Berlin. Schon Grundschüler verbreiten Pornos von Gleichaltrigen. Die Zahl der Anzeigen gegen unter 14-Jährige steigt. Doch was hilft dagegen?

Marie ist elf Jahre alt. An einem Tag als die Grundschülerin krank ist und im Unterricht fehlt, gehen Nacktbilder im Klassen-Chat auf WhatsApp herum. Marie in erotischen Posen. Ihre Brüste sind zu sehen, auch ihr Unterleib. Die Schule nimmt Kontakt mit der Familie auf, die Eltern erstatten Anzeige.

Die Polizei ermittelt und findet heraus: Eine Mitschülerin hat die Bilder herumgeschickt, sie stammen aus einem Online-Flirt zwischen Marie und einem fremden Jungen, den beide Mädchen übers Internet kennen. Der Junge ist elf, er hatte Marie um Nacktfotos gebeten.

Kinderpornos in Klassen werden zum Problem

Marie heißt in Wirklichkeit anders, doch ihre Geschichte ist genau so passiert, und sie ist kein Einzelfall. Es ist auch keine Lappalie: Beide, der fremde Junge und die Mitschülerin, sind zu Straftätern geworden. Denn: Wenn Kinder unter 14 Jahren

weitergeben, gilt das als Straftat.

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Im Gegensatz zu Jugendlichen sind sie zwar vor dem Gesetz noch schuldunfähig, also nicht strafmündig. Dennoch muss die Polizei Ermittlungen aufnehmen – und dazu kommt es immer öfter: „Die

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ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen“, sagt Judith Dobbrow vom Landeskriminalamt (LKA) in Berlin.

Nackt-Fotos von Kindern können in Schüler-Chats zum Problem werden.
Nackt-Fotos von Kindern können in Schüler-Chats zum Problem werden. © dpa | Oliver Berg

„Als Polizei sind wir inzwischen im Schnitt alle zwei Wochen in einer Schule, um dort einer solchen Anzeige nachzugehen. In den meisten Fällen sind es Eltern oder Lehrer, die solche Vorkommnisse anzeigen.“

Juristen sprechen von

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Maries Nacktbilder fallen unter diese Definition. LKA-Ermittlerin Dobbrow befasst sich seit 20 Jahren mit solchen Bildern. „Als ich damit anfing, gab es praktisch nur erwachsene Täter. Seit jedes Kind ein Smartphone hat, werden auch die Tatverdächtigen immer jünger. Wir haben es inzwischen oft auch mit Grundschülern zu tun.“

Johannes-Wilhelm Rörig, Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs.
Johannes-Wilhelm Rörig, Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. © picture alliance/dpa | dpa Picture-Alliance / Christine Fenzl

Jugendschutzexperten warnen deswegen vor einem gefährlichen Trend: „Täter und Opfer werden immer jünger. Wir reden heute schon über Neun- bis Elfjährige, die

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oder Selbstbefriedigungsvideos von Gleichaltrigen verbreiten. Diese Fälle nehmen zu“, sagt Julia von Weiler, Internetexpertin im Fachbeirat des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung und Geschäftsführerin des Vereins Innocence in Danger.

Oft geht es um Aufmerksamkeit

Die Gründe für den Trend liegen auf der Hand: Immer mehr Grundschüler haben heute internetfähige Smartphones – und sie erfassen rasant, wie man im digitalen Zeitalter auf sich aufmerksam machen kann. So etwa die beiden Grundschüler, deren Fall die LKA-Ermittlerin Dobbrow vor Kurzem auf dem Tisch hatte: acht und zehn Jahre alt, Junge und Mädchen.

Sie hatten Pornostars wie

auf Youtube gesehen, sie wissen, wie viele Klicks man mit solchen Videos bekommt. Das wollten sie auch. Also filmten sie sich beim gespielten Sex und luden das Video hoch.

Bei Youtube fiel es jemanden auf, das Video wurde gelöscht, es kam zur Anzeige, die Ermittler fanden heraus, wer die beiden Kinder sind. Es war ein Schock für die Eltern, als sie von der Polizei hörten, was passiert war. Doch die Sache hat noch eine zweite Seite.

