Berlin. Sie ist die Hoffnungsträgerin der SPD. Nun muss sich Bundesfamilienministerin Franziska Giffey aber gegen Plagiats-Vorwürfe wehren.

Franziska Giffey drückt ihre rechte Hand fest aufs Papier. Blutrot färbt sich das DIN-A4-Blatt, auf das die Familienministerin mit schwarzem Edding geschrieben hat: „Eine glückliche Kindheit für jedes Kind – keine Kindersoldaten!“

Der „Red Hand Day“, der Rote-Hand-Tag, an dem im Bundestag symbolisch Politiker ein Zeichen gegen die Ausbeutung von Kindern auf der ganzen Welt setzen, ist für Giffey eigentlich ein Sahne-Termin. Die frühere Bürgermeisterin des Berliner Brennpunktbezirks Neukölln ist gern nah bei den Menschen. Mit ihrer freundlichen Berliner Schnauze kommt sie meist gut an.

Vorwürfe sind in der Öffentlichkeit

Am Dienstag bei der PR-Aktion der Kinderkommission des Bundestages unter der Reichstagskuppel aber holt sie ein unangenehmes Thema nach nur wenigen Minuten ein. Seit vergangenen Freitag sind die Vorwürfe in der Öffentlichkeit,

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Der „Spiegel“ hatte gemeldet, dass die Plagiatsjäger der Internet-Plattform „VroniPlag Wiki“ Giffeys Promotion „Europas Weg zum Bürger – Die Politik der Europäischen Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft“ unter die Lupe genommen und zahlreiche Textstellen entdeckt hätten, die verdächtig erschienen.

Andere Minister traten nach Plagiatsvorwürfen zurück

Die VroniPlag-Leute, denen es um saubere Forschung und Lehre geht, hatten bereits Plagiate in den Dissertationen bekannter Politiker wie Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) oder Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) aufgespürt. Beide traten zurück.

Die Giffey-Analyse bei VroniPlag ist aber noch nicht abgeschlossen. Bisher seien in 49 von 205 Seiten Plagiatsfundstellen dokumentiert. „Dies entspricht einem Anteil von 23,9 Prozent aller Seiten. Davon enthalten vier Seiten 50-75 Prozent Plagiatstext“, heißt es. Bei Plagiaten ist jedoch nicht nur die Anzahl, sondern auch die Schwere und Systematik möglicher Täuschungen entscheidend.

FU leitet Verfahren ein

Die Ministerin selbst hat die Freie Universität (FU) Berlin, an der sie 2009/10 promovierte, gebeten, ihre Dissertation zu prüfen. „Die Hochschule wird der Bitte nachkommen und in Kürze ein entsprechendes Verfahren einleiten“, teilte FU-Sprecher Goran Krstin mit.

Giffey erhält dabei die Chance, eine Stellungnahme abzugeben. „Wissen Sie was, ich bin immer dafür, klar mit den Dingen umzugehen. Ich habe diese Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben. Ich kann das nicht bewerten. Das muss die Freie Universität tun“, sagte Giffey am Dienstag im Reichstag. Ihr sei wichtig, dass eine wissenschaftliche Einrichtung prüfe und nicht eine Internetplattform. „Und bis zu dieser Klärung warten wir jetzt ab, ganz einfach.“

Giffey, für die es im beruflichen und politischen Leben stets steil nach oben ging, befindet sich mit einem Schlag in einer heiklen Lage. Es gilt die Unschuldsvermutung, darauf wird auch in der Bundes-SPD hinter den Kulissen vehement verwiesen.

Giffey ist Hoffnungsträgerin

Die 40-Jährige, die in Brandenburg aufwuchs und mit Mann und Kind in Berlin wohnt, ist bei den Sozialdemokraten eine der wenigen Hoffnungsträgerinnen. Sie wird unverhohlen als kommende Regierende Bürgermeisterin von Berlin gehandelt, falls die in Umfragen abgestürzten Hauptstadt-Genossen Michael Müller einen Abgang nahelegen sollten.

Giffey, die stets Distanz zur Berliner SPD hielt und dort viele Neider hat, macht um dieses Thema gerne einen Bogen. Sie wolle als Ministerin noch viel bewegen.

Die Politikerin hat sich mit ihrer direkten Art in und außerhalb der SPD schnell Respekt verschafft. Die formelhafte Politikersprache ist ihr ein Graus. „Es hilft nichts, gute Politik zu machen, wenn die Leute gar nicht verstehen, was wir vorhaben“, sagte sie unlängst. Bei der SPD heißen seitdem Projekte

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oder „Respekt-Rente“.

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    In der SPD mag man sich nicht mit dem Gedanken befassen, was wäre, falls sie ihren Doktor verlieren sollte. Die Partei muss spätestens Ende Mai bereits einen Kabinettsposten neu besetzen. Katarina Barley, die Justiz- und Verbraucherministerin, führt als Spitzenkandidatin die SPD in die Europawahl. Sie wird ihr Ministeramt niederlegen und als Abgeordnete ins EU-Parlament nach Straßburg wechseln.

    Marco Preuß ist SPD-Fraktionschef in der Bezirksverordnetenversammlung von Neukölln. Sie habe ihre Doktorarbeit geschrieben, bevor sie 2010 als Stadträtin in die Kommunalpolitik gewechselt sei. „Ich kann nur meine Hand ins Feuer legen, dass Franziska Giffey es nicht nötig hatte, in ihrer Doktorarbeit unehrlich zu arbeiten“, schreibt der Berliner Genosse bei Facebook.

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    Genossen halten Zeitpunkt der Vorwürfe für kalkuliert

    Giffey sei es nie darum gegangen, sich mit einem Doktorgrad zu schmücken. „Hier war der Doktortitel eine Krönung einer wissenschaftlichen Tätigkeit.“ Preuß hält den Zeitpunkt, an dem die Vorwürfe bekannt geworden sind, für keinen Zufall. Ausgerechnet jetzt, „wo sie zu Recht eine der beliebtesten Politikerinnen der Republik ist, wird hier ihr guter Ruf angegriffen“.

    Sie muss nun darauf vertrauen, dass die FU Berlin ohne Ansehen der Person prüft und gewichtet. Gerade erst entzog die Hochschule dem Berliner CDU-Bundestagsabgeordneten Frank Steffel aufgrund von Plagiaten den Doktortitel. Steffel will dagegen klagen.

    Einer der Wissenschaftler, die sich bei VroniPlag Giffeys Arbeit angeschaut haben, ist „Robert Schmidt“. Es ist nicht sein echter Name. Dass Plagiatsjäger sich hinter Pseudonymen verbergen, wirkt absonderlich.

    Aufklärung wird dauern

    Wer aber im elitären Wissenschaftsbetrieb öffentlich mit dem Finger auf andere zeigt, für den kann die eigene Karriere schnell vorbei sein. Der „Süddeutschen Zeitung“ übermittelte Schmidt, Giffey habe mindestens fünf Quellen verwendet, ohne diese im Literaturverzeichnis anzugeben.

    Außerdem sei an einigen Stellen willkürlich aus anderen Texten zitiert worden. Aufklärung kann nur die FU schaffen. Das wird dauern. Die kommenden Wochen werden für Franziska Giffey ein Stresstest.