Berlin. In Berlin beginnt am Mittwoch die Grüne Woche. Tierschutzbund-Präsident Thomas Schröder fordert Fördergelder für den Umbau von Ställen.

Luxuriöse Schweineställe, die schönsten Kühe, kulinarisch Ausgefallenes – die Grüne Woche ist das jährliche Schaulaufen der Agrarbranche. Auf der am Mittwoch in Berlin startenden Landwirtschaftsmesse wird auch das staatliche Tierwohl-Kennzeichen wieder eines der Hauptthemen sein.

Doch mit Tierwohl hat das geplante Siegel bislang wenig zu tun, sagt der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder. Der Nutztierhaltung fehle eine Gesamtstrategie.

Thomas Schröder, Präsident des Tierschutzbundes, fordert eine langfristige Nutztierstrategie.
Thomas Schröder, Präsident des Tierschutzbundes, fordert eine langfristige Nutztierstrategie. © Reto Klar | Reto Klar

Herr Schröder, 2020 will Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner ein staatliches Tierwohllabel einführen. Ihr Urteil?

Thomas Schröder: Allein das ist kein Grund zum Feiern, auch wenn es mit Chancen verbunden sein kann. Wenn der Staat selbst ein Label herausgibt, könnte er Landwirte genau nach dessen Kriterien fördern. Bislang fehlt aber eine Gesamtstrategie, das ist fahrlässig.

Die Frage ist, wo will Deutschland in 30 Jahren in der Nutztierhaltung stehen? Solange diese Frage nicht beantwortet ist, kann ich auch schwer Instrumente konstruieren, die dahin führen.

Was bedeutet das genau?

Schröder: Ich gebe Ihnen zwei Beispiele: Das Siegel ist zunächst nur für Schweine geplant. Das Gesetz soll bei dem geplanten Siegel der Anhaltspunkt dafür sein, was mehr gemacht werden soll. Man baut also auf der Schweinenutztierhaltungsverordnung auf.

Nach den Schweinen soll Geflügel drankommen. Es gibt in Deutschland aber gar keine nationale Haltungsverordnung für Puten. Das gleiche gilt auch für Rinder. Solche Grundlagen müssten erst einmal geschaffen werden. Oder bleiben wir bei der Schweinenutztierhaltungsverordnung.

Vor mehr als zwei Jahren wurde geurteilt, dass Sauen in Deckzentren nicht mehr in 70 Zentimeter breiten Kästenstehen dürfen, weil sie sich dort nicht einmal hinlegen können. Die Verordnung wird jetzt erst überarbeitet.

Wie will Frau Klöckner Tierwohl-Kriterien in ein Siegel integrieren, obwohl sie gar nicht weiß, wie diese Verordnung schlussendlich aussehen wird und wie sich dazu dann das Kennzeichen abhebt, was ja Ziel ist?

Das Nutztiersiegel ist zunächst nur für Schweine geplant
Das Nutztiersiegel ist zunächst nur für Schweine geplant © iStock | istock

Sollte man die Einführung des Siegels verschieben?

Schröder: Man will hier schnell einen vermeintlichen politischen Erfolg vorlegen und einen Punkt aus dem Koalitionsvertrag abarbeiten. Es stehe ja im Koalitionsvertrag, dass man ein Tierwohl-Kennzeichen machen will.

Dort steht aber auch, dass die sogenannten nicht-kurativen Eingriffe, also zum Beispiel das Entfernen der Schwänze in der Schweinemast oder das Schnabelkürzen bei Hühnern, beendet werden soll.

Die Lücke im Tierschutzrecht will man schließen. Das geht aber nur, wenn die Tiere zum Beispiel nicht länger auf so wenig Platz gehalten werden, dass sie sich gegenseitig verletzen.

Der Handel wollte nicht länger auf ein staatliches Siegel warten und hat sich selbst eine einheitliche Kennzeichnung verpasst. Sie baut auf die Brancheninitiative „Tierwohl“ auf. Was halten Sie davon?