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  • Die Polizei kann solche Fälle nicht als kindliche Dummheit zu den Akten legen. „Wir müssen jedesmal fragen: Geht es hier um eine Sache zwischen zwei Kindern, oder steckt hinter den Fotos oder Videos ein erwachsener Täter?“, erklärt Dobbrow. „Wir müssen also prüfen, ob das Kind allein auf die Idee gekommen ist. Und wir müssen ausschließen, dass ein Erwachsener als Täter infrage kommt, oder diesen ermitteln.“

    Wer aber sind diese Kinder, die noch zur Grundschule gehen, aber schon Pornos aufnehmen und verbreiten?
    Wer aber sind diese Kinder, die noch zur Grundschule gehen, aber schon Pornos aufnehmen und verbreiten? © dpa | Sven Hoppe

    In der Folge heißt das: „Wir verbringen mittlerweile viel Zeit mit Ermittlungen in Fällen, wo Tatverdächtige und Opfer unter 14 Jahre alt sind. Diese Zeit fehlt uns in anderen Bereichen – zum Beispiel bei Straftaten durch erwachsene, pädosexuelle Täter.“

    In welchem Land werden die meisten Pornos geguckt?

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      Marie wechselte am Ende die Schule, um ihre Ruhe zu haben

      Wer aber sind diese Kinder, die noch zur Grundschule gehen, aber schon Pornos aufnehmen und verbreiten? Es kann die frühreife Mädchenclique sein, oder es sind die Jungs mit der großen Klappe. Es sind oft aber auch ganz unauffällige Kinder.

      Mädchen und Jungen aus gutbürgerlichen Elternhäusern genauso wie aus schwierigeren Verhältnissen. Judith Dobbrow hat viele von ihnen gesehen, ein typisches Täterprofil aber sieht sie nicht.

      Julia von Weiler nennt dagegen drei Gruppen: „Bei den unter 14-Jährigen gibt es Unbedarfte, Angeber, aber auch strategisch bösartig handelnde Kinder.“ Die Unbedarften sind oft diejenigen, die ihre ersten Beziehungsversuche starten, die mit Gleichaltrigen chatten, ihre Sexualität entdecken, erste Partnerschaften eingehen, die zum Teil aber nur online existieren.

      In solchen Lagen, sagt Dobbrow, kann es dazu kommen, dass der eine den anderen bedrängt – Motto: „Wenn du mich wirklich liebst, dann schickst du mir auch mal Nacktbilder.“ Der Schritt vom Anfordern zum Weiterverbreiten der Bilder ist dann nur klein – aber strafrechtlich schwerwiegend. Nur, welcher Elfjährige weiß das schon?

      Kommt es zur Anzeige, sprechen die Ermittler mit dem Opfer, werten dessen Handy aus, suchen denjenigen, der die Bilder oder Videos weiterverbreitet hat. In vielen Fällen gelingt das recht schnell. Dann sitzen da Grundschüler auf der Polizeiwache und müssen sich rechtfertigen – eine eher „pädagogische“ Vernehmung sei das, sagt Dobbrow. „Ich fand das lustig“, hört die Ermittlerin dann. Und am Ende oft: „Okay, es tut mir leid.“

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      Gesetzliche Altersbeschränkung für Smartphones

      Mal wird das Jugendamt eingeschaltet, mal das Handy für ein paar Wochen eingezogen. Mehr geht bei kindlichen Tatverdächtigen nicht. Für die Opfer dagegen ist die Sache noch lange nicht zu Ende. Marie zum Beispiel wechselte die Schule, um die Sache mit den Nacktbildern endlich hinter sich lassen zu können.

      Wie aber lässt sich verhindern, dass schon Kinder zu Internettätern werden? Julia von Weiler rät zu einem radikalen Schritt: „Mit dem

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      geben wir den Kindern etwas in die Hand, dessen gigantische Folgen sie überhaupt noch nicht abschätzen können“, sagt die Expertin.

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      „Wir sollten deswegen den Jugendschutz ausdehnen: So, wie wir Kinder vor Alkohol oder anderen Drogen schützen, sollten wir sie auch vor den Risiken einer zu frühen Smartphone-Nutzung schützen. So lange Smartphones und ihre Apps nicht kindersicher sind, müssten wir sie für Kinder unter 14 Jahren verbieten.“

      „Digitaler Führerschein“ für Kinder in der Diskussion

      Grundsätzliche Zustimmung dazu kommt vom Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung: „Eine gesetzliche Altersbeschränkung für Smartphones wäre möglicherweise eine schnelle und vermeintlich einfache Lösung“, sagte Johannes Wilhelm Rörig unserer Redaktion.

      Sie löse aber nicht das Grundproblem des fehlenden Schutzes im Netz. Rörig will deswegen darüber diskutieren, „was sinnvolle Altersgrenzen für die Nutzung von Smartphones sind“, regt aber auch einen „digitalen Führerschein“ für Kinder an – der genauso präventiv wirken könnte wie Verkehrsunterricht oder Schwimmunterricht.

      „Es darf niemandem egal sein, dass es mittlerweile zum Alltag von Kindern gehört, dass Nacktbilder von Kindern durch Schulcommunitys geschickt werden oder sich Pädosexuelle via Smartphone unbeobachtet in die Kinderzimmer schleichen.“