsanwälte haben auch viel anderes zu tun, als dass sie Hinweisen auf mögliche Kriegsverbrechen nachgehen können.

5000 solcher Hinweise hat das Bundeskriminalamt (BKA) in den Jahren 2014 bis 2018 bekommen. Nur in 129 Fällen wurden Ermittlungen zu konkreten Verdachtsfällen aufgenommen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage der FDP-Bundestagsabgeordneten Linda Teuteberg hervor, über die zuerst die „Bild“-Zeitung berichtete.

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg.
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg. © dpa | Uwe Anspach

In den Jahren 2015 und 2016 gab es 3810 solcher Hinweise auf Kriegsverbrechen. Es kam aber nur zu 28 Ermittlungsverfahren mit 38 Beschuldigten. Bedeutet das, dass Kriegsverbrecher in Deutschland leben? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.

Wer ist überhaupt Kriegsverbrecher?

Der Begriff Kriegsverbrechen bezeichnet Verstöße gegen das Völkerrecht, die im Verlauf eines Krieges begangen werden. Das bedeutet, es muss nicht nur ein Verbrechen geben, sondern einen bewaffneten Konflikt.

Als Beispiele für Kriegsverbrechen nennt das BKA die gezielte Tötung von Zivilisten, die Zerstörung von Wasser- oder Elektrizitätswerken, die Behinderung humanitärer Hilfe oder den großflächigen Abwurf von Bomben.

Sind die Menschen, die aus Kriegsgebieten zu uns gekommen sind, gefährlicher als gedacht?

Das lässt sich nicht sagen. Aktuell gibt es in Deutschland keine Kriegsverbrechen, denn es gibt hier keinen Krieg. Die Hinweise zu solchen Verbrechen beziehen sich auf Vorgänge im Ausland, oft befinden sich auch die mutmaßlichen Täter noch dort. Selbst wenn sie in Deutschland wären, ist unklar, ob sie hier gewalttätig werden.

Sind Flüchtlinge krimineller als Deutsche?

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    Woher kommen die Hinweise?

    Zwischen 2014 und 2018 haben 1,8 Millionen Flüchtlinge in Deutschland einen Erstantrag auf Asyl gestellt. Jeder, der in der Bundesrepublik Asyl beantragt, wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu seiner Flucht und den Gründen dafür befragt.

    Aus diesen Befragungen stammen die Hinweise. Verarbeitet werden sie bei der „Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen“ (ZBKV), die 2018 beim BKA geschaffen wurde. Sie soll stetig mehr Personal bekommen.

    Wie konkret – und damit wie verwertbar für die Strafverfolgung – diese Hinweise sind, unterscheidet sich jedoch stark. So können auch schon Augenzeugenberichte von Asylbewerbern als Hinweis auf Kriegsverbrechen weitergeleitet werden, selbst wenn es keine Details zu den Tätern oder deren Aufenthaltsort gibt.

    Warum wurde diesen Hinweisen nur in wenigen Fällen nachgegangen?

    Das Bundesinnenministerium erklärt die geringe Zahl von Fällen, bei denen Ermittlungen aufgenommen wurden, mit der Menge der Hinweise. „Die große Zahl der Hinweise hat es nicht zugelassen, allen zum Beispiel durch polizeiliche Vernehmungen unmittelbar nachzugehen“, sagte ein Sprecher. „Die Hinweise wurden jedoch elektronisch erfasst und werden auch in Zukunft für die laufenden Ermittlungen herangezogen.“

    Die Grünen-Sicherheitsexpertin Irene Mihalic.
    Die Grünen-Sicherheitsexpertin Irene Mihalic. © dpa | Bernd von Jutrczenka

    Die Grünen-Sicherheitsexpertin Irene Mihalic will das nicht gelten lassen: „Ohne die Fälle im Einzelnen bewerten zu können, wäre es natürlich schon skandalös, wenn tausende von Hinweisen auf entsprechende Verfahren nicht geprüft oder angemessen bearbeitet worden wären“, sagte sie unserer Redaktion. „Die jetzt ins Feld geführte konkrete Überlastung ist auch in dieser Form nicht kommuniziert worden, beispielsweise in parlamentarischen Haushaltsberatungen“, kritisiert sie. „Da hätte man frühzeitig nachsteuern können und auch müssen!“

    Minister Horst Seehofer (CSU) beteuerte, die Hinweise seien „nicht einfach von den Sicherheitsbehörden abgelegt worden, sondern natürlich geprüft worden“. Er lege aber „Wert darauf, dass ich als Minister noch auch schriftlich einen Bericht bekomme, damit die Öffentlichkeit dann informiert werden kann, was mit diesen Meldungen konkret geschehen ist.“

    Wie gefährlich ist der IS noch?

    Das Gebiet an der syrisch-irakischen Grenze, das die Terrormiliz unter ihrer Kontrolle hat, soll auf nur noch einen Quadratkilometer geschrumpft sein. Nach Einschätzung des Terrorismusforschers Peter Neumann besteht die IS-Miliz aber weiterhin: „ISIS hat nach wie vor Tausende Anhänger in aller Welt, auch im Kalifatsgebiet in Syrien und im Irak“, sagte er jüngst der „Bild“-Zeitung. „Auch wenn die Organisation ISIS besiegt ist, viele der Leute, die sich in den vergangenen Jahren radikalisiert haben, sind nach wie vor da“, so Neumann.