Berlin. Gesundheitsminister Spahn erwartet in wenigen Jahren einen Durchbruch in der Krebsforschung. Mediziner widersprechen. Ein Faktencheck.

Krebs ist eine der großen Herausforderungen dieser Zeit. In Deutschland leben vier Millionen Menschen, die schon einmal in ihrem Leben diese Diagnose erhalten haben.

Erst am Dienstag hatte die Bundesregierung angekündigt, Krebs mit mehr Forschung und Vorbeugung eindämmen und die Umstände für Betroffene erleichtern zu wollen.

Geht es nach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), ist die Krankheit in absehbarer Zeit unter Kontrolle. Der medizinische Fortschritt sei immens, die Forschung vielversprechend, sagte der Minister in einem Interview mit der „Rheinischen Post“.

Er sehe „

Auch interessant

“, sagte Spahn und löste damit eine bundesweite Debatte aus. Was ist dran an dieser Aussage?

Wie ordnen Mediziner die Aussage von Jens Spahn ein?

Mediziner widersprechen dem Minister: „Das ist eine sehr allgemeine Hoffnung, die so einfach nicht funktioniert“, sagt etwa der Leiter des Comprehensive Cancer Center der Berliner Charité, Professor Ulrich Keilholz.

Bereits in den 1960er-Jahren habe es diese Aussage in den USA gegeben und auch danach immer wieder mal, sagt der Onkologe. „Aber diese Aussagen waren eher politisch motiviert als wissenschaftlich fundiert.“

Auch der Vorsitzende des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) rät zur Vorsicht: „Krebs ist durch seine biologische Vielfalt eine der komplexesten Erkrankungen“, sagt Professor Michael Baumann.

Die Vergangenheit habe gezeigt, dass zeitliche Prognosen zu einem „Sieg über den Krebs“ schwierig seien.

Wie viele Menschen in Deutschland erkranken jährlich neu an Krebs, und was sind die häufigsten Krebsarten?

476.120 Menschen sind 2014 in Deutschland neu an Krebs erkrankt. Das zeigen die aktuellsten Zahlen der deutschen Krebsregister, berichtet das DKFZ in Heidelberg. Für das Jahr 2018 – diese Zahlen liegen noch nicht vor – haben Fachleute einen Anstieg auf etwa 493.600 Neuerkrankungen vorhergesagt.

Die häufigste Krebsart bei Frauen ist Brust-, bei Männern Prostatakrebs. Verglichen mit den Zahlen im Jahr 1970 hat sich die Zahl der Betroffenen damit fast verdoppelt. Bei genauem Blick aber werde deutlich, dass dies auch an der gestiegenen Lebenserwartung liege, so das DKFZ.

Mit steigendem Alter steigen die Krankheitszahlen. Berücksichtigt man dies bei der Berechnung, sei die Rate der Neuerkrankungen bei Männern in den letzten zehn Jahren gesunken, bei Frauen dagegen leicht gestiegen. Das liege vor allem daran, dass die Zahl der Raucherinnen zugenommen habe.

„Gute Chancen, dass wir in zehn bis 20 Jahren den Krebs besiegt haben“, sagt Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister
„Gute Chancen, dass wir in zehn bis 20 Jahren den Krebs besiegt haben“, sagt Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister © imago/Christian Ditsch | Christian-Ditsch.de

Wie hoch ist die Sterblichkeit?

Krebs ist in Deutschland nach Herz- und Kreislaufleiden die zweithäufigste Todesursache. 2014 starben 222.972 Menschen an dieser Erkrankung. In 90 Prozent der Fälle war nicht der Primärtumor tödlich, sondern Metastasen, die sich im Körper verteilen und dort zu neuen Tumoren heranwachsen.

Menschen, die an Krebs sterben, werden nach Angaben des Robert-Koch-Institus in Berlin im Mittel etwa 74 Jahre alt, vier Jahre älter als noch 1980. Die häufigsten Krebserkrankungen sind dabei nicht die tödlichsten.