Schröder: Ich kann im Grundsatz begrüßen, dass der Handel die Kennzeichnung vereinheitlicht hat. Für den Verbraucher wird es jetzt leichter, sich zu orientieren. Egal zu welchem Händler man geht: Ziffer 1 bedeutet gesetzlicher Mindeststandard, Ziffer 4 ist die höchste Qualität.

Aber die Kriterien sind aus unserer Sicht nicht ausreichend, es ist nur die Haltung und es ist nur ein Status quo, Weiterentwicklung ist damit nicht verbunden. Mindestens die unterste Stufe, die ja das Gesetz widerspiegeln soll, müsste von den Händlern ausgelistet werden. Denn aus Tierschutzsicht ist das gesetzliche Niveau völlig ungenügend.

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    Eine Weiterentwicklung der Tierhaltung ist aber auch nicht Aufgabe des Handels oder?

    Schröder: Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, zu gewährleisten, dass Tiere nicht leiden. Da gibt es ein riesiges Defizit. Der Gesetzgeber hat sich über Jahrzehnte im Grunde nicht um das Tierwohl in Ställen gekümmert. Die Aktion des Handels ist zugleich eine Rüge für die Bundesregierung. Weil die nichts unternimmt, muss der Handel selbst etwas tun.

    Ist eine reine Haltungsübersicht für den Verbraucher denn nicht vorerst eine gute Alternative? So kann er selbst entscheiden, ob er den gesetzlichen Mindeststandard wählt oder für mehr Tierwohl zahlt?

    Schröder: Auf diesem Argument ruht sich die Regierung aus: Der Verbraucher kann ja selbst entscheiden, und wenn er viel von der höheren Stufe kauft, dann hat man seine Aufgabe quasi erfüllt.

    Aber damit wird der Verbraucher plötzlich verantwortlich für Strukturpolitik. Er soll entscheiden, ob Nutztiere in Deutschland besser gehalten werden. Und dafür sind andere gewählt.

    Der Verbraucher kann unterstützen. Aber ihm alleine die Last aufzuschieben, die Defizite jahrzehntelangen Politikversagens an der Ladenkasse aufzuräumen, das wird nicht funktionieren.

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      Das staatliche Kennzeichen soll sich an dem Siegel des Handels orientieren, will aber noch darüber hinausgehen. Findet sich dieses Vorhaben in den bisher vorgestellten Plänen wieder?

      Schröder: Die Diskussion um das staatliche Tierwohllabel ist bislang nach Machbarkeit ausgerichtet. Es wird also weiter so gezüchtet, dass das Tier in den Stall passt und nicht der Stall zu den Bedürfnissen des Tiers.

      Es ist aber kein Ministerinwohllabel, kein Handelswohllabel und auch kein Bauernwohllabel – es ist ein Tierwohllabel, also muss das Tier im Mittelpunkt stehen. Und hier kann nur eine Verbesserung erreicht werden, wenn ein Landwirt finanzielle Förderung erhält, der einen Umbau seiner Ställe plant, um in die zweite oder dritte Stufe des Siegels aufzusteigen.

      Dann hätte so was das Potenzial für mehr Tierwohl. Aber dazu gibt es bisher für uns kein sichtbares Konzept in den bisher vorgelegten Plänen von Frau Klöckner.

      Was kann Frau Klöckner besser machen?

      Schröder: Es braucht eine langfristige Nutztierstrategie, die gesellschaftlich akzeptiert wird. Wenn ich die habe, kann ich alle Prozesse daraufhin steuern. Das geht nicht in 24 Stunden und auch nicht in einem Jahr.

      Ich rede davon, vermutlich über zehn oder zwanzig Jahre Schritt für Schritt voranzukommen, aber wenn ich gar keine Ziellinie habe, geht alles diffus durcheinander, positive Effekte verpuffen.