  • Nicht ungefährlich -

Auch interessant

  • Sinnvoll oer nicht:

    Auch interessant

  • Handy und Krebs:

    Auch interessant

  • Für die meisten Krebs-Todesfälle bei Männern ist Lungenkrebs verantwortlich, bei Frauen ist diese Krebsart derzeit seltener als bei Männern, sie steht aber als Todesursache schon auf Platz zwei nach Brustkrebs.

    Warum erkranken und sterben trotz aufwendiger Forschung so viele Menschen an Krebs?

    40 Prozent der Krebsfälle entstehen durch Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel oder werden begünstigt durch Umweltfaktoren wie Luftschadstoffe.

    Aber Krebs sei auch eine Geißel der Menschheit, die in den Zellen angelegt sei, sagt Professor Carsten Bokemeyer, Direktor des Universitären Cancer Centers des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE).

    Kampf gegen Krebs - Mehr Mittel in Aussicht

    weitere Videos

      „Damit wir heute 80 oder 90 Jahre lang leben können, müssen sich Zellen sehr oft teilen“, sagt der Onkologe. Passiere dabei ein Fehler, könne das Immunsystem das meistens ausbügeln. „Aber manchmal rutscht ein Fehler durch und etwas Bösartiges entwickelt sich.“

      Bei der Behandlung von Krebs liege das Problem häufig in der Resistenz: „Krebszellen entwickeln mit jeder neuen Therapie Mechanismen, um sich gegen den Angriff auf sie zu wehren“, sagt Bokemeyer.

      Mit welcher Krebsart haben Betroffene die besten Überlebenschancen?

      Mehr als die Hälfte aller Krebspatienten kann laut DKFZ heute mit „dauerhafter Heilung rechnen“. Allerdings ist die Prognose nicht bei jeder Tumorart ähnlich günstig.

      Zuletzt sind einmal mehr die sogenannten Fünf-Jahres-Überlebensraten ausgewertet worden. Datengrundlage sind Krebsregister in zehn Bundesländern, untersucht wurden die Raten von 18 Krebsarten.

      Besonders tödlich sind laut der im Fachblatt „Lancet“ veröffentlichten Studie Bauchspeicheldrüsen- und Leberkrebs. Hier überlebten nur 13 beziehungsweise 10,7 Prozent der Patienten die ersten fünf Jahre nach Diagnosestellung.

      Besonders hoch hingegen sind die Überlebenschancen in den ersten fünf Jahren bei Prostatakrebs, Brustkrebs, Hodenkrebs und dem schwarzen Hautkrebs. Hier überleben mittlerweile dank verbesserter Früherkennung und neuer Therapien fast neun von zehn Patienten die ersten fünf Jahre.

      Krebszellen vermehren sich unkontrolliert und zerstören gesundes Gewebe. Sie entstehen aus körpereigenen Zellen.
      Krebszellen vermehren sich unkontrolliert und zerstören gesundes Gewebe. Sie entstehen aus körpereigenen Zellen. © iStock | istock

      In welcher Therapie liegen die größten Hoffnungen der Forschung?

      Seit einigen Jahren liegt die Hoffnung insbesondere in der individualisierten, also auf den einzelnen Patienten zugeschnittenen Behandlung und der Immuntherapie. Dabei wird das Immunsystem der Patienten in die Lage versetzt, Tumorzellen zu erkennen und zu bekämpfen.

      Das wirkt sehr gut bei einigen Krebsarten wie dem Schwarzen Hautkrebs – aber bei vielen Tumorarten eben auch nicht.

      Trotz der wichtigen Bestrebungen, Krebs zu heilen, sei es sehr wichtig, eine zweite Richtung der Forschung nicht außer Acht zu lassen, sagt Keilholz von der Charité: „Das Beherrschen der Krankheit, sodass daraus eine chronische Erkrankung werden kann, mit der Patienten, begleitet durch eine entsprechende Therapie, sehr lange gut leben können.“

      Das klappe heute zum Teil schon sehr gut. Die Mediziner sind sich einig, dass der Krebs in zehn bis 20 Jahren zwar nicht besiegt sein, dass es aber massive Fortschritte bei Heilungsraten, Therapien und der Verbesserung der Lebensqualität geben werde.